PUNKROCK: Ton, Steine, Schleim

Die Biographie der Polit- Punkband Slime konnte nicht anders heißen als „Deutschland muss sterben“. Nuancen und Humor schließt das nicht aus. Jetzt gehen Autor und Band zusammen auf Lesereise.

Die Nachfolger der Ton Steine Scherben im deutschen Politrock: Slime.

Vielleicht liegt es daran, dass Daniel Ryser früher Slam Poet war. Man merkt das an der Art, wie er auf der Bühne steht: Er ist ein Darsteller, kein Fan, und erst recht kein Vorbeter eines Politpunk-Kults, dessen Protagonisten gleich ihre x-te Wiederauferstehung feiern werden. Ryser, 33, Journalist beim Schweizer „Magazin“, erzählt und performt Geschichten, er jongliert mit Episoden und zelebriert die Pointen. Was macht es da schon, dass es zufällig diejenigen einer Band sind, die ein veritabler Mythos umgibt?

Das Publikum im „Schlachthof“, einem alternativen Veranstaltungszentrum in Wiesbaden, überwiegend noch nicht vertraut mit Rysers soeben erschienener Slime-Biographie, lauscht beinahe ergriffen seinen Exkursen in die Hamburger Punkszene der 1980er und dem Konflikt zwischen Polit- und Kunstfraktion, wobei Slime geradezu ein Synonym der ersteren waren. Ryser berichtet von Kiez-Schlägereien mit Faschisten und Nazipunks, den ersten Schritten der Band und davon, wie deren völlig abgebrannter Sänger, den Fiskus im Nacken, später als Chauffeur bei einem linken Taxi-Kollektiv anheuert und den Ärzte-Drummer Bela B. zum Flughafen kutschiert.

Daniel Ryser ist nicht alleine nach Wiesbaden gekommen. Nach seiner Lesung entern Sänger Dirk Jora und die Gitarristen Christian Mevs und Elf Mayer für ein Akustik-Set das Podium. Slime, Speerspitze des linksradikalen Politpunks in der BRD zwischen 1979 und 1984 sowie später im gerade wiedervereinigten Deutschland, sind seit 2010 in neuer Besetzung wieder zusammen. Eigentlich war nur eine Tour geplant, doch der folgte inzwischen eine Platte mit Vertonungen von Erich-Mühsam-Lyrik. Slime mausern sich zu Untoten des deutschen Punkrock, denn 2013 stehen neue Shows an, und eben diese Unplugged-Lesetour mit ihrem Biographen.

„Slime – Deutschland muss sterben“ ist der Titel des Werks, was nicht weiter überrascht, denn diese ist wohl die programmatischste der zahlreichen Parolen, die die Band einer dafür überaus empfänglichen Szene vermachte. Das Nazi-Denkmal am Hamburger Dammtorbahnhof, dessen Inschrift „Deutschland wird leben, auch wenn wir sterben müssen“ Slime 35 Jahre nach der Befreiung umdrehten und dafür zensiert wurden – längst ist diese Anekdote zur Legende geworden, die zwei Auflösungen überdauerte. Wenn es ein Markenzeichen, eine Signatur von Slime gibt, dann ist es „Deutschland muss sterben“.

Hooligans und Dichter in einer Band

Ryser skizziert auf gut 250 Seiten, wie Slime vor dem Hintergrund von Deutschem Herbst, Anti-AKW-Kampf und der frühen Autonomen-Bewegung in Berlin und Hamburg zu den Nachlassverwaltern der Ton Steine Scherben wurden, die zehn Jahre zuvor den Soundtrack zur westdeutschen Revolte geliefert hatten. Slime „übersetzten die Scherben mit eingängigen Melodien für eine jüngere Generation“. Gerade in diesem Status trafen sie die Sell Out-Vorwürfe besonders hart. Die Auflösung 1984 war deren logische Folge, ebenso wie es selbstverständlich erschien, dass Slime nach der Wiedervereinigung wieder zusammenfanden: als unerbittliche Kampfansage an die Deutschtümelei und tödliche Pogromstimmung jener Zeit.

Wer den Werdegang der Band kennt, stößt bei der Lektüre unweigerlich auf Bekanntes. Schlägereien mit Nazis und Bullen, die enge Verbindung zum FC Sankt Pauli sowie dem Häuserkampf der Hafenstraße waren zu erwarten. Gleiches gilt für die Vielzahl an musikalischen Weggefährten oder Bewunderern, die allesamt bezeugen, wie enorm weit der Einfluss dieser Band reichte. Nur so gerade eben vermeidet das Buch an manchen Stellen die Untiefen der Redunanz. Dass es an diesen nicht in Namedropping und Schulterklopfen abgleitet, liegt daran, dass nicht nur Punkrocker, sondern auch Alec Empire von Atari Teenage Riot oder der Rapper Jan Delay Slime ihre Aufwartung machen. Dennoch ist dies nur der Pflicht-Teil der Biographie.

In der Kür dann kriegt Ryser die Kurve, und das mit Bravour. Sein Buch ist ein schlauer und durchaus kritischer Blick in das Innenleben der Band. Dass diese in Rysers Geburtsjahr 1979 ihren ersten Gig spielte, könnte eine vermeintlich rührende Anekdote am Rand sein, wäre der Zürcher hier zur Denkmalpflege seiner Helden angerückt. In Wirklichkeit tut sie nichts zur Sache, denn Ryser ist keiner der Spätgeborenen, die Slime rauf und runter hörten und sich mit der eigenen Band durch deren sloganeskes Oeuvre coverten.

