Fahrplanwechsel: Der Sprung 
ins Ungewisse

Noch darf niemand die Tram auf Kirchberg besteigen und die Standseilbahn von Pfaffenthal herauf lässt sich nur per Handy-Video des Transportministers erleben. Doch ab Sonntag nächster Woche soll alles besser werden.

Neben der Tram wird die neue Standseilbahn, die den neuen Bahnhof „Pfaffenthal-Kirchberg“ mit der Trambahn verbindet, am 10. Dezember in Betrieb gehen. (Fotos: GilPe CC 3.0)

Wer in diesen Tagen auf Kirchberg unterwegs ist, muss sich manchmal wie in einer Geisterstadt vorkommen. Zu gewissen Zeiten bekommt er oder sie am Avenue John F. Kennedy zwar keine Menschen zu Gesicht, dafür aber gähnend leere, pünktlich im Takt verkehrende modernistische Tramwagen, die akribisch jede Haltestelle anfahren, jedes Mal die zahlreichen Seitentüren weit öffnen – aber ohne dass auch nur eine einzige Person ein- oder aussteigt.

Oder es bietet sich ein gänzlich anderes Bild: Zu Spitzenstunden ballen sich die Menschenmassen an unwirtlichen Behelfshaltestellen, ohne jeglichen Schutz vor Wind und Wetter, und versuchen sich in einen der eher erratisch eintreffenden Busse zu quetschen, während im Hintergrund eine aseptisch saubere, dezent von innen beleuchtete Trambahn vorbeischwebt und jede Menge Platz hätte, aber partout keinen der armen, wartenden Menschen aufnimmt.

Nein, Luxemburg hat sich (noch) nicht zum Apartheid-Staat mit einer von den Annehmlichkeiten des Lebens ausgeschlossenen Unterklasse entwickelt. Der beschriebene Zustand wird nur noch bis zur nächsten Woche andauern. Seit dem 2. November werden die sieben bereits gelieferten Luxtram-Fahrzeuge von jeweils 45 Meter Länge in einer sogenannten „marche à blanc“ betrieben. Die Wagen verkehren weitestgehend fahrplanmäßig, nehmen aber keine Fahrgäste an Bord, um auf diese Weise sämtliche möglichen Fahrsituationen erschöpfend testen zu können. Das neu geschulte Fahrpersonal, aber auch die Leitzentrale und alle anderen Dienste der Betreibergesellschaft Luxtram können so intensiv die internen Abläufe für den großen Tag der Eröffnung aufeinander abstimmen.

Traditionell werden am zweiten Sonntag im Dezember überall in Europa die Fahrpläne auf „Wintermodus“ umgestellt. In diesem Jahr wird das der 10. Dezember ein. Und der soll, laut Verkehrsminister François Bausch, diesmal einen richtigen „qualitativen Sprung“ vollführen: Neben dem Fahrplanwechsel (der aufseiten der RGTR-Linien in diesem Jahr bereits stufenweise Anpassungen erfahren hat – siehe woxx 1426) erfolgt der Betriebsbeginn der erwähnten Trambahn, und auch die neuen „pôles d’échange“ Howald und „Pont-rouge“ (mitsamt der neuen Standseilbahn) treten in Funktion.

Eine gewisse Nervosität ist den Verantwortlichen der verschiedenen Verkehrsbetriebe, für die sich am Sonntag in einer Woche so vieles auf einmal ändern wird, schon anzumerken. Allerdings dürfte der diesjährige Umstellungstermin allen ein wenig entgegenkommen: Weil die Weihnachtsferien ungewöhnlich früh beginnen – nämlich am 16. Dezember – und der öffentliche Schülertransport jeweils ein paar Tage früher zum Erliegen kommt, sind es nur wenige Tage, in denen die auf die neuen Verkehrsträger zugeschnittenen Fahrpläne unter Normalbedingungen funktionieren und den Erwartungen der Kundschaft gerecht werden müssen. Erst wenn nach Ferienende am 2. Januar das schaffende Volk und die SchülerInnen wieder im vollen Umfang die Verkehrsmittel stürmen, wird der Moment der Wahrheit kommen und sich zeigen, ob, was dann eintritt, der versprochene qualitative Sprung ist – oder das von einigen befürchtete Chaos.

Vorsorglich will François Bausch, zusammen mit den Verantwortlichen der Hauptstadt, am Freitag auf einer Pressevorstellung im Detail auf die Änderungen, die ja vor allem das Stadtgebiet betreffen, eingehen. Kleiner Wermutstropfen für den grünen Minister: Die Vorstellung des Fahrplans und die am 10. Dezember erfolgende Einweihung der Trambahn wird er nicht mehr zusammen mit seiner Parteikollegin Sam Tanson vornehmen können. Nachdem die DP ihren bei der Wahl erfolgreichen Koalitionspartner ohne viel Federlesens gegen den anderen Wahlsieger vom 10. Oktober, die CSV, getauscht hatte, ging das Amt des Verkehrsschöffen der Hauptstadt auf den liberalen Patrick Goldschmit über.

