EU-KOMMISSION: Kein green team in Brüssel?

Umweltgruppen schlagen Alarm. In Jean-Claude Junckers reformierter Kommission spielen Umwelt- und Klimaschutz nur noch eine Nebenrolle, so die Warnung. Die Ökoaktivisten appellieren an das Europaparlament, das Juncker-Team in dieser Zusammensetzung abzulehnen.

Wie grün ist Jean-Claude Juncker?

„Dies ist der größte Rückschritt seit 20 Jahren.“ Jeremy Wates, Generalsekretär des „European Environmental Bureau“ (EEB) bemüht eine Superlative, um die Zusammensetzung der neuen Kommission zu beschreiben. In erster Linie geht es um die Fusion der Bereiche Klima und Energie in einem Portfolio. „Das ist so, als ob man Fuchs und Hennen in einen Raum einsperrt und abwartet, wer gewinnt“, sagt Wates. Bislang sei die Suche nach Kompromissen zwischen zwei verschiedenen Kommissaren, dem für Energie und dem für Klima, ausgetragen worden. „Nun muss sich dieser Kampf im Kopf einer einzigen Person abspielen“, so Wates. Es sei sehr wahrscheinlich, dass der Klimaschutz dabei den Kürzeren ziehe.

Zusammen mit zehn anderen Umweltorganisationen hat EEB einen Brief an den Autor dieser Reform geschrieben. Darin werfen die Green10, denen auch Greenpeace und Friends of the Earth angehören, Jean-Claude Juncker ein „ernsthaftes downgrading des Umweltschutzes“ vor. Dieses sei zunächst strukturell bedingt: Neben der Fusion von Klima und Energie wurde auch Umweltschutz mit Fischerei und maritimen Angelegenheiten zusammengemixt. Zudem finden unter den Aufgabengebieten der sieben Vizepräsidenten Umwelt- und Klimaschutz keinerlei Erwähnung.

„Modernere Umweltgesetze“

Diese Vizepräsidenten werden bekanntlich in Junckers Kommission eine Koordinationsrolle übernehmen. Dass nun künftig der Energie- und Klimakommissar auch noch der Vizepräsidentin mit dem Aufgabengebiet „Energieunion“ Rechenschaft abgeben muss, könne als Zeichen dafür gesehen werden, dass „Klimaschutz den Bedürfnissen des Energiemarktes untergeordnet wird“, heißt es in dem Schreiben an Juncker. Bedauert wird, dass keinem einzigen dieser Koordinatoren die Aufgabe der Überwachung einer nachhaltigen Entwicklung zugeteilt wurde.

Dass ausgerechnet der frühere spanische Umweltminister Miguel Cañete für den Job auserwählt wurde, vergrößert die Sorge der Umweltschützer. Cañete wird eine große Nähe zur Ölindustrie nachgesagt. Diese Sorge versuchte der Spanier jüngst durch die Ankündigung zu zerstreuen, er habe veranlasst, dass seine Aktien aus dem Energiesektor umgehend verkauft werden, als er zum EU-Kommissar nominiert wurde. Er wolle verhindern, dass es auch „nur den kleinsten Verdacht auf einen potenziellen Interessenskonflikt“ gebe. Doch auch andere Aussagen geben Anlass zur Sorge um die Neutralität des Spaniers. Denn in seiner Heimat ist Cañete bekannt für seinen Einsatz gegen erneuerbare Energien. „Er war Mitglied einer Regierung, die den größten Angriff auf Erneuerbare Energien in der Geschichte unseres Landes gestartet und sie zum Verschwinden verurteilt hat“, sagt José Donoso, der Generaldirektor der Spanischen Photovoltaik Union im spanischen Rundfunk.

Neben personellen Bedenken äußern die Green10 auch solche gegenüber der Aufgabenbeschreibung, die Juncker seinen Kommissaren per „mission letter“ mitgeteilt hat. Das Mandat der künftigen Kommissarin für Umwelt-, Fischerei und Meeresangelegenheiten scheine sich „vollkommen auf Deregulierung zu konzentrieren“. Dem designierten Kommissar aus Malta, Karmenu Vella, legt Juncker in seinem Schreiben nahe, die existierenden Umweltgesetze auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen und insbesondere eine „gründliche Evaluierung der Vogelschutz- und Habitat-Direktiven durchzuführen“. Bei letzteren solle das Potenzial ausgelotet werden, sie in eine „modernere Gesetzgebung“ zu überführen.