Konsequent leuchtet der Biograph die Ecken des Systems Slime aus, und deutlicher als irgendwo sonst erscheinen unter dem Motto „Fünf Finger sind eine Faust“ die Konturen der Bandmitglieder: Sänger Dirk als Agitator, Gitarrist Elf als Politrocker, an der anderen Gitarre das hochtalentierte Kifferkid Christian, der nachdenkliche Texter und Drummer Stephan, und als Amalgam dieses divergenten Haufens Eddie, der Ruhepol am Bass. Konflikte ziehen sich durch die Bandgeschichte, vor allem jener zwischen dem „Left Wing Hooligan“ und dem um Tiefgang bemühten Schlagzeuger. Dass Letzterer ausgerechnet den charismatischen Sänger von „Deutschland muss sterben“ als „so deutsch“ bezeichnet, spricht Bände.

Überhaupt, Deutschland. Ausgerechnet der reflektierte Gitarrist Christian Mevs erklärt, Slime hätten sich nie mit „kleinen Unzulänglichkeiten des Alltags“ abgegeben, sondern „immer mit der großen Kelle angerührt“. Das Ergebnis: „Deutschland, dieses hässliche Wort, steckt bei uns überall drin, es wurde zu einer Art Triebfeder unseres Schaffens.“ Gerade Leser außerhalb Deutschlands dürften es zu schätzen wissen, dass der Autor als Schweizer auch eine Art Outside Looking-In-Position einnimmt und sich nicht in die Flügelkämpfe der deutschen radikalen Linken verliert, in denen die Band in einer kurzen aktiven Periode vor rund zehn Jahren eine Rolle spielte.

In Jürgen Drews Pool gepisst.

Gleichsam erwähnt Ryser, dass der Song „Yankees raus“ auch in der linken Szene Kritik erntete – im Nachhinein. Stellvertretend für diese Entwicklung steht Nagel, Sänger der Band Muff Potter, dem „ein unreflektierter Antiamerikanismus, wie er von Slime propagiert wurde, lange Zeit ganz normal und nicht weiter hinterfragenswert erschien“. Auch andere nuancierte Geister kommen zu Wort, etwa der Hamburger Musikjournalist Alfred Hilsberg, welcher der Polit-Punk-Szene seiner Stadt ein „Schubladendenken wie bei den Volksmusik-Idioten“ bescheinigt.

Was all das ziemlich lesenswert macht, ist Rysers Methode: Lose nur hält er den chronologischen roten Faden in der Hand, um den herum er ein Mosaik aus Anekdoten und kleinen Reportagen pflastert. Scheinbar beliebig zoomt er sich durch drei Jahrzehnte widerständiger Zeitgeschichte und taucht vor allem selbst immer wieder auf. „Deutschland muss sterben“ gleicht einer DVD, die das Making Of des Films enthält, nur dass hier beides miteinander verwoben ist. Und immer wieder blitzt die Lust am Erzählen auf, etwa in der Szene, als der neue Drummer Alex Schwers in den Pool des Schlagerbarden Jürgen Drews uriniert. Ryser, das ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst, findet im Umfeld der vermeintlich brettharten Politpunks Slime tatsächlich Humor.

Zwischen Lesung und Akustik-Set begegnen sich die Band und ihr Biograph auf der Bühne in Wiesbaden. Eine kurze Gesprächsrunde verbindet die Elemente des Abends. „Könnt ihr euch vorstellen, im Ausland zu spielen, oder seid ihr dafür zu deutsch?“ fragt Ryser. Warum waren die Texte so direkt und nie verspielter? Und wie sieht es mit dem Verhältnis zur Gewalt aus? Letzteres ergibt durchaus ein nuanciertes Bild. Gewalt, antwortet der Sänger, war auch für einen Left Wing Hooligan „immer nur ultima ratio“ unter mehreren Optionen. Und diese Lieder gegen Staat und System, die spielen sie immer noch, mit Anfang 50? „Na klar, auf der Gegenseite ändert sich ja auch nichts.“

Und dann kommen anderthalb Handvoll alter Gassenhauer. Eine Country-Version von „ACAB“, „Religion“, eine der Mühsam-Vertonungen, ein paar vom Album „Schweine-herbst“, allseits als Meisterwerk der Band eingestuft. Und natürlich muss Deutschland auch unplugged sterben. 20 Jahre ist es her, dass Slime in einem Interview versicherten, niemals im Rollstuhl auf die Bühne zu gehen um „Bullenschweine“ in halber Geschwindigkeit zu spielen. Diesbezüglich sind Bedenken unangebracht. Auch ohne Strom klingen sie bemerkenswert frisch, gerade der Gesang sogar ausgereifter als früher, was 150 Schlachthof-Besucher goutieren. Für Nuancen und Ambivalenzen, Anekdoten und Hintergründe sei der Griff zum Buch empfohlen.

Ryser, Daniel. Slime. Deutschland muss sterben. Heyne Hardcore (2013), etwa 20 Euro.
Daniel Ryser und Slime, Lesung, Gespräch und Unplugged-Show, 17. April, Trier, Exhaus, 20 Uhr


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