Kommunalwahlen, national betrachtet: Schwarzer Oktober

Ein Gewinner, viele Verlierer, und was weiter? Warum die Unzufriedenen CSV gewählt haben statt LSAP oder Déi Lénk. Und was das für 2018 bedeutet.

Überraschung! Die Letzen werden nicht die Ersten sein …

„Rechtsruck!“ verkündet das Tageblatt von Montagmorgen auf seiner Titelseite. Und in seinem Beitrag auf Seite eins des Luxemburger Worts geht Marc Schlammes von der Hypothese aus, die Gemeindewahlen seien ein „Test für die Parlamentswahlen 2018“. Die CSV habe „die Prüfung bestanden“, die Regierungsparteien müssten nachsitzen oder seien versetzungsgefährdet. Aber kann man von lokalpolitischen Entwicklungen überhaupt auf nationale Trends schließen? Sind nicht Gemeinde- und Nationalwahlen zwei verschiedene Paar Stiefel?

Schwoarzt Péiteng, schwoorzt Kliärref

In der Tat, wenn man bedenkt, wie wichtig, aber auch wie schwankend, die lokale Popularität – oder die Missstimmung – bei örtlichen Wahlen sind. Die nicht seltenen Fälle, in denen diesmal GemeindepolitikerInnen national bekannten Persönlichkeiten den Rang abgelaufen haben, bestätigen das. So wurden die bisherigen députés-maires Cécile Hemmen (LSAP) und Aly Kaes (CSV) in den Majorzgemeinden Weiler-la-Tour und Tandel nur Zweitgewählte. Auch die CSV-Abgeordneten Françoise Hetto-Gaasch und Marc Spautz landeten auf Platz 2 ihrer Listen in Junglinster und Schifflingen, Laurent Mosar bei der hauptstädtischen CSV sogar nur auf Platz 4. Und dass ein nationales Mandat nicht vor lokalen Bauchlandungen schützt, mussten Martine Mergen (CSV, Stadt Luxemburg) und Fernand Kartheiser (ADR, Käerjeng) erfahren.

Doch gar so groß sind die Unterschiede zwischen lokaler und nationaler Politik dann doch nicht. Die beiden vorgenannten Unglücksraben sind nämlich die einzigen unter 49 kandidierenden Abgeordneten, die es nicht in einen Gemeinderat geschafft haben. Beinahe vier Fünftel der Chamber mischen also in der Gemeindepolitik mit. Rechnet man die kandidierenden hohen BeamtInnen und Angestellten der Parteien hinzu, so wird klar: Ein Teil des politischen Personals auf lokaler Ebene ist dasselbe wie das auf nationaler Ebene. Und in den Proporzgemeinden und einigen Majorzgemeinden strukturieren die Parteien den Wahlkampf. Dabei markieren sie ihre Identität weniger durch politische Positionen als durch gemeindeübergreifende Elemente, wie einen Slogan, eine Parteifarbe oder eine bestimmte grafische Gestaltung des Werbematerials. Würde man wirklich die nationalen politischen Identitäten in dieser Weise akzentuieren, wenn man annähme, dass die WählerInnen sich nach rein lokalpolitischen Kriterien entscheiden?

Beim Propagandamaterial hat die CSV geklotzt und in vielen Gemeinden aufwendige Broschüren verteilt. Es hat sich gelohnt. In den sieben größten Gemeinden erhöht sie ihren Stimmenanteil, in fünf davon auch ihre Sitzzahl um einen oder zwei. In Petingen, wo sie kein Mandat dazugewinnt, liegt sie bei 41,3 Prozent Stimmenanteil, in Hesper sogar bei 45,8, was sitzmäßig für die absolute Mehrheit reicht. „Schlechtestes“ Ergebnis in den großen Gemeinden sind 19,5 Prozent Stimmenanteil in Differdingen. Trotzdem wird sie dort im Schöffenrat sitzen. Auch in Hesper und Petingen ist das eine ausgemachte Sache. In den restlichen großen Gemeinden – außer in Düdelingen – stehen die Chance auf Schwarz im Schöffenrat ebenfalls recht gut. Zuvor war das nur in drei der sieben Gemeinden der Fall.

