Finnland: Grundeinkommen als Falle


Nicht nur in Luxemburg soll der Bezug von Sozialleistungen terminologisch aufgehübscht werden. Ein Experiment in Finnland erprobt die staatliche Zahlung eines Grundeinkommens in Höhe von 560 Euro. Der Zwang zur Arbeit gehört auch hier zum ideologischen Kern.

Künftige Bezieher des „Grundein-
kommens“? Finnische Farmer 
protestieren gegen fallende Lebensmittelpreise und die Auswirkungen der gegen Russland gerichteten 
Sanktionspolitik. Das Foto wurde im März 2016 in Helsinki aufgenommen. (Foto: Imgur)

Der „Revenu minimum garanti“ (RMG) in Luxemburg ist bald Geschichte; er wird durch den „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) ersetzt. „Wir wollen der bisherigen Prämie für Inaktivität ein Ende setzen, aber auch die Behördenwege vereinfachen“, lautet einer der von Familienministerin Corinne Cahen genannten Gründe für das von ihr am Montag vorgestellte Gesetzesprojekt. Der von Arbeits- und Familienministerium gemeinsam vorgelegte Text liegt mit Zielsetzungen wie der von Cohen formulierten ganz im europäischen Trend.

So läuft seit Anfang des Jahres in Finnland ein auch in anderen Ländern Europas aufmerksam beobachtetes Experiment mit dem Grundeinkommen. Als Versuchskaninchen dienen 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose, was etwa einem Prozent der etwas über 200.000 Menschen entspricht, die in dem Land derzeit arbeitslos gemeldet sind. Für die kommenden zwei Jahre sollen diese monatliche Zahlungen in Höhe von 560 Euro bekommen, auch dann, wenn sie eine bezahlte Tätigkeit aufnehmen sollten. Sollte das bislang gezahlte Arbeitslosengeld höher gewesen sein, gibt es die Differenz obendrauf. Auch Wohngeld und ein Zuschlag für etwaige Kindergartenplätze sind möglich.

Als Träger fungiert die staatliche Sozialversicherung Kansaneläkelaitos (kurz Kela). Diese versucht in ihrer Projektbeschreibung erst gar nicht, das Vorhaben als Mildtätigkeit oder als Kritik an der Lohnarbeit darzustellen. Stattdessen spricht sie von der „Reduzierung komplizierter Beihilfesysteme“ und von der „Schaffung von Anreizen, eine Arbeit aufzunehmen“. Wie es scheint, geht es vor allem darum, den Sozialstaat schlanker zu machen, Kosten zu sparen und die im Vergleich zu den anderen Staaten der EU überdurchschnittliche Arbeitslosenquote von rund neun Prozent zu senken.

Der die Armutsgrenze markierende Geldbetrag ist in Finnland derzeit fast doppelt so hoch wie die Höhe der Transferleistungen.

Mit einem „bedingungslosen Grundeinkommen“, wie es beispielsweise in Luxemburg von der Initiative „Grondakommes“ oder in Deutschland vom Netzwerk Grundeinkommen propagiert wird, hat das wenig zu tun. „Ein Grundeinkommen ist eine garantierte Geldleistung an alle Bürger oder Einwohner, und zwar in Existenz und Teilhabe sichernder Höhe ohne einen Zwang zur Arbeit und ohne eine Bedürftigkeitsprüfung“, erklärt Ronald Blaschke, ein prominentes Mitglied des Netzwerks in Deutschland.

All das sei bei dem finnischen Experiment nicht der Fall. So liegt die Armutsrisikogrenze in Finnland derzeit bei 1.188 Euro, also fast doppelt so hoch wie die Höhe der Transferleistungen. Außerdem wird es nur an Arbeitslose, also an Bedürftige ausgezahlt, und auch wenn formal kein Zwang zur Arbeit besteht, so wird doch kein Zweifel daran gelassen, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als wünschenswert angesehen wird. Auch in Luxemburg können den „revis“ künftig nur noch Personen beziehen, die bei der ADEM gemeldet sind.

Dass das finnische Experiment nur Arbeitslose einbezieht, erweist sich auch aus forschungstheoretischer Perspektive als Problem. Zwar sollen 2.000 andere Erwerbslose als Kontrollgruppe dienen. Wie sich ein Grundeinkommen auf bereits Beschäftigte auswirkt, lässt sich so jedoch nicht herausfinden. „Damit sind faktisch auch keine Erkenntnisse über die Wirkung eines Grundeinkommens möglich“, lautet Blaschkes vernichtendes Urteil.

