Genuss und Überdruss
: Vom Traum, einmal gelebt zu haben

Blicken ex-Linke zurück, so wirkt das Resultat meist recht abgeschmackt. Doch Ulrich Peltzer zeigt in seinem neuen Roman, dass angesichts einer leblos-statischen Gegenwart selbst die nostalgische Sehnsucht noch subversives Potenzial bewahrt.

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Seine Romane dienen ihm auch zur Selbstbefragung: Der 1956 geborene Schriftsteller Ulrich Peltzer. (Foto: Internet)

Jeder gute Roman eines Alt-Linken beginnt mit ‚seiner‘ erlebten Revolution oder vielmehr den Erinnerungen an sie. Und wie bei einer verflossenen Liebe ist die Erinnerung zwar schemenhaft, doch meist erhabener als es die Realität je war. Für den Protagonisten von Ulrich Peltzers Roman „Das bessere Leben“ ist das die 68er-Revolte und die traumatische Erinnerung an den 4. Mai 1970 in Ohio, als die amerikanische Nationalgarde auf Studierende schoss, die gegen den Einmarsch der USA in Kambodscha demonstrierten. Die damals neunzehnjährige, rothaarige schöne Allison wird dabei getötet. Verloren ist nicht nur die bewunderte Frau, sondern auch der unbeschwert fröhliche studentische Protest, der gewaltlose Optimismus der Weltverbesserung.

Vierzig Jahre später, in einer unruhigen Nacht in einem Luxushotel in Sao Paolo wird der als „Risikoberater“ mit Versicherungen handelnde Sylvester Lee Fleming, in der Suite seines Hotels liegend, wieder einmal von Alpträumen geplagt, die sich aus der Erinnerung an jene Ereignisse speisen. Sein Leben hat einen anderen Weg genommen als es die Zeit als Revoluzzer einst versprach: Er arbeitet viel, reist allein geschäftstüchtig durch die Welt, leidet nicht unter Geldmangel – Politik ist ihm nur mehr eine Randbedingung gelingender Investitionen.

Das Phantasma einer Jugend, in der man für Ideale kämpfte, die man irgendwann hinter sich ließ, und die Jahrzehnte später noch immer im Kopf herumspuken, wird in dem sorgsam aus zufälligen Ereignissen gestrickten Roman immer wieder zutage treten: Etwa wenn Jochen Brockmann, erfolgreicher Sales Manager eines Turiner Unternehmens für Beschichtungsmaschinen, mit seiner Tochter Elisabetta eine Ausstellung der afroamerikanischen Künstlerin Renée Green in Mailand besucht – die in ihren Installationen und Videos just die Szene an der Kent State Universität, Ohio 1970, eingebettet hat. Welches war das Ereignis, das die biographische Wende brachte? Und war es Feigheit, Bequemlichkeit, Angst vor der Gewalt oder die fehlende politische Perspektive?

In Peltzers Roman wirkt gerade der Beginn des Romans etwas bedeutungsschwer und konstruiert. Doch liest man die Szene der Uni-Revolte dankbar, wie eine Chiffre, nach der man (als LeserIn) giert, um dem ansonsten flimmernden Roman in einer Welt der Finanz-Codes und Deals unter erfolgreichen Geschäftsmännern einen tieferen Sinn zu geben. Denn auch der zweite Protagonist der Geschichte, Jochen Brockmann, der bei seinem ersten Auftritt in Lugano eine hohe Schwarzgeldsumme per Automat von einem Konto abhebt, ist ein von Unruhe getriebenes Wesen.

Erst in der zweiten Hälfte des Romans werden sich die beiden global agierenden Finanzhaie begegnen. Fleming erscheint als Verführer und Retter gerade zum richtigen Zeitpunkt, als Brockmann die Optionen auf Kredite und Finanzinvestitionen auszugehen drohen. In einem alkoholgetränkten Dialog über den Lebenssinn und das bessere Leben wird Fleming zwischen Champagner, Pulpo, Muscheln und Avocado-Stückchen wie ein Mephisto locken mit dem großen Geld.

