MAYA: Rätselhafte Hieroglyphen

Die Maya gehörten zu den Hochkulturen in Mesoamerika, einem Siedlungsraum und Kulturareal in Mittelamerika. Ihre erstaunliche Schrift ist bis heute nur zum Teil entziffert.

Die Maya-Ruinen von Copán: Der Windgott der Maya ist mit einer Rassel abgebildet. Die erzeugt das Rauschen des Windes.

Gustav Bernoulli, ein Arzt aus Basel, reiste 1877 durchs Tiefland von Petén im heutigen Guatemala. Dort traf er auf imposante Ruinen: Tempel und Pyramiden, vom Regenwald überwuchert. Es waren die Überreste von Tikal, im 1. Jahrtausend ein blühendes Zentrum der Maya-Kultur mit vielleicht 100.000 Einwohnern.
Bernoulli entnahm den Ruinen prächtige Türstürze aus Holz und ließ diese in die Schweiz bringen. Was die Hieroglyphen auf den hölzernen Abdeckungen bedeuteten, erfuhr er aber nicht mehr, denn er starb auf der Rückreise.

Seine Souvenirs befinden sich heute im Museum der Kulturen in Basel. Etwa der reich verzierte Türsturz 3 von Tempel I. Da sitzt ein bedeutender Herrscher auf einem Thron, hinter sich das Abbild eines riesigen Jaguars mit ausgestreckter Tatze. Was damals geschah, beschreiben die Hieroglyphen rechts oberhalb der Thron-Szene. Jasaw Chan K`awiil hieß laut diesen der König aus Tikal. Er kam im Jahr 682 an die Macht und führte Krieg, unter anderem gegen die Stadt Calakmul und ihren Herrscher, Yuknoom Yich’aak K’ak‘. Den besiegte er im Jahre 695. Der Thron und der Jaguar könnten also Teil der Kriegsbeute aus Calakmul gewesen sein. Auch vom rituellen Selbstopfer erzählen die Hieroglyphen. Es gehörte damals zu den Pflichten eines Herrschers. Mit seinem Blut sollte er die kosmische Ordnung erhalten und die Götter gnädig stimmen. Zu diesem Zweck wurde auch der königliche Penis angestochen.

Von den Schriftzeugnissen der Maya-Klassik (250 bis 900 nach Christus) und Postklassik (900 bis 1500) ist wenig geblieben. Die Konquistadoren zerstörten sie mit großem Eifer. Nur drei Maya-Bücher aus Rindenpapier sind erhalten. Diese Maya-Codizes beinhalten unter anderem astronomische Tafeln und Prophezeiungen. Andere Texte sind auf Keramikgefäßen verewigt. Zudem berichten die Stelen und Altäre in den Ruinenstädten, die sich über das Maya-Gebiet verteilen, von historischen Ereignissen wie etwa Inthronisationen. Auf ihnen inszenierte die Oberschicht ihre Macht. Der Altar Q in Copán, im heutigen Honduras gelegen, zeigt 16 hohe Herren im Schneidersitz – eine in Stein gehauene Herrscherabfolge.

Einen Schlüssel zur Entzifferung der Maya-Schrift lieferte um 1560 ein missionierender Franziskaner namens Diego de Landa. Er gehörte zu den fleißigsten Zerstörern der Schriften. Zugleich ließ er sich aber die Kultur der Maya und ihre Hieroglyphen erklären, um besser missionieren zu können. Er glaubte, Buchstaben vor sich zu haben. Was aber ein Irrtum war, denn die Maya kannten kein Alphabet, sie nutzen Wortzeichen kombiniert mit Silbenzeichen. Was der russische Forscher Juri Knorosow erst in den 1950er Jahren nachweisen konnte. Damit öffnete sich auch der Zugang zur Schrift. Von nun an konnte sie nicht mehr nur gedeutet, sondern wie eine Sprache gelesen werden. Inzwischen sind 60 bis 70 Prozent der Hieroglyphen entziffert, erklärt Maya-Forscherin Ute Schüren.