Auch Serge Urbany von Déi Lénk hatte aus diesem Grund mit Blick auf das geplante Experiment in Finnland schon im vergangenen Jahr abgewunken: „Es soll das Wohlfahrtssystem durch einen Pauschalbetrag ersetzt werden. Das ist nicht unsere Vision.“

Während im Ausland viel über das Experiment berichtet wird, ist die Medienresonanz in Finnland eher bescheiden. Eine Ursache dafür mag sein, dass europäische Initiativen wie das deutsche Netzwerk Grundeinkommen erfolgreich für ihre Ideen geworben haben. Es könnte aber auch daran liegen, dass das finnische Verhältnis zur Politik ein recht nüchternes ist.

In Finnland ist die Politik wie auch in den anderen skandinavischen Ländern traditionell eher am Konsens und an der Mitte orientiert. So stützen sich seit den Siebzigerjahren finnische Regierungen oft auf breite parlamentarische Mehrheiten und werden von vier oder mehr Parteien getragen. Gemessen an der Geschichte des Landes ist die derzeitige Koalition aus Nationaler Sammlungspartei, Zentrumspartei und den rechtspopulistischen Basisfinnen also vergleichsweise klein. Vor allem aber steht sie deutlich weiter rechts als jede andere Regierung mindestens der vergangenen 20 Jahre. Dass dabei schwerlich etwas Progressives herauskommen kann, liegt auf der Hand.

Dennoch gibt es nur sehr wenig Protest gegen das Projekt. „Die allermeisten sehen das Experiment als Forschungsprojekt für die Erneuerung des Sozialsystems“, meint Dan Koivulaakso, Politischer Sekretär beim Linksbündnis, der drittgrößten Oppositionspartei. Die Idee eines unbürokratischen Grundeinkommens habe in Finnland viele Unterstützer, so 
Koivulaakso. Sehr umstritten sei hingegen dessen Höhe.

Vielleicht werden am Ende selbst die Daten-Auswerter feststellen, dass 560 Euro zum Leben zu wenig sind.

Tatsächlich war es die Demokratische Union des Finnischen Volkes, die Vorläuferpartei des heutigen Linksbündnisses, die das Thema in den 1980er-Jahren zum ersten Mal in die Diskussion gebracht hat. Das jetzige Experiment hat mit den damaligen Ideen jedoch nur wenig gemein und trägt viel mehr die Handschrift des wirtschaftsliberalen Think Tanks „Libera“. „Bei dem Projekt geht es nicht darum, unbezahlte Arbeit mit staatlichen Transferleistungen zu kompensieren“, meint Koivulaakso. „Es geht darum, Menschen zum Arbeiten zu bewegen, und darum, am Markt das Angebot an Arbeitskräften zu erhöhen.“

Mit der Grundidee eines bedingungslosen Grundeinkommens hat das in der Tat wenig zu tun. Bei diesem geht es ja gerade darum, auch unbezahlte Arbeit, etwa Pflege und Versorgung anderer sowie ehrenamtliche Tätigkeiten, anzuerkennen und zu honorieren. Begriffe wie diese sucht man bei der Kela vergebens. Hier gilt weiterhin der Primat der Lohnarbeit als einzig seligmachendem Lebensinhalt und als sozialem Bindemittel, das möglichst im Alleingang soziale Teilhabe ermöglichen soll. Nicht zu Unrecht monieren daher KritikerInnen, ein Grundeinkommen sei „eigentlich gar nicht so links“ und schon gar „kein revolutionäres Projekt zur Umverteilung“.

Zwar dürfte das finnische Experiment den Probanden in der Regel nicht schaden, und mit etwas Glück werden auch diejenigen, die am Ende die Daten auswerten, feststellen, das 560 Euro zum Leben schlicht zu wenig sind. Doch die zumindest fortschrittlich gemeinte Idee des Grundeinkommens droht in der europaweiten Umstrukturierung der Sozialhilfe immer weiter an Kontur zu verlieren, um stattdessen eine mehr oder weniger restriktive Sozialpolitik zu kaschieren.

Jan Tölva ist Soziologe und freier Autor, 
er lebt derzeit in Berlin.

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