Die EU definiert die Ziele der gemeinsamen Entwicklungspolitik bis 2030. Und bleibt dabei hinter denen von 2005 zurück, findet die Luxemburger Regierung. Sie konnte sich jedoch auf EU-Ebene nicht durchsetzen.
Als das Grundsatzpapier „Der neue europäische Konsens zur Entwicklungspolitik“ am vergangenen Freitag von den zuständigen Ministern der 28 EU-Staaten verabschiedet wurde, stand Luxemburg mit seiner Kritik ziemlich alleine da. „Der Text stellt einen klaren Rückgang in Bezug auf den von 2005 dar“, sagt Romain Schneider gegenüber der woxx. In den Wochen zuvor hatten die Vertreter der Luxemburger Regierung wiederholt darauf gedrängt, „dass der Text noch einmal überdacht wird“, so der Luxemburger Entwicklungsminister, der seinen Kollegen diese Kritik in einer abschließenden Stellungnahme während der Sitzung mitteilte.
„Ich war der einzige, der eine solche Erklärung abgab“, so Schneider. Am Ende wurde das Papier, das die Richtung der europäischen Entwicklungspolitik bis 2030 vorgeben soll, jedoch einstimmig angenommen. „Blockieren wollten wir nicht, denn es soll ja weitergehen“, fügt der LSAP-Politiker hinzu.
In diesem zukunftsweisenden Text werde die EU-Entwicklungspolitik der Agenda 2030 angepasst, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Das breitere Konzept werde der Philosophie einer nachhaltigen Entwicklung gerecht und berücksichtigt gleichzeitig „die Komplexität der Welt, mit der wir konfrontiert sind“, sagte Mogherini am Freitag in Brüssel. Doch es ist genau diese Erweiterung der Entwicklungspolitik, in die etwa Ziele der europäischen Migrationspolitik mit einbezogen werden, die nicht nur bei der Luxemburger Regierung auf Kritik gestoßen ist.
Erweitertes Konzept
Der Text konzentriert sich nicht mehr allein auf das erklärte Hauptziel europäischer Entwicklungshilfe, nämlich die Bekämpfung der Armut. „Uns stört vor allem, dass die Liste der Länder, die als Empfänger in Frage kommen, sehr stark erweitert wurde und damit nicht mehr nur die ärmsten Länder im Fokus stehen“, erklärt Romain Schneider. Zudem würde Entwicklungszusammenarbeit stellenweise an Bedingungen geknüpft – etwa die Zusammenarbeit in Migrationsfragen oder die Rücknahme von Flüchtlingen. „Das gefällt uns gar nicht“, so Schneider.
Seine Kritik trifft sich mit jener der Entwicklungsorganisationen, die von Doppelmoral reden und das Risiko einer Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik sehen. Es sei schlichtweg unrealistisch anzunehmen, Entwicklungspolitik könne gleichzeitig Europas Interessen in Wirtschafts-, Migrations- und Sicherheitsfragen dienen. „Diese übergreifende Richtung könnte letzten Endes die positiven Elemente des Konsensus behindern“, beklagt Tanya Cox von der in Brüssel ansässigen Nichtregierungsorganisation Concord.
Wie die „Millenniums-Entwicklungsziele“ von 2005 definiert auch der „Konsens“ die „Reduktion und langfristig die Ausrottung der Armut“ als Hauptziel europäischer Entwicklungspolitik. Der 55-seitige Text räumt dem Thema „Migration“ ein eigenes Kapitel ein und beschreibt darin detailliert die Ziele europäischer Migrationspolitik, die mit denen der Entwicklungspolitik in Einklang zu bringen seien.
Migration ist Teil der Entwicklungspolitik
„Migration ist sowohl für Entwicklungs- wie für Industrieländer zunehmend zu einem akuten Problem geworden“, so die Feststellung. Die Lösung dieses „Problems“ wird nunmehr auch zur Aufgabe europäischer Entwicklungspolitik gemacht: Sie soll sowohl das Wirtschaftswachstum in den Partnerländern ankurbeln als auch helfen, „die erfolgreiche sozio-ökonomische Integration von Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren“, abzusichern.
