Grünes Wahlprogramm: Schwafeln für den Sitz

Sollen die Grünen möglichst viel Profil zeigen, um gewählt zu werden? Oder ist ein auf Kompromisse und Regierungsbeteiligung ausgelegtes Wahlprogramm empfehlenswert?

Fototermin im Grünen. Die Bilanzpressekonferenz von Déi Gréng fand dieses Jahr im Müllertal statt. (Foto: lm)

Ist Dabeisein alles? Die Grünen hätten in fünf Jahren Regierungsbeteiligung mehr erreicht als in 26 Jahren Opposition, hielt Parteisprecher Christian Kmiotek auf dem Wahlkongress am 30. Juni fest. Führt man sich die umweltpolitischen Highlights der vergangenen fünf Jahre vor Augen, wie die Geburtshilfe beim Klimaabkommen von Paris oder die Vorentscheidungen für einen massiven Ausbau des Schienenverkehrs, so könnte man ihm Recht geben. Andererseits: Die Entscheidung für die von François Bausch eingeweihte Tram ist vor vielen Jahren gefallen – auf Druck der Zivilgesellschaft und der Oppositionspartei Déi Gréng.

Klimaschutz ohne Ziele

Erklärte Absicht der Grünen ist es jedenfalls, weiter mitzuregieren. Dafür, so die Botschaft an die Wähler*innen, müssen sie gestärkt werden. Konkret hofft die Partei, den Sitz im Süden zurückzugewinnen, den sie 2013 verlor. Diese bescheidene und auf Kurzfristigkeit angelegte Strategie schlägt sich auch im Wahlprogramm nieder, das eher die Kompromisse einer Regierungsbeteiligung vorwegnimmt als die für einen großen Sieg erforderliche Begeisterung zu wecken.

Nicht etwa, dass die grünen Vorschläge alle schüchtern ausfallen würden. So wird für 100 Prozent Biolandwirtschaft plädiert – allerdings nur „langfristig“ (S. 19). Auch die „ökologische Steuerreform“ ist weiterhin Teil des Programms (S. 79). Je nach Sichtweise kann man die grüne Ideenvielfalt begrüßen oder als Zeichen für die Misserfolge bei der bisherigen Regierungsbeteiligung werten. Vor allem fällt auf, dass viele Forderungen vage formuliert sind. So soll Luxemburg mittels eines „Klimaschutzgesetzes“ dazu beitragen, die Erderwärmung „auf deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen. Zahlenangaben hierzu gibt es keine – anders als im LSAP-Programm, das allerdings unsinnig niedrige Ziele vorgibt. Es sind die Wahlforderungen des von Lokalpolitiker*innen aller Couleur getragenen Klimabündnisses, in denen sich die Zahlen finden, die man in einem grünen Wahlprogramm erwarten könnte.

Im Kapitel Mobilität fehlt es erwartungsgemäß nicht an qualifizierten umweltfreundlichen Vorschlägen (ab S. 82). Beim Tanktourismus sollen allerdings nur „mittelfristig“ die „Spielräume“ genutzt werden, die sich aus der Ende 2016 vorgelegten Studie ergeben. Diese hatte zwar harsche Kritik an der Politik des Treibstoffexports geübt, sich aber nicht für die eigentlich logische massive Anhebung der Spritpreise ausgesprochen. Das Unterkapitel „Belastung durch Flugverkehr reduzieren“ dürfte angesichts der Passivität des Verkehrsministers in dieser Frage den Betroffenen wie ein Witz vorkommen. Auffallend ist auch, dass das Unterkapitel von 2013 „Güterverkehr auf die Schiene verlegen“ aus dem Programm verschwunden ist. Dafür ist „Straßen bauen für das 21. Jahrhundert“ hinzugekommen – mit mehreren nicht unumstrittenen Neu- und Ausbauprojekten (S. 85).

Mehr Demokratie wagen

Bereiten sich die Grünen so auf eine schwarz-grüne Koalition vor, bei der sie ihre Ideale verraten müssten? Die Frage wurde 2013 bereits gestellt und dann kam doch alles anders. Seinerzeit wurde parteiintern über mit den Grundrechten zusammenhängende Themen gestritten. Erstaunlicherweise sucht man im diesjährigen Wahlprogramm vergeblich nach Aussagen zu Spitzeldienst und Abschiebeknast. Die Ablehnung „flächendeckender“ Kameraüberwachung gilt dagegen weiterhin. Die Vorratsdatenspeicherung wurde, entgegen der Position im 2013er-Wahlprogramm, von Justizminister Felix Braz nicht eingeschränkt. Die Aussage von damals findet sich auch nicht im – ansonsten durchaus kritischen – Kapitel zum Datenschutz wieder (ab S. 107). Zum Burka-Verbot, das Braz ebenfalls angekreidet wird, gab es vor fünf Jahren noch keine Aussage.

