SPIELSUCHT: Rien ne va plus

Auf über 4.000 wird hierzulande die Zahl der Menschen geschätzt, die spielsüchtig sind. Das Problem wird dennoch kaum wahrgenommen, Spiel-Junkies haben nur wenig Anlaufstellen. Ein Gespräch mit Betroffenen.

„Faites vos jeux“: Wenn die Kugel in die Rille fällt, geht nichts mehr. Spieler, die in die Suchtspirale geraten, spielen so lange, bis sie verlieren. (Fotos: stoneflower/jasonwell)

„Am Höhepunkt meiner Sucht war ich 300 Tage im Jahr im Casino.“ Rolf (*) blickt zurück. Noch vor anderthalb Jahren drehte sich sein Leben nur um eines: Glückspiel, genauer gesagt Roulette. Das Ambiente am Spieltisch, die Adrenalinstöße beim immer höheren Setzen und die Glücksgefühle beim Gewinnen – all das hatte es ihm angetan. Begonnen hatte es vor einigen Jahren mit einem harmlosen Besuch mit Freunden im Trierer Casino. „Ich hatte 50 DM dabei, verspielte das Geld und damit hatte sich die Sache“, erinnert sich Rolf. Als er fünf Jahre danach wieder einen Fuß ins Spielhaus setzte, löste „eine unwahrscheinliche Glücksträhne“ die verheerende Faszination für das Spielen aus. „Ich ging immer öfter hin, zuletzt fast jeden Tag“, so Rolf, dem vor allem die letzten Monate seiner Spielerkarriere in schrecklicher Erinnerung geblieben sind. „Ich kapselte mich total ab, saß zu Hause im Dunkeln mit heruntergelassenen Rollläden, stellte das Telefon ab und wartete nur darauf, bis am späten Nachmittag eines der Casinos in der Nähe seine Türen öffnete. Am nächsten Tag ging es wieder von vorne los … kurzum: Es ging nur noch ums Spielen.“

Der zunehmende Druck sei irgendwann psychisch kaum noch zu ertragen gewesen, sagt der Mittvierziger, der schon bald unter Depressionen litt und zweimal versuchte, sich das Leben zu nehmen. „Du fährst ins Casino und sagst Dir: Wenn es heute nicht klappt, dann schließe ich ab. Das hat keinen Sinn mehr.“ Für Rolf endete der Trip in die Spielhölle nach gut zwei Jahren schließlich im Knast. Heute liegen ein Jahr Schrassig und fünf Monate Bracelet électronique hinter ihm.

„Du fährst ins Casino und sagst Dir: Wenn es heute nicht klappt, dann schließe ich ab. Das hat keinen Sinn mehr.“

Im Februar beginnt seine Therapie, danach hat er gute Aussichten, vorzeitig von der Fußfessel befreit zu werden. „Erst mit einem gewissen Abstand“, so Rolf, „überblickt man das Ausmaß des Desasters.“ Nahezu tägliche Casinobesuche – das muss erst einmal finanziert werden. Insgesamt 300.000 Euro hat der Frührentner in seiner kurzen Spielerzeit verspielt, gut 60.000 Euro hat er sich direkt bei Freunden geliehen. Auf der Suche nach Barem sei ein Spieler sehr erfinderisch. „Man hat keinerlei Hemmungen“, versichert Rolf. Eine passende Geschichte, die man potenziellen Gebern als Grund für die Geldnot auftischen kann, falle einem immer ein. „Die Mittel sind einem irgendwann völlig gleichgültig, man braucht immer mehr Geld, um der Sucht nachzugehen.“ Als „echter Spieler“ müsse man ein Minimum von 1.000 Euro in der Tasche haben, um loszufahren. Rolf wurde schließlich wegen „escroquerie“ festgenommen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Dass dennoch die meisten seiner Freunde heute zu ihm stehen, ist eine sichtliche Erleichterung für den Ex-Spieler, der nun beschlossen hat, offen mit seiner Krankheit umzugehen. Für die Zeit des „Bracelet“ ist er in das Haus seiner Mutter gezogen. Dass sie ebenso wie seine Partnerin weiterhin an seiner Seite steht, sei „ein großes Glück“, so Rolf. „Auch sie habe ich belogen und habe Geld von ihnen verspielt.“ Verständnis erwartet er nicht unbedingt. „Die meisten Leute können nicht nachvollziehen, was Spielsucht ist“, fügt Rolf hinzu, „das Problem dieser Sucht wird in Luxemburg eindeutig verkannt.“