Ähnlich sieht es aus, wenn man nicht nur die bevölkerungsreichsten, sondern sämtliche Proporzgemeinden betrachtet. Laut einer im Wort veröffentlichten Grafik hat die CSV 40 Mandate gegenüber den Wahlen von 2011 hinzugewonnen und liegt mit insgesamt 209 Proporz-GemeinderätInnen weit vor der LSAP mit 155, der DP mit 108 und den Grünen mit 77 Mandaten. Der prozentuale Zuwachs an letzteren ist geringer, weil 2017 infolge des Bevölkerungswachstums in mehreren Proporzgemeinden die Gemeinderäte vergrößert und mehrere Majorz- zu Proporzgemeinden wurden. Der Langzeittrend ist dennoch klar: Von 30,2 Prozent der 420 Proporz-Mandate 1999 über 31,8 und 30,5 Prozent bis zu den 34,8 Prozent der 2017 zu erringenden 600 Mandate zieht sich die Entwicklung, die die CSV binnen 24 Jahren auch in den Gemeinden zur dominierenden Kraft gemacht hat.

Grün wirkt nicht mehr

Stagnation oder sogar Abstieg – das Ergebnis der DP ist nicht erfreulich: Die Partei, die 1999 noch über ein Viertel der zu vergebenden Gemeinderatsposten errungen hatte – im Jahr ihres historischen Landeswahlerfolgs von 22,4 Prozent – hält nur noch 18 Prozent der Proporzmandate. Interessant ist, dass die DP in den Gemeinden des Zentrums schon immer gute Ergebnisse erzielte und nach und nach auch in den Proporzgemeinden des Ostens und des Nordens Stimmen und Mandate gewinnen konnte. Nur im Süden bekam sie keinen Fuß auf den Boden – mit Ausnahme von Differdingen, wo allerdings seit vergangenem Sonntag für die DP nichts mehr geht. Der fliegende Koalitionswechsel von Roberto Traversini („Déi Gréng“) mochte 2014 von der DP noch als „Putsch“ kritisiert worden sein – das grüne Traumergebnis (plus vier Sitze) auf Kosten der DP (minus fünf Sitze) zeigt, dass genügend WählerInnen darin einen Befreiungsschlag sehen.

Das ist aber schon fast das einzige Wahlergebnis, über das sich „Déi Gréng“ freuen können. In den wenigsten Gemeinden gibt es Sitzgewinne oder -verluste, auch die Prozentzahlen bleiben stabil – außer in Remich, wo die Partei von 33,6 auf 20,4 Prozent zurückfällt. Der grüne député-maire Henri Kox gibt unter anderem den in der Boulevardzeitung „Lëtzebuerg Privat“ gegen ihn geführten persönlichen Attacken die Schuld hierfür. Allerdings hat auch seine Koalitionspartnerin CSV kräftig Stimmen eingebüßt, was eher auf eine Abstrafung des scheidenden Schöffenrats hindeutet.

Landesweit haben die Grünen drei Proporzmandate hinzugewonnen, ihr Anteil ist leicht auf 12,8 Prozent zurückgegangen. Die Partei scheint sich damit als vierte Kraft zu stabilisieren. Zwischen 1999 und 2011 hatte „Déi Gréng“ mit immer größerem Erfolg in immer mehr Gemeinden kandidiert und ihre Mandatszahl von 22 auf 74 erhöht. Doch nach dem Triumph von 2011 (woxx 1132) und dem beeindruckenden Abschneiden bei den Europawahlen 2014 (zweite Partei mit 15 Prozent) stellen die Gemeindewahlen von 2017 eine Enttäuschung dar. Das Muster „Stabilisierung auf bescheidenem Niveau“, das seit 2004 auf Landesebene zu beobachten ist, scheint nun auch auf lokaler Ebene wirksam zu werden. Vielleicht ist es Zeit für einen Strategiewechsel?

