Flüchtlingspolitik: Aus den Augen, aus dem Sinn?

Während weltweit die Flüchtlingszahlen dramatisch steigen, versperren sich die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsamen Lösungsansätzen. Das Thema wird wohl die luxemburgische Ratspräsidentschaft überschatten.

(Foto: Carole Reckinger)

(Foto: Carole Reckinger)

Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks befanden sich im Dezember 2014 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind 8,3 Millionen mehr als im Vorjahr und 19 Millionen mehr als noch vor zehn Jahren. Der Anstieg der Flüchtlingszahlen zwischen 2013 und 2014 ist der höchste, der je registriert wurde. In Europa wurden im selben Jahr 6,7 Millionen Flüchtlinge gezählt – wovon allerdings etwa ein Viertel syrische Flüchtlinge in der Türkei sind.

Doch die EU-Mitgliedsstaaten können sich nicht auf eine gemeinsame Reaktion einigen. Auch beim Treffen der europäischen Außen- und InnenministerInnen, das am Dienstag in Luxemburg stattfand, konnte keine Einigung über Aufnahmequoten für Flüchtlinge erzielt werden. Während Deutschland und Frankreich der Idee einer Verteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedsstaaten prinzipiell zustimmend gegenüberstehen, lediglich „Nachbesserungen“ am Vorschlag der EU-Kommission fordern, lehnen Staaten wie Irland, Großbritannien, Dänemark, Tschechien oder Ungarn die Idee verpflichtender Quoten grundsätzlich ab.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, innerhalb von zwei Jahren 40.000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea, die gute Chancen auf die Gewährung von Asyl haben, auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Eine solche Quotenlösung wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein; dass um sie trotzdem ein Streit entstehen konnte, führt einmal mehr vor Augen, wie es um die inner-europäische Solidarität bestellt ist.

Der Grenzkonflikt zwischen Italien und Frankreich ist die jüngste Bestätigung hierfür: Hunderten afrikanischen Migranten, die sich auf italienischem Territorium befanden, war die Einreise nach Frankreich verwehrt worden. Sie hatten daraufhin tagelang an der Grenze ausgeharrt, bis sie von italienischen Polizisten weggeschafft wurden.

In Ungarn plant man indessen die Errichtung eines vier Meter hohen Grenzzauns an der ungarisch-serbischen Grenze, über die vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan in den Schengenraum kommen.

Die Toten kommen

Während die EU-Außen- und Innenminister im Konferenzzentrum auf Kirchberg tagten, versammelten sich vor der Tür etwa hundert DemonstrantInnen zu einem „Cercle de silence“. Aufgerufen dazu hatten mehrere Menschenrechts-Organisationen, aber auch die Gewerkschaften OGBL, LCGB und Landesverband. Wie schon bei der Kundgebung im April nach dem Tod Hunderter MigrantInnen im Mittelmeer (woxx 1316) war eine der Hauptforderungen die Einrichtung legaler Fluchtwege in die EU.

Außenminister Jean Asselborn, der das Gespräch mit den TeilnehmerInnen des „Cercle de silence“ suchte, betonte die Wichtigkeit einer Einigung zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten. „Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien, aber auch Großbritannien zum Teil, sind sich bewusst, dass ein Scheitern nicht nur der Glaubwürdigkeit Europas massiv schaden würde, sondern auch Schengen in Gefahr bringen könnte“ erklärte er vor der Tür des Konferenzzentrums.

Währenddessen sorgt das deutsche „Zentrum für politische Schönheit“, ein Kollektiv von „Aktionskünstlern“ und Kreativen in Berlin mit seiner letzten Aktion „Die Toten kommen“ für Aufmerksamkeit. An den europäischen Außengrenzen umgekommene Flüchtlinge, die zum Teil in Massengräbern verscharrt wurden, sollen exhumiert, mit dem Einverständnis der Familien nach Berlin überführt und dort würdig begraben werden.

Eine im Mittelmeer ertrunkene Syrerin und ihr zweijähriges Kind wurden so bereits bestattet. Höhepunkt der Aktion wird eine Demonstration vor dem Bundeskanzleramt mit mehreren Begräbnissen sein. Auf Kritik an der Aktion antwortete das Zentrum für politische Schönheit: „Zynisch ist nicht dieses Projekt. Zynisch ist eine Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen stolpern muss, um hoffentlich wahrzunehmen, dass die Flüchtlinge keine statistische Größe sind, sondern Menschen, die ein Recht auf unsere Unterstützung haben.“


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