EU-Krisenmanagement: Wieder am Pranger

Weil die Regierung die Kosten der EU-Flüchtlingspolitik nicht tragen will, findet sich Griechenland vielleicht schon bald außerhalb des Schengen-Raumes wieder. Außenminister Asselborn warnt – und spielt doch mit.

Warnt vor den Folgen einer Schengen-Suspendierung für den Binnenmarkt: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (Bildmitte). (Foto: Wikimedia Commons)

Warnt vor den Folgen einer Schengen-Suspendierung für den Binnenmarkt: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (Bildmitte). (Foto: Wikimedia Commons)

Flüchtlinge seien der Preis des Kapitalismus, meinte der Philosoph Slavoj Žižek vor kurzem in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung „Welt“. Das stimmt wohl – und aktuell geht es vor allem darum, dass niemand diesen Preis bezahlen will.

So scheint man derzeit einen Sündenbock zu suchen, auf dessen Verfehlungen mit etwas Glück die politische Debatte in den kommenden Wochen zentriert werden könnte. Wie schon in der Euro-Krise eignet sich für diese Funktion der „failed state“, den man den eigenen Reihen hat, nämlich Griechenland. Wollte man vor Jahresfrist mit der Kritik an der griechischen Politik noch davon ablenken, dass sich auch durch staatlich organisiertes Lohndumping wie in Deutschland die Krisentendenz des Kapitalismus nicht dauerhaft neutralisieren lässt, so soll nun auch in der „Flüchtlingskrise“ griechisches Staatsversagen maßgeblich schuld an der Misere sein.

Diesen Schluss legen zumindest Pressemeldungen über einen internen Bericht der EU-Kommission nahe, der dem Gremium bei seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch vorlag. Das Dokument bilanziert die Analyse von EU-Beamten, die im vergangenen November der griechischen Grenze einen Besuch abgestattet hatten. Nach dieser weist das an der Ägäis gelegene Land „anhaltende und schwerwiegende Defizite“ bei den Grenzkontrollen auf, so Valdis Dombrovski, Vizepräsident der EU-Kommission. Weil man die Außengrenze zur Türkei nicht sichern könne, seien allein seit Jahresbeginn 30.000 Menschen in den Schengen-Raum gelangt. Damit habe Griechenland seine Pflichten als EU-Mitglied ernsthaft verletzt. Der für Migrationsfragen verantwortliche Minister Ioannis Mouzalas bezeichnete die Vorwürfe allerdings als „Lügen“ und beschuldigte die EU, ein „blame game“ gegen sein Land zu betreiben.

Sollte eine Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten diesen Bericht als sachgerecht bestätigen, was als wahrscheinlich gilt, wird die EU-Kommission der griechischen Regierung eine Mängelliste zustellen. Wenn diese Mängel nicht binnen dreier Monate behoben werden, ist Griechenland raus aus dem Schengen-Raum.

Ein solcher Ausschluss ist im Schengener Abkommen allerdings gar nicht vorgesehen. Der Artikel 26 des Vertragswerks eröffnet jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die EU-internen Grenzkontrollen, die schon jetzt von fünf EU-Ländern wiederaufgenommen worden sind, noch maximal zwei Jahre beizubehalten. So kann Griechenland nicht de jure, aber de facto aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden – was nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die griechische Wirtschaft schwerwiegende Folgen haben wird.

Wirtschaftliche Folgen

Vor allem wirtschaftliche Folgen sind es, die auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn Sorgen bereiten: „Wenn Schengen fällt, bricht ein Teil der Europäischen Union auseinander, das wäre das Ende des gemeinsamen Binnenmarkts.“ Einen Vorgeschmack von den Konsequenzen habe Luxemburg bereits durch die Grenzkontrollen nach den Pariser Attentaten bekommen. Gleichwohl müsse eine verlängerte Befristung dieser Maßnahmen möglich sein.

Um den drohenden Ausschluss abzuwenden, muss die Regierung in Athen also wieder einmal „Hausaufgaben machen“ und sie spätestens im Mai der EU-Kommission zur Prüfung vorlegen – gerade noch rechtzeitig, nämlich ehe die rechtliche Grundlage, aufgrund deren beispielsweise Deutschland derzeit seine Grenzen kontrolliert, ihre Gültigkeit verliert.

Zu den Maßnahmen, die gefordert werden, zählt neben der systematischen Registrierung von Einreisenden und der Abnahme von Fingerabdrücken auch die Abschiebung all jener, die keinen Asylanspruch haben. Damit will man neben den Kosten auch das Risiko reduzieren, dass Griechenland in allzu drastischer Weise zum Flüchtlingslager Europas wird. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil die vereinbarte EU-interne Umverteilung von Flüchtlingen zur Entlastung Griechenlands nach wie vor nicht funktioniert (woxx 1351/52): Lediglich 414 Asylsuchende sind seit September 2015 in andere Länder verbracht worden.


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