Geschlechtergerechtigkeit: Frauen wählen 
reicht nicht

Welche Partei wird sich in der nächsten Legislaturperiode wohl am ehesten für Chancengleichheit einsetzen? Ein Blick in die Wahlprogramme erlaubt eine erste Prognose.

Zahlreiche Parteien sehen Maßnahmen vor um zu verhindern, dass Frauen nach einer Scheidung in die Armut abrutschen. (Bilder: Pixabay)

Es gibt Diskussionen, die aus der Zeit kurz vor sowie kurz nach Wahlen nicht wegzudenken sind. Dazu zählen natürlich vor allem Spekulationen über mögliche Koalitionen. Ein weiteres Thema ist die paritätische Besetzung der Chamber beziehungsweise der Regierung. Zurzeit ist in ersterer knapp ein Drittel, in letzterer nicht einmal ein Viertel weiblich.

Das soll sich künftig ändern: Bei den diesjährigen Wahlen mussten die Parteien erstmals eine 40-Prozent-Quote einhalten, um auf eine vollständige Finanzierung zurückgreifen zu können. Fast allen Parteien ist dies geglückt und so handelt es sich bei 46 Prozent der Kandidat*innen um Frauen – das sind 11 Prozent mehr als noch bei den letzten Parlamentswahlen. Déi Lénk haben sogar insgesamt mehr Frauen als Männer auf ihren Listen, den Grünen ist ein 50-50 Verhältnis gelungen. Einzig die Piraten konnten die 40-Prozent-Marke nicht erreichen.

Nun liegt die weitere Verantwortung bei den Wähler*innen. „Unser Wahlsystem favorisiert das Wählen von Köpfen und in einem solchen System werden hauptsächlich Männer gewählt“, stellte Karin Manderscheid, Präsidentin des Conseil national des femmes du Luxembourg (CNFL) am Dienstag der Presse gegenüber fest. Das liege unter anderem daran, dass Männer verstärkt in der Öffentlichkeit auftreten würden und dadurch einen höheren Bekanntheitsgrad hätten. In diesem Zusammenhang appelliert der CNFL an die Verantwortung der Medien, sich zum Beispiel bei Podiumsdiskussionen für eine gleichgewichtige Repräsentation beider Geschlechter einzusetzen. Um dem Wahlverhalten entgegenzuwirken, schlägt die Organisation zudem eine relativ simple Methode vor: mehr Frauen als Männer wählen. Würde diese Empfehlung breitflächig angewendet, könnte das die Chancen auf Parität in der Regierung deutlich steigern. Zugleich wäre die Repräsentativität von Frauen in der Politik erhöht und damit ein wichtiger Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft geleistet.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Nicht nur weil die Zahl an wahlberechtigten Menschen, die dem Aufruf des CNFL nachkommen müssten, um dieses Ziel zu erreichen, einfach zu hoch ist. Es spielt auch eine Rolle, wer die gewählten Frauen sind und welcher Partei sie angehören. Denn nicht jede Partei hat sich die Förderung von Chancengleichheit gleichermaßen zum Ziel gesetzt.

Auf ebendiese Problematik angesprochen, geraten die Repräsentantinnen des CNFL leicht ins Stocken. Es sei nicht ihre Aufgabe, die Wahl einer bestimmten Partei zu empfehlen, das müssten die Wähler*innen schon selbst entscheiden. Die Implikation dahinter ist, dass sich aus den jeweiligen Programmen herauslesen lässt, wer die Interessen des unterrepräsentierten Geschlechts am ehesten zu vertreten gedenkt. Eine ebensolche Analyse präsentierten Vertreterinnen der CNFL am vergangenen Dienstag der Presse. Zu diesem Zweck stellten sie ihre Hauptforderungen vor, die in den jeweiligen Wahlprogrammen mal mehr, mal weniger Beachtung fanden.

Mehr finanzielle Unabhängigkeit

Nun ist es so, dass nicht nur die Kapitel, die sich explizit mit der Chancengleichheit befassen, für die Förderung dieser ausschlaggebend sind. Man muss also schon ganz genau hinschauen, um festzustellen, welche Parteien eine Politik zum Vorteil des unterrepräsentierten Geschlechts betreiben. Eine zentrale Forderung des CNFL besteht darin, das Scheidungsrecht nachzubessern und sich der Rentenproblematik zu widmen. Dadurch soll verhindert werden, dass Frauen von ihren Ehemännern finanziell abhängig sind und nach einer Scheidung in die Armut abrutschen. Eine Forderung, die von Déi Gréng und DP aufgegriffen wurde, ist das Rentensplitting, also die obligatorische Aufteilung der Pensionsrechte. Zeitgleich sollte, dem CNFL zufolge, die Besteuerung innerhalb einer Ehe individualisiert werden, was sowohl Déi Lénk als auch Déi Gréng fordern. Seit 2017 ist zwar eine optionale Individualisierung möglich, das würde, so der CNFL, aber nicht ausreichen.

Ferner setzt sich der CNFL dafür ein, im Scheidungsprozess das Schuldprinzip wieder einzuführen. Es könne nicht sein, so Direktionsbeauftragte Raskin, dass Ehepartner*innen bestimmte Pflichten hätten, eine Nichteinhaltung jedoch nicht sanktioniert werde. Für eine solche Wiedereinführung haben sich in ihren Programmen sowohl CSV als auch ADR ausgesprochen. Die DP will die Abschaffung des Schuldprinzips auf seine Wirksamkeit und Praxistauglichkeit hin überprüfen.