Brockmann wird der Versuchung erliegen: „Und alle streben nach einem besseren Leben. – Vermutlich“. Fleming wird entgegnen: „Nicht vermutlich, Jochen, das ist seit den Höhlenmenschen so. Auf diese Weise kommt überhaupt erst der Fortschritt in die Welt. Und das Chaos. Das man in den Griff kriegen muss. Darum geht’s“.

Was brachte die biographische Wende? War es Feigheit, Bequemlichkeit, Angst vor der Gewalt oder die fehlende politische Perspektive?

Beinahe karikierend wirkt Peltzer, wenn er die beiden Herren in ihrer Gier nach gutem Essen, Alkohol und dem nächsten Deal auf ihre männlichen Urtriebe reduziert: „Ich brauche jetzt Fleisch, dachte Brockmann und winkte einem der gestiefelten Kellner zu, die (waren alle als Gauchos verkleidet) mit Spießen und Messern von Tisch zu Tisch liefen.“

Mitreißend und amüsant sind viele Passagen des Romans, der zu seinen Protagonisten Abstand wahrt. Sehr viele Anspielungen, vielleicht eine etwas zu konstruierte Erzählweise und die filmschnittartig häufigen Perspektiv- und Ortswechsel machen es zuweilen jedoch etwas anstrengend, dem Erzählfluss zu folgen. Die zwischendurch immer wieder eingeschobenen Reflexionen zu linken Theoriediskussionen über den richtigen Weg bleiben verschiedentlich unvermittelt neben der Geschichte und ihren Protagonisten stehen, als eine Art Selbstbefragung des Autors. Seine von Unruhe getriebenen Figuren bleiben dadurch ein wenig artifiziell und sind nie richtig zu greifen. Auf 445 Seiten gewinnt man distanziert und mit einem diffusen Unbehagen Einblick in das Leben von zwei Prototypen.

Letztlich sind es viele einzelne Passagen, die in ihrer Sprache überzeugen, etwa eine Stelle, in der über die Willkürlichkeit von Grenzziehungen reflektiert wird: „Überall gibt es Staaten, wozu? War und ist ein Staat jemals etwas anderes, als das, was Engels irgendwo in einem Aufsatz den „ideellen Gesamtkapitalisten“ nennt – auf andere Gesellschaftsformen übertragen der ideelle antike Gesamtrepublikaner (Vollbürger, männlich) oder der ideelle Gesamtsklavenhalter (white people only)? Der Staat als Verwaltungsinstanz von Überschüssen, die daraus resultierenden Mittel für Luxusgüter, Tempelanlagen, Militär. Oder ist der Staat auf einmal da, und keiner weiß, woher?“ Oder jene starken Monologe, die die Zerrissenheit seiner Figuren offenbaren, etwa wenn Fleming über den Zwiespalt seines Jobs reflektiert und daraus durchaus hervorgeht, dass er sich als Abzocker sieht.

Der Roman, der es 2015 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte, ist eine Erzählung im Zeichen der Finanzkrise. Der von Genuss, Geldgier und doch zugleich Anspruchslosigkeit gegen sich selbst getriebene Mensch tingelt schier bezugslos durch die globalisierte Welt und findet nirgends sein Glück: vor allen Dingen keine sozialen Beziehungen, die ein besseres Leben wahrscheinlich machen.

Peltzers Bildsprache entspricht der post-feudalen Kapitalherrschaft des globalisierten Kapitalismus. Was nach der Lektüre über den fast zwanghaften Genuss alltäglicher Luxusgüter bleibt, ist die Sehnsucht nach der Revolte für ein besseres Leben, nach einer Zeit, in der zumindest die Bekämpfung der Staatsgewalt noch Sinn gebend war. Darin liegt vermutlich das subversive Potenzial des Buchs. Es ist das nostalgische Werk eines Alt-Linken, der letztlich klüger geworden ist, weil er keine Antwort auf die Frage nach dem besseren Leben gibt.

Ulrich Peltzer: Das bessere Leben. 
Fischer Verlag, 448 Seiten.

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