Bislang sind die ab dem 10. Dezember geltenden Änderungen nicht im vollen Umfang einzusehen. Auf der Internetseite der Mobilitéitszentral gibt es eine Spezialseite bei der jedeR bis zu einer bestimmten Buslinie weiterscrollen kann, um sich dann im einzelnen über die Änderungen zu informieren. Allerdings gibt diese Seite keinen Aufschluss über Änderungen bei der Eisenbahn. Wirklich benutzerfreundlich ist das Ganze also nicht. Es ist zu hoffen, dass nach der offiziellen Vorstellung diese Angaben dann auch endlich im normalen Suchmodul der Internetseite, aber auch in der Handy-App der Mobilitéitszentral verfügbar gemacht werden. Wer derzeit herausfinden will, wie er oder sie etwa an Weihnachten von Kirchberg zur Oma in Clerf gelangen kann, wird freundlich informiert, dass die Anfrage sich auf einen Zeitpunkt nach dem Fahrplanwechsel bezieht und daher derzeit nicht verfügbar ist.

Tram, Seilbahn und 
zwei neue Umsteigbahnhöfe

Immerhin: Auf der CFL-Homepage tauchen die neuen Halte „Pfaffenthal-Kirchberg“ und „Howald“ tatsächlich auf, wenn eine Verbindung nach dem 9. Dezember gesucht wird. Dort ist dann auch zu erfahren, dass zwecks Verbesserung der Pünktlichkeit der Züge auch einige der bestehenden Verbindungen zeitlich gestreckt werden. Das Transportministerium hatte eine Schweizer Firma unter anderem damit beauftragt, den Eisenbahnfahrplan zu optimieren. Dabei hat sich für einige Strecken ergeben, dass konkurrierende Zugverbindungen sich besser aneinander vorbeilotsen lassen, wenn die Gesamtfahrzeiten angehoben oder die Zugfahrten versetzt werden.

Etwas längere (dafür aber realistische) Fahrzeiten sollen so zu weniger und vor allem zu weniger großen Verspätungen führen. Das ist natürlich im Sinne der BahnnutzerInnen. Während die Maßnahme für die Nordstrecke Verbesserungen bringen soll, wird sich auf den vielbefahren Südtrassen ein anderer, aber negativer Effekt einstellen: Wer zum Beispiel von der Hauptstadt zur Uni-Belval fährt, war es bislang gewohnt, genau alle 15 Minuten (um 08, 23, 38 und 53) einen Zug zu erreichen. Mit dem komfortablen Takt ist es nun vorbei: Die Abfahrtzeiten der direkten Züge liegen nicht mehr 15, sondern abwechselnd 11 und 19 Minuten auseinander.

Wichtig dürfte auch der Aspekt Kommunikation sein: Wenn die geplanten Veränderungen insgesamt zu einer Verbesserung führen, sind die – manchmal auch mit Nachteilen verbundenen – Umstellungen für die einzelnen Personen wohl nicht immer gleich einsichtig. Die letzte große Umstellung im öffentlichen Transportsystem hatte es in der Hauptstadt gegeben, als wegen des Umbaus des Centre Aldringen der zentrale Busbahnhof auf mehrere Haltestellen verteilt werden musste. Anstatt der bis dahin gewohnten kurzen Umsteigezeiten, gab es für viele auf einmal einen wahren Hindernislauf entlang schmutziger und lärmender Baustellen auf viel zu knapp bemessenen Bürgersteigen. In den Wochen vor der Umstellung war zwar viel kommuniziert worden und auch direkte Hilfestellung von Hostessen (männlichen wie weiblichen) wurde geleistet, doch die bunten Striche, die den Weg zu den neuen Haltestellen weisen sollten, waren schnell verblasst, und im selben Maß verfinsterte sich die Stimmung beim Fußvolk.

Die beiden neuen Halte werden natürlich gerade für ArbeitnehmerInnen, die zum Kirchberg, zum schnell wachsenden Ban de Gasperich oder nach Howald streben, beachtliche Zeitgewinne bringen. Wer aus dem Norden zur Coque oder zum Utopoliskomplex fahren will, wird in Zukunft über 20 Minuten Fahrzeit einsparen und obendrein das Erlebnis der spektakulären Fahrt mit dem neuen „Funiculaire“ haben. Für aus dem Süden Kommende dürfte der Gewinn, je nach Verbindung, etwas unter einer Viertelstunde liegen – falls sich das Verspätungsproblem tatsächlich in den Griff bekommen lässt.

Doch gerade die Südstrecke über Bettemburg wird jetzt noch etwas länger, als bisher gedacht, den entscheidenden Schwachpunkt bilden. Die ursprünglichen Planungen der CFL gingen davon aus, dass die neue zusätzliche Streckenverbindung zwischen dem Bahnknotenpunkt und der Hauptstadt, die vor allem Entlastung für den lokalen und regionalen Personentransport bringen soll, 2022 fertiggestellt sein würde. Jetzt musste François Bausch in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage einräumen, dass damit wohl erst 2024 zu rechnen sein wird. Die Ursachen der Verzögerung sind vielfältig. Die CFL bewegen sich mit ihren Ausbauarbeiten an zahlreichen Baustellen an einem absoluten Limit, und noch verfügt der Staat nicht einmal über alle benötigten Flächen. Daher kann selbst der oder die nächste Transport- und InfrastrukturministerIn – egal welcher Couleur – nicht sicher sein, ob er oder sie den nächsten „qualitativen Sprung“ noch im Amt miterlebt: die kommende Regierungsperiode endet regulär im Oktober 2023.


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