… und die Ersten werden nicht die Letzten sein. (Fotos: Raymond Klein)

LSAP sinkt und sinkt

Die große Verliererin aber ist die LSAP: Gegenüber 2011 geht die Zahl der Proporzmandate von 168 auf 155 zurück, was nurmehr einem Viertel der Mandate entspricht – 2005 waren noch über ein Drittel der Proporz-GemeinderätInnen auf LSAP-Listen gewählt worden. Zwar ist die Partei immer noch die zweitstärkste politische Kraft und kann in drei Gemeinden eine absolute Majorität für sich verbuchen. Doch große Zugewinne kann sie nur noch in Betzdorf und Wintger verzeichnen, und ihnen stehen herbe Verluste in vielen Gemeinden gegenüber.

Als dominante Kraft auf lokaler Ebene wies die LSAP in den vergangenen Jahrzehnten einen Anteil bei den Proporzmandaten auf, der um etwa zehn Prozent höher lag als bei den Landeswahlen. Der Rückgang bei diesen Gemeindewahlen könnte als eine Art Normalisierung gedeutet werden – oder als der Vorbote eines weiteren Rückgangs auf nationaler Ebene. Immerhin war die LSAP bei den Europawahlen 2014 mit unter 12 Prozent Stimmenanteil nur vierte Kraft geworden. Sollte das Ergebnis bei den Landeswahlen 2018 – nach dem 2013er historischen Tiefstand von 20,3 Prozent – tatsächlich weit unter 20 Prozent fallen, so wäre dies das schlechteste Resultat seit … 1925. Doch in der Frage, was gegen diese Entwicklung zu tun ist, dürften der linke und der liberale Parteiflügel entgegengesetzte Ansichten haben.

Als „kleine Siegerin“ bei den Wahlen bewertete die Sprecherin von „Déi Lénk“ auf RTL ihre Partei. Man habe trotz Verjüngung der Listen leicht hinzugewonnen und sei zufrieden, so Carole Thoma. Doch der Zweckoptimismus ändert nichts daran, dass das bescheidene Abschneiden von Déi Lénk eine doppelte Enttäuschung darstellt. Zum einen hatte die Partei darauf gehofft, die Folge von Wahlerfolgen seit 2004 fortzusetzen. Zum anderen gab es die Erwartung, dass die von der LSAP verlorenen Stimmen zum Teil bei „Déi Lénk“ landen. Dem war aber nicht so (außer in Suessem, siehe S. 4). In Esch hat die Partei es nicht einmal geschafft, den verlorengegangenen KP-Sitz zu übernehmen – ihr Stimmenanteil ist sogar von 10,9 auf 9,5 zurückgegangen. Bekundungen von Zufriedenheit erscheinen da fehl am Platz.

Die wahren „zweiten Sieger“ sind die so genannten freien Listen. 1999 gab es 9 Mandate ohne Parteizugehörigkeit, mittlerweile sind es 34 – zweimal so viel, wie alle kleinen Parteien zusammen erzielt haben. In Gemeinden wie Frisingen und Schëtter dürften sie sogar den Sprung in den Schöffenrat schaffen. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass einige dieser Listen eigentlich einer Partei nahestehen. Zum Beispiel der LSAP in Kopstal und in Lorentzweiler, der DP in Ulflingen – die beiden letzteren erreichten interessanterweise die absolute Majorität. Jedenfalls zeugt die Tatsache, dass „Parteilosigkeit“ als Vorteil angesehen wird, von der Identitätskrise, in der sich auch hierzulande die Parteien befinden.