Auf Druck der ungarischen Delegation wurde in letzter Minute im Text eingefügt, dass Migrationspolitik „nationale Kompetenzen“ zu respektieren habe und insbesondere das Recht der Mitgliedstaaten, über „das Volumen und die Aufnahme von Bürgern aus Drittstaaten auf der Suche nach Arbeit“ zu bestimmen, „nicht beinträchtigen darf“. „Die EU steht schlecht da, wenn sie sich einem solchen Druck beugt“, sagt dazu der Luxemburger DP-Europa-Abgeordnete Charles Goerens. Der Text reflektiere eine „Schein-Einheit“ unter den EU-Ländern, die sich in Wirklichkeit uneins über die Ziele der europäischen Entwicklungspolitik sind, so der ehemalige Entwicklungsminister.
Goerens, der für das Europaparlament an den Verhandlungen mit den Vertretern der nationalen Regierungen teilgenommen hat, setzte sich dort vor allem dafür ein, dass verbindliche Ziele für den Anteil öffentlicher Ausgaben an Entwicklungshilfe festgehalten werden. „Das Ziel der 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes gibt es bereits seit 50 Jahren“, so Goerens. „Dennoch wird auch in diesem Papier kein Plan gemacht, wie wir es auf europäischer Ebene erreichen können.“ Das Parlament wollte die Länder zwingen, Rechenschaft über die Maßnahmen abzugeben, die sie auf nationaler Ebene ergreifen, um dem Ziel der 0,7 Prozent näher zu kommen. „Es gab eine totale Ablehnung“, bedauert Goerens. Nun halte man erneut am Ziel fest, ohne zu erklären, was sich konkret in den kommenden Jahren ändern soll.
Uneinigkeit im Europaparlament
Im Schnitt liegt die EU bei 0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die für Entwicklungshilfe ausgegeben werden. Die erwünschten 0,7 Prozent erreichen jedoch nur fünf Länder der EU. Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn macht den Vergleich mit dem Ziel der Nato-Mitglieder, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. „Denselben Druck gab es für die 0,7 Prozent noch nie“, sagte Asselborn am Montag nach der Sitzung der Außenminister in Brüssel.
Am kommenden Mittwoch wird sich das Europaparlament in seiner Plenarsitzung mit dem „Konsens“ befassen. Sozialisten und Christdemokraten planen, den Text in einer Resolution gutzuheißen. „Wir arbeiten an einer Koalition aus verschiedenen Parteien, die jedoch ihre Ablehnung zum Ausdruck bringen“, erklärt dagegen Charles Goerens. Demnach könnten Grüne, Liberale und die Vereinigte Linke einen Gegentext vorlegen, in dem sie wie die Luxemburger Regierung feststellen, dass der nun vorgelegte „Konsens“ einen Rückschritt im Vergleich zu früheren Erklärungen der EU über Entwicklungspolitik darstellt. Im uns vorliegenden Gegenentwurf wird explizit „die neue Ausrichtung europäischer Entwicklungspolitik unter dem Blickwinkel des Migrations-Managements“ beklagt. „Es sollten für die Empfängerländer keine Bedingungen von Entwicklungshilfe an Migrationsthemen geknüpft werden“, heißt es dort. Ebenso „sollte Hilfe nicht mit Grenzkontrollen oder dem Umgang mit Migrationsströmen oder Abkommen über die Wiederaufnahme von Flüchtlingen in Verbindung gebracht werden“.
Am eigentlichen „Konsens“-Text, dem die federführenden Unterhändler des Europaparlaments während der Verhandlungen bereits zugestimmt haben, wird jedoch diese Kritik ebenso wenig etwas ändern wie der Luxemburger Einspruch während des Ministertreffens. Luxemburg werde allerdings an der bisherigen Ausrichtung seiner Politik festhalten, sagt Romain Schneider. Er hofft darauf, dass man auf europäischer Ebene „einige Punkte in der Praxis ausbessern kann“.
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