Der CNFL würde außerdem die Einführung eines Elterngeldes begrüßen, bei dem Rentenbeiträge übernommen werden, wie es die ADR fordert, sowie die staatliche Übernahme von Rentenbeiträgen bei Teilzeitarbeit, wie es KPL und LSAP vorsehen.

Ein Dorn im Auge ist dem CNFL besonders die Steuerklasse 1A, unter welcher vor allem Alleinerziehende leiden würden. Sowohl Déi Gréng, KPL, DP, Déi Lénk wie auch Piraten wollen die Steuerklasse 1A gänzlich abschaffen. Die LSAP will sie zwar nicht abschaffen, dafür aber verbessern. Unter anderem soll die Steuergutschrift für Alleinerziehende deutlich angehoben werden. Die CSV will die Steuerkategorie 1A laut ihrem Wahlprogramm lediglich einer Prüfung unterziehen.

Kritik übte der CNFL auch am Gesetz zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention. Hier sei es verpasst worden, die Verjährungsfristen für Vergewaltigungen von den aktuellen zehn auf 30 Jahre zu erhöhen, was es ermöglichen würde, die Täter auch noch 30 Jahre nach der Tat strafrechtlich zu verfolgen. Im Programm der DP ist vorgesehen, die entsprechende Verjährungsfrist ganz aufzuheben. Die LSAP gedenkt, sämtliche Verjährungsfristen zu überarbeiten. Ebenfalls am besagtem Gesetz bemängelt der CNFL, dass psychische Gewalt nicht unter Strafe gestellt worden sei. Eine solche Änderung wird von Déi Gréng gefordert.

Bezüglich des Wohnungsbaus hat der CNFL seine Forderungen vornehmlich nach den Interessen der Opfer häuslicher Gewalt ausgerichtet. Diesen müssten Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. „Es muss unbedingt verhindert werden, dass die Opfer wieder zum Täter zurückkehren, weil sie ansonsten kein Dach über dem Kopf haben“, so Raskin. Dieser spezifische Aspekt werde zwar von keiner Partei aufgegriffen, in allen Programmen fänden sich aber Vorhaben, erschwingbares Wohnen zu fördern. Auch der öffentliche Transport sollte laut CNFL zugänglicher werden. Dies sei vor allem deshalb notwendig, weil sich preiswertere Wohnungen meist außerhalb der Städte befänden. Eine in diese Richtung gehende Forderung findet sich bei Déi Lénk in Form einer Charta für einen frauengerechten öffentlichen Transport.-

Transversaler Ansatz

In seiner Analyse ging der CNFL längst nicht auf alle Aspekte ein, die im Sinne von mehr Geschlechtergerechtigkeit verändert werden müssten. „Dazu hätte man ein ganzes Buch verfassen müssen“, erklärte Anik Raskin humorvoll.

Konkrete Maßnahmen, um mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, finden nur in den Programmen von drei Parteien Erwähnung: Déi Gréng, Déi Lénk, und LSAP. Ein Bezug auf Feminismus findet sich einzig bei Déi Gréng.

Letztere wollen auch bei Kommunalwahlen eine Quote einführen und bestehende Lohnungleichheit durch obligatorische Gleichstellungspläne reduzieren. Déi Lénk fordern, Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeiter*innen dazu zu verpflichten, ihre Konformität mit dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zertifizieren zu lassen. Die LSAP will eine 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte von Unternehmen mit Staatsbeteiligung einführen. Die DP unterstreicht vor allem die geleistete Arbeit, weitere Ambitionen in puncto Gleichstellungspolitik werden lediglich vage angedeutet. Auch CSV und Piraten drücken sich in dieser Hinsicht eher allgemein aus.

Dass sich manche Parteien in ihren Walprogrammen nicht zu diesen Fragen äußern, ist problematisch. Die ADR geht zwar auf einige Aspekte ein, allerdings nicht immer zum Vorteil der Chancengleichheit. So spricht sie sich gegen eine gesetzliche Frauenquote aus und vertritt die Ansicht, dass der Staat die persönliche Lebensplanung nicht beeinflussen darf. In den Augen der ADR hat ein Ministerium für Chancengleichheit heutzutage keine Existenzberechtigung mehr.

Eine paritätische Besetzung von Chamber und Regierung wäre kurzfristig gesehen ein Erfolg. Diese Repräsentativität könnte sicherlich dazu beitragen, dass sich künftig mehr Frauen politisch engagieren. Denkt man jedoch über die kommende Legislaturperiode hinaus, ist die ausschlaggebende Frage, welche Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden. Wie der CNFL am Dienstag deutlich machte, geht es dabei nicht nur um Chancengleichheitspolitik im engeren Sinne. Geschlechtergerechtigkeit sollte transversal gefördert werden: Bei Renten, Besteuerung, Scheidungen, Wohnungsbau und Justiz ebenso wie etwa bei häuslicher Gewalt. Und da stechen, so der subjektive Eindruck, Déi Gréng etwas hervor.

Alle Forderungen des CNFL können unter http://www.cnfl.lu/site/2018-%20appel%20CNFL%20partis%20politiques%20elections.pdf nachgelesen werden.

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