Emanzipation
: Der Staat als Feministin?

Die Programme nicht weniger europäischer Regierungen scheinen nicht zuletzt von feministischen Forderungen geprägt. Ein neues Buch wirft einen kritischen Blick auf diesen vermeintlichen Erfolg.

1372PolBuch1Gesetzlich garantierte Kitaplätze, 
verpflichtende Frauenquote in Aufsichtsräten, familienfreundliche Arbeitszeiten: Die familienpolitische Agenda so mancher europäischen Gesellschaft liest sich wie eine abgearbeitete feministische To-do-Liste. Die in Deutschland lebenden Autorinnen Lilly Lent und Andrea Trumann, die sich nach eigener Darstellung seit ihren Kindertagen über die Zwänge ärgern, die die Zuschreibungen von Weiblichkeit und Männlichkeit insbesondere im Hinblick auf die Reproduktionstätigkeiten mit sich bringen, nehmen verwundert zur Kenntnis, dass nicht nur in der Bundesrepublik „der Staat die Feministin spielt“.

Doch welche weibliche Unabhängigkeit und Autonomie wird hier gefördert? Die beiden Autorinnen analysieren dies am Beispiel der jüngeren Entwicklung der Frauen- und Familienpolitik in Deutschland und liefern damit eine eindringliche „Kritik des Staatsfeminismus“. Sie fokussieren, wie der Untertitel des schmalen Bändchens, „Kinder, Küche, Kapitalismus“, verrät, vor allem die Situation von Frauen, die sich um ihren Nachwuchs kümmern, die Sorgetätigkeit für erwachsene Pflegebedürftige wird dagegen nur gelegentlich mitgedacht, aber nicht genauer erörtert.

Um die Widersprüche einer Politik zu ergründen, die Frauen einerseits als Berufstätige adressiert, ihnen andererseits aber weiterhin die Hauptlast der Kindererziehung zuweist, beginnen Lent und Trumann mit einem historischen Rückblick. Sie vermuten, dass „bestimmte Strömungen“ der Frauenbewegung der 1970er- und 80er-Jahre „eine gewissen Mitschuld“ an dieser Entwicklung tragen, „auch wenn sie das Resultat nicht beabsichtigt haben“.

Tatsächlich legt ihre kurze Skizze der alten Frontstellung zwischen Gleichheits- und Differenzfeminismus einige folgenschwere Missverständnisse offen: Während der gleichheitsfeministische „Mainstream“ der Frauenbewegung auf die Integration von Frauen in die Arbeitswelt drängte und mit der Kampagne gegen den Abtreibungsparagraphen 218 dezidiert für das Recht der Frauen kämpfte, keine Kinder zu bekommen, prangerte der Differenzfeminismus die Ausgrenzung der Mütter in der Frauenbewegung an und forderte einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit Mutterschaft. Die Gleichheitsfeministinnen lehnten die „neue Mütterlichkeit“ als Neuauflage des reaktionär-faschistoiden Mutterkults ab, ohne die Unterschiede zu beachten.

Das staatsfeministische Programm zielt darauf ab, die Kleinfamilie zu erhalten.

Den Differenzfeministinnen ging es nie um die Verteidigung einer mutmaßlich „natürlichen“ Mutter- und Hausfrauenrolle. Mit ihrer Kritik an der medizinisch-kapitalistischen Vereinnahmung von Schwanger- und Mutterschaft verbanden sie kein „Zurück zur Natur“, sondern eine „neue Form der Selbstverwirklichung“. Es ist verdienstvoll, dass die Autorinnen auf die reduktiven, essentialistischen Missdeutungen differenzfeministischer Ansätze aufmerksam machen und gleichzeitig die vermeintlichen Erfolge des Gleichheitsfeminismus kritisch hinterfragen.

Für Lent und Trumann steht fest, dass das Emanzipationsversprechen, wonach die Integration in den Arbeitsmarkt Frauen materielle Absicherung und eine geschlechtergerechte Umverteilung der Reproduktionsarbeit garantieren würde, unerfüllt blieb. Dagegen werde bis heute „vollständig übersehen“, dass die Differenzfeministinnen in den Siebzigerjahren schon weiter waren, „indem sie nicht die Anpassung an die bestehende bürgerlich-kapitalistische Welt forderten, sondern deren vollständige Umwälzung“.

Mit wenigen Zitaten zeigen die Autorinnen, dass es in der differenzfeministischen Selbsterfahrungsliteratur der 1970er-Jahre immer um die Erweiterung von Lust- und Handlungsmöglichkeiten von Frauen ging, nicht um Selbst-Regulation und Kontrolle, wie in den aktuellen Ratgebern. Stillen wurde als lustvoll für Mutter und Kind beschrieben, nicht als zweckgerichtet zur Vermeidung künftiger Allergien. Leider endet der historische Abriss mit einigen lapidaren Bemerkungen über gute Ansätze, die inzwischen „ins Dogmatische gewendet“ und „in ihr Gegenteil verkehrt“ worden seien oder „durch ihre Verallgemeinerung unter kapitalistischen Bedingungen eine einseitige Form“ bekommen hätten.

Feminismus oder radikale Selbstausbeutung? Auch viele Frauen betrachten die Doppelbelastung als Berufstätige und Mutter als Frage der fälligen „Selbstoptimierung“ und verachten alle, die ihren Minijob nicht als „Chance zur Selbstverwirklichung“ begreifen.