Wie das gemischte System aus Wort- und Silbenzeichen funktioniert, veranschaulicht der Name des Herrschers von Palenque. K`inich Janaab Pakal regierte 68 Jahre, von 615 bis 683, über die Tempelstadt, die in Südmexiko liegt. Der letzte Teil seines Namens, Pakal, bedeutet Schild. Die Silbenzeichen pa, ka und la verbinden sich zu pa-ka-l(a), wobei der Vokal der letzten Silbe stumm bleibt. Pakal also. Den Schild im Namen des Langzeitherrschers drückten die Maya-Schreiber manchmal auch als Bildsymbol aus. Weil ein Bildsymbol allein aber nicht immer eindeutig war, hängten sie zum Teil ein Silbenzeichen an. So gab es keinen Zweifel mehr, wer gemeint war.

Bei der Entzifferung ist die Forschung auf koloniale Quellen angewiesen, die von den Spaniern und indigenen Schreibern nach der Eroberung im 16. Jahrhundert erstellt wurden. Die meisten der erhaltenen Schriftwerke stammen aber aus der Zeit zwischen 250 und 900. Es liegt also mehr als ein Jahrtausend zwischen den Schriftdokumenten und den kolonialen Quellen. Beim Versuch, die Sprache zu rekonstruieren, muss darum immer der Sprachwandel seit der Maya-Klassik miteingerechnet werden. Hinzu kommt, dass man es nicht mir einer Einzelsprache, sondern einer ganzen Sprachfamilie zu tun hat. Sie entwickelte sich einst aus einer Protosprache, dem Ur-Maya. Die Tieflandsprachen gelten dabei als besonders wichtig. Forscher stehen manchmal vor der kniffligen Frage: Ist dieses Schriftwerk in Yukatekisch oder in Ch’ol verfasst? Der Unterschied kann in einer kleinen Lautverschiebung liegen. Vielleicht gab es ja auch ein klassisches Maya, eine Schriftsprache, die alle gemeinsam verwendeten. Wie in Europa lange Zeit das Latein.

Zum Ende der Klassik hin begann der so genannte Maya-Kollaps. Er wird häufig mit dem Untergang der Maya gleichgesetzt. Eine Katastrophe, die plötzlich hereinbrach, gab es aber nicht. Vielmehr verlor die Elite in den blühenden Zentren ihre Machtbasis. Diesen allmählichen Prozess dokumentiert der Niedergang des Stelenkultes, der um 780 nach Christus einsetzte, in manchen Städten aber auch erst nach 900. Durch das Verschwinden der Oberschicht kamen auch die Auftragsarbeiten zum Erliegen. Das Relief von Altar L in Copán etwa ist unvollendet. Ute Schüren: „Als hätte der Künstler das Einmeißeln der Inschrift mitten im Satz unterbrochen.“

Doch was waren die Ursachen der Krise, welche die Bevölkerungszahl im zentralen Tiefland um Tikal von 1,5 Millionen auf 280.000 sinken ließ? Forscher fanden heraus, dass es eine lang anhaltende Trockenzeit gab. Wasserreservoirs trockneten aus, es kam zu dramatischen Ernteeinbrüchen. Hinzu kamen demographische und politische Faktoren. Die Spätklassik war eine unruhige Zeit, voller Konflikte zwischen den autonomen Maya-Städten, mit ständigen Überfällen. Ein Grund dafür: Die Ressourcen wurden knapp, weil die Bevölkerung stark anwuchs. Nach vorsichtigen Schätzungen war das Maya-Tiefland so dicht besiedelt wie Java und China. Auf einen Quadratkilometer kamen 180 Personen, in den urbanen Zentren sogar 600.

Durch die häufigen Missernten litt zudem die Legitimation der Herrscher. Sie begannen zwar neue Paläste zu bauen – Architektur als Versuch, sich neu zu legitimieren. Doch es nutzte nichts. Sie waren offensichtlich kein Garant mehr für Wohlstand. Das Volk stimmte mit den Füßen ab und verließ die Städte. Also kein Untergang der Maya. Und auch die spanische Eroberung und die anschließende Kolonialherrschaft konnten die Kultur nicht völlig auslöschen. Heute leben im Südosten von Mesoamerika noch sechs Millionen Menschen, die verschiedene Maya-Sprachen sprechen.


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