„Wir müssen wissen, ob unsere Herangehensweise den richtigen Quellen der Luftverschmutzung mit den angepassten Instrumenten begegnet“, gibt Juncker dem künftigen Kommissar für die Verhandlungen über die Direktive gegen Luftverschmutzung mit auf den Weg. Dies klinge danach, dass bereits bestehende Einigungen in dieser lang erwarteten Gesetzgebung in Frage gestellt werden, befürchtet Jeremy Wates. Auch die Person Vella wird von Umweltschützern kritisch beäugt. Ausgerechnet ein Vertreter aus Malta, dessen Regierung die Vogelschutzdirektive bislang nicht umgesetzt und wegen erlaubter Vogeljagd widerholt gegen EU-Gesetze verstoßen habe, solle nun dieses Ressort übernehmen, beklagen sie.

„Effizientere Politik“

Etwas nuancierter äußerte sich die „Internationale Union für Naturschutz“ (IUCN). In einer idealen Welt könne eine engere Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Klimaschutz und Energie zu positiven Synergien führen und widersprüchliche Entscheidungen verhindern, räumt ihr Direktor Luc Bas ein. Noch positiver reagierten Unternehmensgruppen, die sich von Junckers Reform eine effizientere Politik als die der vorigen Kommission erwarten. Businesseurope attestierte Juncker eine „mutige Herangehensweise für eine straff geordnete Struktur der neuen Kommission”. Für ihren Direktor Markus Beyrer unterstreicht dies „das klare Ziel, sich auf kruziale Prioritäten zu fokussieren, die notwendig sind, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen und so für mehr Wachstums zu sorgen und Arbeitsplätze zu schaffen“.

Jean-Claude Juncker werde sich zu diesen Vorwürfen jetzt nicht äußern, sagt Natascha Bertaud, eine der Sprecherinnen des künftigen Kommissionspräsidenten. „Juncker hat sein Programm ausführlich dargestellt“, so Bertaud. „Darin hat er stets darauf verwiesen, dass er großen Wert auf ein grünes Wachstum legt.“ Bestehende Standards würden nicht in Frage gestellt, so Bertaud, natürlich könne man „nicht versprechen, dass sich nichts verändert“.

Tatsächlich unterstreicht Juncker in seiner Agenda für den Neu-Start Europas, die er am 15. Juli dem Europäischen Parlament vorstellte, sein Engagement für eine umweltbewusste Wirtschaft lediglich im Kapitel über Energie. „Ich glaube fest an das Potenzial von grünem Wachstum“, schreibt er dort sowie in seinem Schreiben an den nominierten Kommissar für Klimaschutz und Energie und fordert, dass die EU „Nummer eins in Erneuerbaren Energien wird“. Insgesamt kommt in seiner Agenda das Wort Umwelt ein einziges Mal vor, das einstmalige Modewort „nachhaltige Entwicklung“ verwendet der Luxemburger Ex-Premier ganze drei Mal.

„Ich glaube fest an grünes Wachstum“

Wörtlich legte der Kandidat Juncker vor der Abstimmung im Parlament noch eins drauf und sprach sich in seiner Rede im Straßburger Hémicycle für „ein verbindliches Ziel von 30 Prozent in Energieeffizienz bis 2020“ aus. Nicht zuletzt diese Aussage brachte ihm so manche Stimmen der Grünen Europa-Abgeordneten. Ihre Fraktion hielt sich bislang mit detaillierten Kommentaren zum neuen Juncker-Team zurück. Diese Kommission müsse sich „enormen Herausforderungen stellen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Parteispitze. „Wir haben ernsthafte Zweifel, ob sie dazu in der Lage sein wird“.

Mindestens die Hälfte der 50 Abgeordneten der Grünen hatte im September für Jean-Claude Juncker gestimmt. Auch der Luxemburger Claude Turmes, der jedoch nun auch Bedenken äußert. Die Ernennung Cañetes stehe in „krassen Widerspruch zu den formulierten Prioritäten des Kommissionspräsidenten“, so Turmes. Immerhin habe Juncker in der Anhörung vor dem Europäischen Parlament versprochen, dass er die EU zur weltweiten Nummer 1 bei Erneuerbaren Energien machen möchte.

Der Luxemburger Europa-Abgeordnete äußert auch Zweifel über die Ernennung der Slowenin Alenka Bratusek als Vizepräsidentin für die Energieunion. „Sie wird in den Hearings im Parlament beweisen müssen, dass sie über die Kompetenzen verfügt, die Arbeit mehrerer Kommissare effizient zu koordinieren“, sagt Turmes. Er kündigt an, die Grünen würden ihre Zustimmung davon abhängig machen, „ob die jeweiligen Kandidaten fähig sind, die ihnen anvertrauten Aufgaben zufriedenstellend zu bewältigen. Die Green10 haben inzwischen auch an die Abgeordneten geschrieben und empfehlen dem Parlament, „die Juncker Kommission in dieser Struktur zu blockieren“. Die Anhörungen im Europaparlament beginnen am nächsten Montag, das Votum wird für den 22. Oktober erwartet.


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