Gefühle in der Politik
: Die Sprache der Stimmungen

Am kommenden Mittwoch diskutieren die Soziologen Didier Eribon und Heinz Bude in der Abtei Neumünster darüber, wie mit Stimmungen und Stimmungsmache politisch umgegangen werden soll. Die woxx hat schon einmal vorgefühlt.

Die Sprachendiskussion kann laut dem Soziologen Heinz Bude als Ausdruck einer Stimmung gesehen werden, wonach die Luxemburgische Gesellschaft ihr „inneres Senkblei“ verliere. (Foto: Wikipedia)

Die Sprachendiskussion kann laut dem Soziologen Heinz Bude als Ausdruck einer Stimmung gesehen werden, wonach die Luxemburgische Gesellschaft ihr „inneres Senkblei“ verliere. (Foto: Wikipedia)

„German Angst“ – im angelsächsischen Raum benennt man so die befremdliche Neigung der Deutschen, in jeder gesellschaftlichen Problematik sogleich apokalyptisches Potenzial zu erkennen. Egal ob es um das Waldsterben oder die Stationierung von Pershing-Raketen ging, jede Entwicklung schien man in Deutschland mit einer gespannten Angstlust zu verfolgen. Insbesondere in Großbritannien und den USA weckte das unangenehme Erinnerungen an den Nationalsozialismus. Schließlich hatten sich die Deutschen schon einmal an die Verwirklichung einer apokalyptischen Vision gemacht, in welcher der Mord an den europäischen Juden dann als Notwehrhandlung zum Schutz der eigenen Identität firmierte. Diese Skepsis gegenüber dem wahnhaft-irrationalen Verhalten der Deutschen bringt das Wort von der „German Angst“ auf den Begriff.

Für den kommenden Mittwoch lädt nun das Institut Pierre Werner mit dem Titel „European Angst“ zu einer Diskussionsrunde in die Abtei Neumünster ein. Mit dem Motto stellen die Veranstalter implizit eine These in den Raum: In ganz Europa verbreitet sich ein irrationales Angstgefühl, das große Teile der europäischen Bevölkerung dazu bringt, in inhumaner Weise auf vermeintliche und tatsächliche gesellschaftliche Krisen zu reagieren, indem sie eine entsprechende Politik zumindest in der Wahlkabine unterstützen. Geladen sind deshalb zwei Soziologen, die den Zusammenhang auf recht unterschiedliche Weise analysieren: Heinz Bude von der Universität Kassel und Didier Eribon von der Universität Amiens.

Für Heinz Bude macht die Rede von der „European Angst“ durchaus Sinn. „Ich glaube das ist gar nicht mal auf Europa beschränkt“, so Bude im Gespräch mit der woxx: „Wir erleben im gesamten Raum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der OECD, eine Stimmung der Bedrohtheit, des Zu-Ende-Gehens, zum Teil sogar auch des Verteidigen-müssens.“ Davon zeugen laut Bude auch die Wahlerfolge des Front National und der britische Brexit-Entscheid. Angesichts von Entwicklungen wie dem Aufstieg der Schwellenländer wie China und Indien, so der Soziologe, „herrscht in allen Gesellschaften der OECD eine Stimmung, wonach möglicherweise eine Periode zu Ende geht“. Damit sei zum einen das geopolitische Gefüge und die internationale Machtbalance gemeint, aber auch das „kulturelle Erbe“.

Die Sprachendiskussion in Luxemburg reiht sich Bude zufolge in diese Entwicklung ein: „In vielen europäischen Gesellschaften breitet sich eine Stimmung aus, wonach man sein inneres Senkblei verliert.“ Dann stelle man sich plötzlich die Frage, was es bedeutet, beispielsweise luxemburgisch oder britisch zu sein.

„Die Beschreibung von Politik als einem rationalen Geschäft gilt höchstens idealtypisch.“

In seinem jüngsten Buch „Das Gefühl der Welt“ hat sich Bude daher der Macht kollektiver Stimmungen in der Gesellschaft zugewandt. „Gesellschaften sind immer schon sehr viel mehr von Gefühlen und gefühlsmäßigen Weltauffassungen bestimmt gewesen ist, als wir das in einer bestimmten Phase der gesellschaftlichen Entwicklung glauben“, so der Soziologe: „Die Beschreibung von Politik als einem rationalen Geschäft, wo Argumente ausgetauscht werden und wo man gemeinsam um bessere Lösungen streitet, gilt höchstens idealtypisch.“

Wer daher in gesellschaftlichen Konflikten und Debatten stur auf einen Rationalitätsanspruch poche, verschließe sich einem wichtigen Teil der Realität: „Stimmung ist ein Begriff, der eine komplexe Situationsbeschreibung enthält, nämlich sinnlich-gefühlsmäßige ebenso wie rationalen Bestandteile.“ Hinzu kämen die Wertungen, die für die Auffassung einer Situation bestimmend sind: „Das ist etwas, das wir jetzt erst so richtig kapieren in den Sozialwissenschaften, dass da auch solche Elemente enthalten sind.“

Daher nütze es häufig nicht viel, in Bezug auf geäußerte Ängste mit Fakten und Argumenten zu reagieren, um aufzuweisen, dass diese Ängste unbegründet sind: „Auch für den politischen Diskurs ist es wichtig, eine solche Stimmung des Bedrohtseins erst einmal zur Kenntnis zu nehmen.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel etwa habe das in der Debatte um die Flüchtlingspolitik erst viel zu spät bemerkt.