Im Bereich Gesellschaftspolitik geben sich die Grünen konsequent fortschrittlich, angefangen mit der Sternchen-Schreibweise: Aus den „Bürgerinnen und Bürger” von 2013 sind „Bürger*innen“ geworden. Zum Ausländerwahlrecht auf nationaler Ebene macht ihr Programm keine grundsätzliche Aussage. Immerhin erwähnt Déi Gréng, anders als die LSAP, das misslungene Referendum und will dessen Ausgang „respektieren“ (S. 48). Für die Beteiligung von Ausländer*innen an Europa- und Kommunalwahlen hat die Partei Vorschläge bereit. Das Wahlrecht ab 16, das die Jusos ins LSAP-Programm gehievt haben, fehlt, obwohl es ein mit „Die Jugend ernst nehmen“ übertiteltes Unterkapitel gibt.

Dass Demokratie den Grünen ein Anliegen ist, zeigen Kapitel wie „Politische Bildung und freie Medien stärken“ (S. 64) und „Demokratische Institutionen stärken“ (S. 77). Die Partei lehnt sowohl die regionalen Wahlbezirke als auch den Kumul von Schöffenrats- und Abgeordnetenmandat ab – ähnlich wie die LSAP. Die Aussagen zur Legalisierung von Cannabis sind ebenfalls bei beiden Parteien fast deckungsgleich – außer dass Déi Gréng einen „biologischen und lokalen Anbau der Pflanzen“ fordert.

Die Verankerung der Partei in ihrer linksgrünen Vergangenheit zeigt sich auch in den Kapiteln zur internationalen Politik. Wie bereits 2013 fordert Déi Gréng, „die Nato [zu] reformieren, damit sie in die Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen integriert werden kann“ (S. 116). Neu sind kritische Aussagen zum Zwei-Prozent-Ziel und zu den Atomwaffen. Das wird nicht allen Pazifist*innen genügen. Doch in den Augen der heutigen Grünen ist ein Austritt aus der Nato – anders als ein Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag – keine Option.

„Die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik ist repressiv, unsolidarisch und auf Abschottung ausgerichtet. Diese Abschottung ist unmenschlich und verschärft auf Dauer die Probleme. Das möchten wir ändern.“ Das Unterkapitel zur Flüchtlingspolitik (ab S. 50) klingt bemerkenswert humanistisch und hebt sich damit vom Ton des LSAP-Programms – und voraussichtlich von den noch ausstehenden Programmen der anderen „Volksparteien“ – ab. Zwar fehlen Aussagen zum Abschiebeknast, dafür reichen die Verbesserungsvorschläge von der Ausweitung der legalen Immigration auf EU-Ebene bis zum Zugang zum Arbeitsmarkt.

Digital, ökologisch, sozial – wie geht das?

Um die überraschend fundierten und detaillierten Kapitel zur Digitalisierung dürften andere Parteien die Grünen beneiden (ab S. 102). Die Rifkin-Partei LSAP kann mit ihrer recht defensiven Herangehensweise nicht wirklich mithalten, wenn es um die Nutzung der Chancen der Plattformökonomie geht. Und die technisch kompetenten Pirat*innen vernachlässigen die sozialen Aspekte. Die Grünen wollen „das Arbeitsrecht an neue Formen der Beschäftigungsverhältnisse in der Plattformökonomie anpassen, damit die Arbeitnehmer*innenrechte geschützt bleiben“ – ein adäquater Ansatz, um die Digitalisierung zu steuern, ohne sie auszubremsen. Abgesehen von ihrer paradoxen Abneigung gegen Steinwollfabriken, könnte man ihnen höchstens vorwerfen, ein bisschen technikverliebt zu sein, wenn sie Elektromobilität und Telematik als Lösung aller Probleme darstellen.

Sind die Grünen auf dem sozialen Auge blind, wie es ihnen ihre Widersacher*innen unterstellen? Manchmal hat man zumindest den Eindruck, dass sie mit Floskeln wie „Naturschutz ist Menschenschutz“ die sozialen Fragen übertünchen wollen. Begriffe wie Kinderarmut, soziale Gerechtigkeit und Umverteilung findet man im grünen Programm höchstens in den internationalen Kapiteln. Andererseits hat die Partei acht Seiten mit ausführlichen Vorschlägen gefüllt, wie man den „Kindern beste Chancen geben“ kann (ab S. 30). Eine Kindergelderhöhung gehört allerdings nicht dazu. Erhöht werden soll dagegen der Mindestlohn (S. 103) – um wie viel, darüber schweigt sich Déi Gréng – anders als LSAP und OGBL – aus. Auch das Kapitel „Wohnraum für alle schaffen“ ist vage formuliert. Doch mit der Betonung der Problematik von Mietwohnungen können sich die Vorschläge in sozialer Hinsicht durchaus sehen lassen.

Beim urgrünen Thema Arbeitszeitverkürzung dagegen ist Déi Gréng zu „regierungsfähig“ angetreten. Nachdem die LSAP die 38-Stunden-Woche in ihr Programm aufgenommen hat, nimmt sich die grüne Forderung, eine Diskussion „anzustoßen“, nicht sonderlich zukunftsweisend aus (S. 24). Auch flexible Arbeitszeiten und zusätzliche Urlaubstage haben die Grünen nur für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen vorgesehen – wo die LSAP nun eine sechste Woche Congé payé in Aussicht stellt. Der Versuch, als vorbildliche Familien-Partei dazustehen, scheint die Grünen vergessen zu lassen, über welches politische Potenzial die Idee eines „Green New Deal“ im Zeitalter der Digitalisierung verfügt.


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