CSV statt Déi Lénk gewählt

Die anderen kleinen Listen dagegen schnitten eher schlecht ab: Die ADR schafft es auch auf Gemeindeebene nicht, ihr rechtspopulistisches Wählerpotenzial zu realisieren – von einem AfD-Effekt ist also nichts zu erkennen. Und während die ADR bei vier Mandaten bleibt, geht die KP von drei auf zwei zurück – so sieht gemeindepolitische Bedeutungslosigkeit aus. Ob die Piraten es jemals weiter als bis zu dieser Stufe schaffen werden, ist unklar. In sechs Gemeinden waren sie angetreten, doch ihre drei Mandate erzielten sie just mit den beiden Listen in Remich und in Petingen, die eher für Poujadismus als für Piratentum stehen.

Warum also haben die unzufriedenen WählerInnen sich nicht für linke, rechte oder liberale Protestparteien entschieden, sondern für bürgerliche Parteien – und meistens sogar für die CSV? Vermutlich weil die Krise – die wirtschaftliche, aber auch die politische – hierzulande am wählenden Teil der Bevölkerung weitgehend vorbeigegangen ist. Jedenfalls scheint die Mittelschicht – anders als in den Nachbarländern – weiterhin dem bestehenden System zuzutrauen, ihre Probleme, also vor allem Einkommensverlust und Abstiegsangst, zu lösen. Deshalb können die etablierten Parteien, da, wo sie lokal in der Opposition sind, die Stimmen der Unzufriedenen gegebenenfalls abfangen. Ob Grüne in Differdingen, DP in Remich oder CSV in vielen anderen Gemeinden – wenn es um Verbesserungen geht, setzt man immer noch auf die bürgerlichen Parteien.

Die CSV hat demnach durchaus recht, wenn sie die Gemeindewahlen als gutes Omen für die Landeswahlen in einem Jahr ansieht. An Unzufriedenheit mangelt es nicht, und einzige bürgerliche Oppositionspartei sind die Christlich-Sozialen! Gewiss, es gibt Fragen: Wie überzeugend ist das „weiche“ Profil des Spitzenkandidaten? Wo steht die Partei zwischen liberalem und sozialem Flügel, zwischen Konservativen und Modernisierern? Doch wenn die CSV keine allzu großen Fehler macht, ist die Frage nicht, ob sie in die nächste Regierung kommt, sondern bloß mit wem.

2018: Kiwi oder Groko?

Die Koalitionsbildungen auf Gemeindeebene werden natürlich in erster Linie von lokalen Umständen diktiert. Dennoch: Bestimmte Konstellationen haben einen landespolitischen Beigeschmack. So verblüfft die Vielzahl von schwarz-grünen Schöffenräten – vor 20 Jahren, als die erste funktionierende Koalition dieser Art in Suessem zustande kam, war sie von vielen Grünen noch mit Argwohn betrachtet worden. Jetzt aber dürfte dieses Modell zumindest in Differdingen, Schifflingen, Walfer, Käerjeng und Grevenmacher umgesetzt werden.

Eigentlich könnte man noch die „Tansania-Koalitionen“, in Deutschland „Jamaika“ genannt, dazurechnen. Erstmalig 2002 in Differdingen durch Claude Meisch eingeführt, machte das Modell 2011 in Bettemburg Schule und steht mittlerweile in Esch zur Debatte. Zweck der schwarz-blau-grünen Koalitionen war in allen Fällen, die missliebige LSAP auszubooten. Im gleichen Stil wird derzeit in Contern an einer Anti-CSV-Koalition („Ampel“) gearbeitet, in Luxemburg-Stadt befürworten manche eine Anti-DP-Koalition („Kenia“) und in Schëtter wollten sich sogar vier Listen – „Schëtter Bierger“, CSV, LSAP und die Grünen – zusammentun, um den DP-Bürgermeister abzulösen.

Richtig populär ist neben dem Modell Schwarz-Grün („Kiwi“) aber nur noch das der „großen Koalition“ („Groko“). Schwarz-Rot dürfte demnächst unter anderem in Ettelbrück, Strassen, Mamer, Echternach, Niederanven, Steinsel, Kehlen und Roeser regieren. Man merke: Es gibt Hoffnung – auf Machterhalt – für die LSAP. Und: Immer ist die CSV dabei.


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