Dabei steht er längst nicht alleine da. „Wir gehen davon aus, dass es hierzulande weit über 4.000 Spielsüchtige gibt“, sagt Romain Juncker, der vor vier Jahren die Vereinigung „Anonym Glecksspiller“ gegründet hat. „Ich kam damals nach meiner Therapie aus Deutschland zurück und wusste nicht wohin in Luxemburg“, erklärt Juncker seine Beweggründe. Ihm seien nur die Anonymen Alkoholiker als Anlaufstelle geblieben. Dort habe er allerdings nicht seinen Platz gefunden. Aber auch nachdem die Anonym Glecksspiller ins Leben gerufen waren, änderte sich das nicht schlagartig. „Anfangs sah es so aus, als sei ich der einzige, der hierzulande ein Problem mit Spielsucht hat“, erinnert sich Juncker, „Auf den Treffen saßen wir oft nur zu zweit da.“ Mittlerweile gehen 20 bis 30 Anrufe pro Woche bei der Vereinigung ein, die bislang nicht über eigene Räume verfügt und im Lokal der „Patientevertriedung“ in der rue Dicks Unterschlupf gefunden hat.

„Anfangs sah es so aus, als sei ich der Einzige, der in Luxemburg dieses Problem hat.“

Dienstags ist dort Gruppenabend, zu dem auch Rolf regelmäßig kommt. Für diesen Abend hat er trotz Bracelet eine Ausnahmegenehmigung. „Jedes Mal, wenn ein Neuer kommt und erzählt, wie es ihm ergangen ist, denke ich, ich höre meine eigene Geschichte“, sagt Rolf. Ab wann ist man überhaupt spielsüchtig? „Wenn man ohne Spielen nicht mehr leben kann“, lautet Junckers spontane Antwort. „Anfangs spielt man vielleicht nur einmal pro Woche, irgendwann artet es so aus, dass man gar nicht mehr arbeiten geht … Man belügt seine Freunde, Familie, Arbeitskollegen und sagt nicht, wo man hingeht. Das Spielen wird zum Geheimnis“, beschreibt der Erzieher die Entwicklung einer klassischen Spielerkarriere.

Spielsüchtige zieht es längst nicht nur in ein Casino. „Pokern ist gerade in“, so Juncker, „und in Luxemburg natürlich das von der Lotterie Nationale angebotene ´Zubito`. Immer häufiger seien auch Jugendliche betroffen, die im Internet spielen. Romain Juncker führt das Beispiel eines 16-Jährigen an, der zehn bis zwölf Stunden am Tag spielte, nicht mehr zur Schule ging, und deshalb auch keinen Abschluss machte. Außerdem verlor er sämtliche Kontakte inklusive seiner Freundin. „Als er zu uns kam, sagte er: ?Ich habe alles verloren, ich habe nichts mehr'“, so Juncker.

Obwohl immer mehr Spielsüchtige Hilfe suchen, wartet die asbl bis heute auf eine staatliche Unterstützung. Ende November bekamen Romain Juncker und die Anonym Glecksspiller den JanuszKorczak-Preis. Die Fondation Kannerschlass vergibt diese Auszeichnung alle zwei Jahre an Personen oder Gruppen, deren soziales Engagement öffentlich zu wenig wahrgenommen wird. „Wir waren uns des Ausmaßes des Problems in Luxemburg nicht bewusst“, versichert der Kannerschlass-Direktor Gilbert Pregno. „Wir hoffen natürlich, dass durch diesen Preis mehr darüber gesprochen wird.“

