AVORTEMENT: Halbe Bevormundung

Die Regierung will den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch streichen, doch der Zwang zur staatlichen Beratung soll bleiben.

„Wir haben abgetrieben“. Die Titelschlagzeile der Zeitschrift Stern mit der Headline vom Juni 1971, mit den Gesichtern von Promi-Frauen wie Romy Schneider, markierte in Deutschland einen Höhepunkt der Debatten um den Paragraphen 218. Auf der einen Seite Kirche und Konservative, die das „heilige“ Ungeborene bemühten, um das gesellschaftliche Verfügungsrecht über Bauch und Lebenswege von Frauen zu sichern, auf der anderen die neue Frauenbewegung, die mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht für die rechtliche Freigabe eintrat. Eine Konstellation, wie sie im katholisch geprägten Luxemburg nur allzu bekannt ist: Ein ewiges Zerren und Reißen vonseiten der Herren einer CSV-LSAP-Regierung, die noch vor eineinhalb Jahren das Gesetz von 1978, das den Schwangerschaftsabbruch von Frauen unter Strafe stellte, nur marginal reformiert hatte.

Die vorgeschriebene Beratung ist kein Angebot, sondern eine halbierte Bevormundung.

Unabhängig von erzwungenen zwei Beratungsterminen und einer ärztlichen Bescheinigung, die Frauen eine „Notsituation“ attestierte, durfte frau auch danach nicht abtreiben. Waren diese Bedingungen erfüllt, führt der weitere Weg zum straffreien Schwangerschaftsabbruch über das Planing Familial, die einzige wirklich säkulare Beratungsstelle im Land. Informationsbroschüren mit moralischen Ratschlägen dienten dazu, dass sich frau besser noch mal überlegen soll, ob sie eine Abtreibung wirklich wolle.

Und nun auf einmal will die Gambia-Koalition beim Schwangerschaftsabbruch Nägel mit Köpfen machen. Justizminister Braz stellte im Rahmen des Ministerrats-Briefings vergangene Woche die Pläne für ein neues Abtreibungsgesetz vor. Die Regierung hat – wie es ihre Art ist – bereits im Vorhinein die Luft herausgelassen und die Ecksteine der Reform verraten: Bis zur 14. Woche sollen Frauen fortan einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen dürfen, ohne dem Staat einen Grund angeben zu müssen. Waren es bis vor Kurzem noch zwei obligatorische Beratungen, denen sich Frauen unterziehen mussten, so ist es nach der neuen Fristenlösung nur noch eine. Die zweite wird zum „Recht auf Beratung“ entschärft, und die notwendige ärztliche Bescheinigung entfällt. Nur bei Minderjährigen bleibt die zweite Beratung obligatorisch. Die bedeutendste Neuerung aber: Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Luxemburg künftig nicht mehr strafbar; das entsprechende Verbot, durch das Frauen bei einem Abbruch eine Geldstrafe von bis zu 2.000 Euro drohte, soll vollständig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Medikamente für einen Schwangerschaftsabbruch darf fortan auch ein/e AllgemeinärztIn verschreiben, nicht mehr nur ein/e GynäkologIn.

Noch wurde das Gesetz nicht in der Chambre deponiert, letzte Details der Neuregelung sind nicht bekannt. Doch käme es so wie angekündigt, wäre dies ein deutlicher Fortschritt – wenn auch immer noch nicht der volle Erfolg. Denn weiterhin würde durch die obligatorische staatsgelenkte Beratung unterstellt, dass Frauen prinzipiell außerstande sind, eigenständig zu einer überlegten Entscheidung zu gelangen. Auch wenn es nur noch eine ist, ist die vorgeschriebene Beratung kein Angebot, sondern eine halbierte Bevormundung. „Es ist die Verpflichtung des Staates, die Frau bei ihrer Entscheidung zu begleiten“, begründete Felix Braz die Gesetzesnovellierung. Woher die Verpflichtung? Wieso eine Fristsetzung bis zur 14. Woche? Mit welcher Begründung erlischt die Straffreiheit ab der 15. Woche?

Abtreibungen müssen legal sein, weil niemand anderes als die Frau das Urteil darüber fällen darf und kann, ob sie ein Kind austragen will oder nicht – auch wenn andere die Entscheidung nicht nachvollziehen können. Biologistische Argumente über den Status der Zellen oder des Embryos zu einem bestimmten Zeitpunkt dürfen nicht Einzug in eine feministische Betrachtung halten.

Dennoch ist diese Reform vor allem ein großer Erfolg für das Kollektiv „Si je veux“, das sich 2010 mit dem Ziel gegründet hatte, das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu stärken, und das vehement auf eine Lockerung der Abtreibungsregelung pochte. Und sie ist ein Quantensprung im katholisch geprägten Luxemburg, in dem eine solche Liberalisierung vor dreißig Jahren noch undenkbar war.


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