Auch Budes französischer Kollege Didier Eribon widmet sich der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage. Sein Ausgangspunkt hinsichtlich des Migrationsthemas ist jedoch vielmehr, dass der Hass auf Ausländer den politischen Begriff von Herrschaft und damit auch eine fortschrittliche Perspektive für die Überwindung von Problemen verdrängt. Immerhin jedoch, so Eribon vor kurzem in der deutschen Wochenzeitung „Zeit“, hätten die vermeintlichen Protestwähler in den verschiedenen Ländern zumindest eines erreicht: „Plötzlich reden alle darüber, wer diese Leute sind und was sie wohl wollen könnten. Sonst kommen sie im politischen Diskurs schlicht nicht vor. Die Frage ist eher: Wie ist es möglich, so viele Menschen im politischen Alltag zu ignorieren?“

An diesem Punkt konvergiert die Analyse der beiden Soziologen, denn wie Bude konstatiert auch Eribon ein Versäumnis, hinzuhören. „Es gibt in Europa sehr viele Menschen, die marginalisiert sind, die verzweifelt sind, die über das, was in ihrem Leben vor sich geht, wütend sind. Die nicht nur keine Arbeit haben, sondern die sich auch nicht mehr vorstellen können, dass sie jemals wieder einen Job bekommen werden oder dass es ihren Kindern eines Tages besser gehen wird“, so Eribon in der „Zeit“: „Und diese Leute haben kaum eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen: Wenn man keine Arbeit hat, kann man nicht streiken.“

Die Rückkehr aufs öffentliche Forum ist auch als Reaktion auf diese Realität zu verstehen, etwa in Spanien durch die Podemos-Bewegung oder in Frankreich durch die „Nuit Debout“. Doch obwohl Didier Eribon für beide Sympathien hat, kritisiert er die Rhetorik von Podemos als „genau die gleiche wie die des Front National“. Der Nuit-Debout-Bewegung wirft er ihre völkische Ideologie vor, etwa weil der Begriff des „commun“ so zentral sei, während individuellen Anliegen wenig Bedeutung beigemessen wird. Beides ist für ihn Ausdruck eines grassierenden Konservativismus. Als Homosexueller musste auch Eribon schmerzvoll feststellen, dass seine Situation in der Linken als von nachrangiger Bedeutung qualifiziert wurde oder auf Grund des Plädoyers für individuelle Bedürfnisse sogar als verdächtig, als gemeinschaftsfremd oder neoliberal: „In meinem ganzen Leben ist es stets so gewesen, dass ich nicht gemeint war, wenn vom Dörflichen, vom Gemeinsamen, vom öffentlichen Interesse gesprochen wurde“, so Eribon in der „Zeit“.

Das Interessante an Didier Eribons Buch „Rückkehr nach Reims“, so Heinz Bude, sei dass es selbst von einer Stimmung geleitet sei: jene eines großen Bedauerns, das in Europa derzeit vielerorts anzutreffen sei. „Ein Bedauern über eine dreißigjährige Entwicklung, die wir erlebt haben und die manche als neoliberal bezeichnen. Und Eribon sagt, jetzt kriegen wir die Quittung für diese Entwicklung, nämlich dass diejenigen, über die wir hinweggegangen sind, jetzt sagen, da machen wir nicht mehr mit.“

Sein eigenes Buch charakterisiert Bude als den „Versuch, in der Stimmung einer gewissen Gelassenheit wahrzunehmen, wie die Dinge sind, um sich dann die Möglichkeit zu geben, in einer nicht panischen Weise und gleichzeitig auch nicht relativierenden Weise dazu verhalten zu können.“ Für eine „Stimmung der Kenntnisnahme“ wolle er schreiben, so der Soziologe aus Kassel, weil der endlose Verweis darauf, welche Ängste angesichts von Fakten unbegründet seien, zu nichts als dem Abbruch der Kommunikation mit den Geängstigten führen.

Das Problem ist nur, dass auf dieser Erkenntnis ja gerade auch die Strategie der Rechten beruht. „Facts don’t work“, brachte Arron Banks, einer der Begründer der „Leave“-Kampagne, das vor einiger Zeit hinsichtlich des Brexit auf den Begriff: „Fakten funktionieren nicht“. Die EU-Befürworter hätten die Leute mit Fakten bombardiert, doch: „Man muss einen emotionalen Kontakt zu den Menschen herstellen. Das ist das Erfolgsrezept von Trump.“

Doch hat Trumps Rezept nicht einfach nur mit gekonnter Stimmungsmache zu tun. Didier Eribon, der in „Rückkehr nach Reims“ darüber schreibt, wie sich seine Familie den Kommunisten ab- und dem FN zugewandt hat, meint, seine Familie sei schon rassistisch gewesen, als sie noch die Kommunisten gewählt habe; heute sei sie nicht mehr oder weniger rassistisch als früher. Mit dem Zuhören allein wird sich das Problem des Rechtsrucks also möglicherweise nicht überwinden lassen.


Am Mittwoch, den 12. Oktober diskutieren die beiden Soziologen Didier Eribon und Heinz Bude um 19 Uhr in der Abtei Neumünster darüber, weshalb nationalistische und euroskeptische Parteien im Aufwind sind und welchen gesellschaftlichen Entwicklungen sich die Menschen ausgeliefert sehen. Heinz Bude ist Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Jüngst ist von ihm das Buch „Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen“ im Carl Hanser Verlag erschienen. Didier Eribon lehrt Soziologie an der Universität von Amiens. Seine 2009 veröffentlichte autobiographisch unterlegte Studie „Retour à Reims“ ist mittlerweile auch auf Deutsch in der Edition Suhrkamp erhältlich. Die Veranstaltung findet in deutscher und französischer Sprache mit Simultanübersetzung statt.


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