Das fällt auch den meisten Betroffenen sehr schwer. Viele suchen erst sehr spät nach Hilfe und rufen bei den Anonymen Glecksspiller an. In vielen Fällen steht dann zunächst ein Gang zur Schuldnerberatung an. „Wir haben mittlerweile gute Kontakte“, versichert Juncker. Auch mit Casino-Betreibern wird zum Teil zusammengearbeitet. Drei bis vier Mal am Jahr setzt sich Romain Juncker etwa mit den Mitarbeitern des „Play it safe“-Teams des Casino 2000 in Mondorf zusammen. Spieler, die ihr Problem erkannt haben, können sich selbst sperren lassen, damit ihnen der Eintritt ins Casino verwehrt wird. „Die Zusammenarbeit hat sich im Laufe der Jahre verbessert“, so Juncker, „dennoch sind wir uns in einigen Punkten nicht einig.“ Etwa in der Festlegung „begrenzter“ Sperren: In diesem Fall darf der Spieler noch ein bis zwei Mal die Woche spielen. „Das macht keinen Sinn“, findet Juncker. Er plädiert für den totalen Entzug. Im vergangenen Jahr registrierte das Casino in Mondorf 118 Sperren, gegenüber 57 im Vorjahr. Eine Sperre im Luxemburger Casino gilt jedoch nicht im Ausland. Für Nennig, Trier, Amnéville oder Arlon muss man einen jeweils einen separaten Antrag stellen. „Die Kontrollen funktionieren“, so Juncker. „Das haben uns Spieler berichtet, die sich trotz Sperre Eintritt verschaffen wollten.“

Das hat Rolf anders erlebt. Als er sich in seiner Verzweiflung sperren ließ und ihm deswegen der Zutritt in eines seiner Lieblings-Casinos verwehrt wurde, ließ er den Saalchef rufen. Der erkannte seinen ehemaligen Duz-Freund und drückte ein Auge zu. „Es gibt Kunden und sehr gute Kunden. Wer Geld hat, kommt auch rein“, lautet deshalb Rolfs Überzeugung. „Als ich einmal den Versuch machte aufzuhören und für eine Weile nicht mehr ins Casino fuhr, kam ein Brief ins Haus mit neuen, verlockenden Angeboten“, erzählt Rolf. Oder wenn man mal an einem Abend früher aufhören will. „Dann steht plötzlich ein Cocktail vor einem, man wird zum Essen eingeladen …“ Dass Casinobetreiber sich inzwischen rühmen, Einzelgespräche mit potenziell süchtigen Kunden zu führen, hält Rolf kaum für aussichtsreich. „Ich hatte wenig Mühe, sie zu überzeugen, dass ich das Problem im Griff habe.“ Ohnehin scheint das Vertrauen in die Kundschaft ziemlich hoch zu sein.

„Gute Kunden schickt man nicht so einfach heim.“

Als Rolf sich an der Kasse seine Chips mit der Scheckkarte seiner Freundin besorgen wollte, klappte auch das. „Den Einwand, ich sei nicht der Halter der Karte, konnte ich abbügeln, indem ich erklärte, es handele sich um meine Partnerin. Ich bekam die Chips und konnte weiterspielen.“

Unverantwortlich sei auch der Umgang mit jugendlichen Spielern, die trotz Verbot in den Casinos an den Automaten sitzen. Wer in die großen Spielsäle hinein will, muss sich ausweisen, wer einen höheren Gewinn an der Kasse einstreichen will, ebenfalls. Doch auch dafür gibt es Umwege. Hat ein Jugendlicher unerwartet eine Glücksträhne, sucht er sich einen Erwachsenen, der kurzzeitig mit ihm den Platz am Gewinner-Automaten tauscht. Dieser ruft den Saalchef, kassiert die Gewinn-Summe, behält ein Trinkgeld und gibt den Rest unauffällig weiter. „Die Casino-Betreiber wissen darüber Bescheid“, sagt Rolf. Sein Fazit: Ein Casino wirbt wie jedes kommerzielle Unternehmen um seine Kunden – wer davon loskommen will, darf nicht auf die Betreiber zählen, sondern muss auf sich selbst bauen.

Unter anderem, um Minderjährige vor der Spielhölle zu bewahren, will Rolf sich nach seiner Therapie bei den Anonymen Glecksspiller aktiv engagieren. „Ich werde der Spielsucht den Kampf ansagen“, versichert er mit
fester Stimme. Dass er ein Leben lang süchtig bleibt, ist ihm bewusst. Auch Juncker, der nach seiner Therapie einen Rückfall erlebte, lebt mit dieser Gewissheit. Seit sieben Jahren ist er nun „spielfrei“. Das Engagement in der Selbsthilfegruppe hat ihm geholfen, „die eigene Abstinenz klarer zu machen“, sagt Romain Juncker: „Ich bekomme jeden Tag vor Augen gehalten, was passiert ist.“

(*) Name von der Redaktion geändert.


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