Feminismus oder radikale Selbstausbeutung? Auch viele Frauen betrachten die Doppelbelastung als Berufstätige und Mutter als Frage der fälligen „Selbstoptimierung“ und verachten alle, die ihren Minijob nicht als „Chance zur Selbstverwirklichung“ begreifen.

Da Andrea Trumann vor einigen Jahren einen kleinen Einführungsband in die Feministische Theorie publiziert hat, ist es etwas überraschend, dass sie im vorliegenden Text mit ihrer Co-Autorin auf eine Analyse der verschiedenen feministischen Strömungen über die 1980er-Jahre hinaus verzichtet und somit auch keine kritische Reflexion des Verhältnisses der gendertheoretisch motivierten „Politik der Vielfalt“ zum staatlich institutionalisierten Feminismus liefert. Die Autorinnen beschränken sich diesbezüglich auf die Andeutung einer Kompatibilität, indem sie darauf verweisen, dass das staatsfeministische Programm auf dem Ideal der Kleinfamilie aufbaut, und dabei auch die gleichgeschlechtliche Variante und die Patchwork-Familie einzuschließen weiß.

Die Prekarisierung der sozialen und ökonomischen Lebensverhältnisse verläuft für diejenigen, die Erziehung und Pflege übernehmen, in allen Familienkonstellationen gleich: Wer die Hauptlast der Care-Arbeit trägt, kann nur zusätzlich arbeiten. Entsprechende Minijobs und Teilzeitstellen finden sich vor allem im Niedriglohnsektor, sodass durch die Erwerbstätigkeit weder materielle Unabhängigkeit noch eine ausreichende Alterssicherung erreicht werden kann.

Die Gesetzesinitiativen und Zahlen, die Lent und Trumann anführen, beziehen sich vornehmlich auf Deutschland, doch mag ein Seitenblick der Autorinnen auf den „feministischen Musterstaat“ Schweden belegen, dass die vorgestellte Entwicklung auch in anderen europäischen Nachbarländern ähnlich verläuft. Das staatsfeministische Programm zielt darauf ab, die Kleinfamilie zu erhalten und für gesetzliche Rahmenbedingungen zu sorgen, die Frauen zwar weiterhin in die traditionelle Care-Rolle drängen, sie aber gleichzeitig auch der Wirtschaft als billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. „Mit Emanzipation hat das Modell nichts zu tun, trotzdem wird an seinem Ausbau und seiner Verbesserung gearbeitet und dies als Fortschritt propagiert.“

Die Beobachtung ist richtig, doch einmal mehr verpassen es die Autorinnen, Frauen nicht allgemein als Leidtragende darzustellen. Denn die Propaganda wird keineswegs nur von Ministerinnen betrieben, die in ihren Ressorts die entsprechende Politik zu verantworten haben. Viele „hochqualifizierte“, besserverdienende Frauen, die von den staatsfeministischen Initiativen am meisten profitieren und einen Teil der Reproduktionstätigkeiten ohnehin an „minderqualifizierte“ Frauen abgeben können, erklären die Bewältigung der Doppelbelastung als Berufstätige und Mutter zu einer Frage der „Selbstoptimierung“ und verachten alle, die ihren Minijob nicht als „Chance zur Selbstverwirklichung“ begreifen. Nur in einer sehr kurzen Passage deuten die Autorinnen an, wie sehr Hegels Idee von der bürgerlichen Ehe als sittliche Gemeinschaft „auf den Hund gekommen ist“, seit die neuen Bürgerlichen jeden Solidargedanken im Namen einer Erweiterung der „Eigenverantwortung“ aufgeben wollen.

In diesem Zusammenhang hätte auch stärker betont werden können, dass dem Staatsfeminismus ein gesamtgesellschaftlicher Antifeminismus korrespondiert. Denn während mit den familienpolitischen Neuerungen die Situation vieler Frauen nicht verbessert wird, Nachteile bezüglich des Lohngefälles und der Karrierechancen weitgehend erhalten bleiben, werden die Väterrechte kontinuierlich gestärkt. Mit der staatsfeministischen Familienpolitik wurde der Feminismus in der Gesellschaft zum Unwort. Fortbestehende Geschlechterkonflikte werden geleugnet, tabuisiert oder auf andere projiziert. Paternalistisch richtet sich die Politik „zum Schutz von Frauen“ gegen „Zuhälterbanden“, „Menschenschlepper“ oder allgemein „migrantische junge Männer“.

Mit dem Hinweis auf diese Auslassungen soll der Wert der hundertseitigen „Kritik des Staatsfeminismus“ jedoch nicht in Frage gestellt werden. Das Pamphlet ist als Anregung zu einer überfälligen Diskussion zu verstehen, als Aufruf, sich der Notwendigkeit zum Widerstand bewusst zu werden. Abschließend müssen Lent und Trumann nämlich konstatieren, dass das Unbehagen in der Gesellschaft zwar wächst, aber bisher entsprechend der propagierten Ideologie als selbstverantwortete Misere gedeutet wird und in Depression und Burn-out mündet, statt in eine „revolutionäre Bewegung“ gegen die staatliche (Un)Gleichstellungspolitik.

Lilly Lent, Andrea Truman: 
Kritik des Staatsfeminismus. 
Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus. Bertz+Fischer Verlag, 118 Seiten.

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