ANNE SCHILTZ & TOM ALESCH: Ein Berufsträumerling

Zwei junge Regisseure haben mit „e futtballspill am schnéi“ eine Dokumentation über Roger Manderscheid produziert. Entstanden ist eine poetische Hommage an den Autor und sein Werk.

Kaum ein anderer hat die Luxemburger Literatur so aufgerüttelt wie Roger Manderscheid. „In mühseliger Kleinarbeit haben die Luxemburger Literaten über Jahrzehnte hinweg probiert, die Festungsmauern, die unser geistiges Leben gefangen hielten und immer noch halten, Stein um Stein abzutragen“, schreibt er in „Der Aufstand der Luxemburger Alliteraten“ (2003).

Sein Literaturstil war etwas ganz Neues, zeigte eine klare Sprache. „Satzführung, Syntax und seine gesamte Art und Weise, mit Sprache umzugehen, war einmalig“, äußert sich Germaine Goetzinger in „e Futtballspill am Schnéi – Erënnerungen un de Roger Manderscheid“ über seinen Text „der Stuhl“, den er las, als sie ihn 1968 kennenlernte. Als Nestbeschmutzer war er vor allem nach der Ausstrahlung seines Films „Stille Tage in Luxemburg“ verschrien – von Konservativen hagelte es Kritik. Für Manderscheid war es eine Form, auszudrücken, wie beengend er die Luxemburger Gesellschaft seiner Zeit empfand. „Eine Stadt, wie sie im Bilderbuch steht: Luxusburg. – Eine Weltstadt, die keiner kennt.“ Dabei sei es ihm, betonte er, lediglich um den Versuch gegangen, die Stadt und das Land vorurteilslos zu zeigen, kritisch zupackend, und zwar so, wie er es vorfand und nicht so, wie das Land selber gesehen werden wünschte: „touristisch aufgemotzt (und verlogen), wie es damals in der Regel gezeigt wurde“. So beschrieb Manderscheid retrospektiv sein Vorhaben. Wenn man sich den Film ansehe, merke man, dass sich eigentlich nichts verändert habe, meint sein Weggefährte Guy Rewenig im Film. Dabei war Manderscheid gerade deshalb ein scharfer Kritiker Luxemburgs, weil er sein Land im Grunde liebte, gewissermaßen eine Hassliebe empfand und damit „im Grunde ein enttäuschter Liebhaber“ Luxemburgs war.

Es sind vor allem die Anekdoten über ihn und seine Texte, die Aufschluss über Manderscheid als literarisch schaffenden Menschen geben „Eine Hommage auf ihn als Menschen“ hatten die Filmemacher Anne Schiltz und Tom Alesch im Sinn. Tatsächlich fokussieren sie in ihrem 52-minütigen Film, einer Ko-Produktion mit dem CNA, in erster Linie auf sein Werk und lassen es durch vorgelesene Textauszüge und Wortspiele wiederaufleben. Manderscheid habe vor allem Autobiografisches geschrieben, sich immer auf Erlebtes berufen, meint Schiltz. Konsens bestand darüber, dass er begierig darauf war, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. So setzt sich der Film wie ein Puzzle zusammen. Es sind Erinnerungen seiner Freunde und Weggefährten wie Guy Rewenig, Paul Greisch oder Germaine Goetzinger, die in Verbindung mit gelesenen Textauszügen eine vielschichtige Collage ergeben. Dabei gerät die Literaten-Generation um Manderscheid jedoch etwas in den Hintergrund, so dass dieser eher als Einzelkämpfer erscheint. Die zahlreichen Lesungen und Kongresse, wie etwa die Mondorfer Dichtertage, auf denen auch erbitterte Diskussionen um die Sprachenhoheit geführt wurden, finden in dem Film kaum Erwähnung. Das hätte den Rahmen gesprengt und von der Person weggeführt, wendet Schiltz ein. Hingegen wird Manderscheids Erleichterung deutlich, als er ab den 1970er Jahren auf Luxemburgisch schreiben konnte, just zu einem Zeitpunkt, wo er merkte, „dass die deutsche Sprache sich selbst im Weg stand – militaristisch und hart“. Die Frage nach dem „Warum schreiben?“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. So sind es Manderscheids kluge und witzige Wortspiele, die zur Geltung kommen: „Meistens komm ich mir vor wie ein Einfaltspinseler“ schreibt er, ein „Litera-Türke, ein Buchstabiertrinker oder ein Berufsträumerling.“ Schreiben war für ihn immer ein Rückbesinnen: „Das Einzige, was ich kann, ist Schreiben, weil es mit dem Leben zu tun hat, und ich lebe nicht ungern“ bekundete er. Bescheidenheit klingt immer durch, denn auch wenn er hoffte, beim Leser mit Funken einen Flächenbrand auszulösen, sah er sich nicht als Dichter, fühlte sich nie als „Schicksalsgestalter“.

Daneben überzeugt der kurze Film durch seine wie gemalt wirkenden, märchenhaften Einstellungen: Figuren und geometrische Formen, die an Malewitschs Köpfe erinnern. Eine Fußballmannschaft im Schnee, der in dicken Ballen auf die Spieler fällt, ist eine der letzten Einstellungen: „Eine Mannschaft von Format, in der alle anders sind und doch zusammenhalten.“ Dieses Bild, was ihn einst faszinierte, sollte zugleich zum Leitmotiv des Films werden.

So erscheint es nur kohärent, dass Schiltz und Alesch das Werk Manderscheids in den Vordergrund stellen. Denn dies entsprach auch seinem Selbstbild. Sein stetiges Nachdenken über die Gesellschaft, sein Schaffensdrang steht so im Mittelpunkt.

Das Wichtigste sei, „dass etwas bleibt!“ Keine Frage, Manderscheids Romane werden bleiben, „e tuttballspill am schnéi“ ist eine stille Hommage an einen außergewöhnlichen Autor, einen unbequemen Querkopf, der den Luxemburgern noch heute den Spiegel vorhält und dessen Sprache verzaubert.

Ab dem 26. November im Utopia.


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