Migrations- und Entwicklungspolitik drohen immer mehr miteinander zu verschmelzen. Das zeigt sich auch in den aktuellen Diskussionen um den Europäischen Fonds für Nachhaltige Entwicklung.
Vergangenes Jahr haben die Mitgliedstaaten der EU 75,5 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe ausgegeben. Das sind elf Prozent mehr als 2015. Der Betrag stieg das vierte Mal in Folge an und die EU bleibt die weltweit größte Geldgeberin in diesem Bereich. „Ich bin stolz darauf“, schrieb EU-Entwicklungskommissar Karmenu Vella in einer Pressemitteilung, als am Dienstag vergangener Woche die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OSZE) die neusten Zahlen präsentierte.
Doch immerhin ein Viertel der Zunahme der Europäischen Entwicklungshilfe ging auf das Konto der Hilfe, die Flüchtlingen in Europa zugute kam. Deutschland zum Beispiel gab 2016 rund sechs Milliarden Euro für Empfang und Unterbringung von Flüchtlingen im eigenen Land aus, rechnete diese Summe in die staatliche Entwicklungshilfe mit ein und erreichte somit erstmals das 2005 gesteckte Ziel, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben.
Elffache Hebelwirkung für nachhaltige Entwicklung
Als „Augenwischerei“ bezeichnet die Europa-Abgeordnete Maria Heubuch (Grüne) diesen „statistischen Trick“. „Es ist erlaubt, und dennoch sollte Geld, das für die Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland ausgegeben wird, nicht zur Entwicklungshilfe gezählt werden“, so Heubuch. „Diese Gelder sollten vor allem dahin fließen, wo Armut bekämpft werden muss.“
Genau dieses Ziel verfolgt ein neues Instrument der EU, das über den herkömmlichen Gedanken der Entwicklungshilfe hinausgehen will. Nach dem Vorbild des so genannten „Junckerplans“, des „Europäischen Plans für Strategische Investitionen“, soll der „Europäische Fonds für Nachhaltige Entwicklung“ Investoren dazu animieren, ihr Geld in Regionen und Projekten anzulegen, die ansonsten eher leer ausgehen.
Den nötigen Anschub für diese Investitionen würde, ähnlich wie beim Juncker-Plan, eine vom EU-Haushalt gelieferte Garantie geben. Ein Anfangsbudget von 3,35 Milliarden Euro soll so bis 2020 Investitionen von insgesamt rund 44 Milliarden Euro in den afrikanischen AKP-Staaten (79 Staaten, die in Afrika, der Karibik und im Pazifik gelegen sind) ermöglichen, mit denen die EU ein Partnerschaftsabkommen hat. Weitere Nutznießer wären Libanon und Jordanien. Der Fonds soll von der Europäischen Kommission zusammen mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) koordiniert werden.
Erwünschter Nebeneffekt ist dabei die Bekämpfung der so genannten „root causes“ (fundamentale Ursachen) der Migration, wie es im Text heißt, den die EU-Kommission im Dezember vergangenen Jahres vorgelegt hat. Ein Zusatz, der auf die Kritik von manchen EU-Parlamentariern stößt.
„Hauptmission des Fonds muss es sein, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung soziale Ungleichheiten zu reduzieren“, sagt etwa der Europa-Abgeordnete Charles Goerens (DP). „Sollte das erklärte Ziel aber lauten, dass weniger Flüchtlinge nach Europa kommen, dann ist das der Anfang vom Ende der Entwicklungspolitik“, so Goerens. Die Idee des Fonds begrüßt der ehemalige Kooperationsminister und hat dabei vor allem private Investoren im Visier, deren Risiko durch die EU-Garantie gemindert werde.
Wie viele EU-Abgeordnete fordert Goerens jedoch, dass die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung deutlicher im Gesetzestext verankert werden. Einige der 386 Änderungsanträge, über die der Entwicklungs-Ausschuss des Europaparlaments am 24. April abstimmen wird, konzentrieren sich darauf, die Einhaltung sozialer und Umweltstandards sowie der Klimaschutzziele in den Text zu integrieren.
Europaparlament will mitreden
„Das Parlament verlangt hier, dass verbindliche Kriterien festgehalten werden“, sagt Charles Goerens. Überdies wollen die EU-Parlamentarier bei der Auswertung der finanzierten Projekte dabei sein.
Gerade weil der Privatsektor eingebunden werden soll, sei es wichtig, wirkungsvolle Kontrollinstrumente einzuplanen, findet auch Xavier Sol von der NGO „Counterbalance“. „Die ökonomische Rentabilität der Projekte kann nicht das einzige Kriterium sein“, so Sol. Seine Organisation, die sich in den vergangenen Jahren viel mit der Arbeit der Europäischen Investitionsbank (EIB) auseinandergesetzt hat, sieht die Rolle der EIB hier kritisch. „In ihren Aktivitäten außerhalb der EU sehen wir Defizite in Bezug auf Menschenrechte und auf die Aufmerksamkeit, die den sozialen Auswirkungen entgegengebracht wird“, erklärt Xavier Sol.
Die EIB sei nun einmal kein Entwicklungsinstitut, sagt Maria Heubuch und bezweifelt ebenfalls, dass die Bank die notwendige Erfahrung in diesem Bereich mitbringt. Auch die wie im Junckerplan anvisierte elffache Hebelwirkung stellt die deutsche Grüne in Frage. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir in Somalia denselben Hebel wie bei Investitionsprojekten in Dänemark, Italien oder Deutschland erreichen können“, so Heubuch.
Amalgam mit Migrationspolitik
Die Verknüpfung mit der Bekämpfung der Migrationsursachen sollte ihrer Meinung nach ganz aus dem Gesetzestext zum Entwicklungsfonds gestrichen werden. „Wir müssten erst einmal diese Ursachen klar definieren“, so Heubuch. Entwicklung in bestimmten Gegenden zu fördern, könne auch dazu führen, dass Menschen mobiler werden.
Warum man dem Entwicklungsfonds den Stempel der Migrationspolitik aufdrücken sollte, fragt sich auch Xavier Sol von „Counterbalance“. Das Ziel, Armut und damit auch Fluchtursachen zu bekämpfen, sei ohnehin in allen Entwicklungsprogrammen der Weltbanken verankert. In seinen Augen ist es geradezu gefährlich, die beiden Bereiche Entwicklungshilfe und Migrationspolitik zu vermischen. „Verschiedene EU-Länder könnten das Instrument dann auch missbrauchen, indem sie Infrastrukturen zur Kontrolle von Migrationsströmen, etwa den Bau von Mauern, finanzieren“, erklärt Sol.
Das käme einem weiteren Anstieg der „Phantom-Hilfe“ gleich, den NGOs anlässlich der Veröffentlichung der jüngsten OECD-Daten zum Anteil staatlicher Entwicklungshilfe am BIP beklagten. „Kreatives Anrechnen, das dazu da ist, Phantom-Hilfe anschwellen zu lassen und Haushaltskürzungen zu verdecken“, sei im Hinblick auf die Ziele nachhaltiger Entwicklung keine Lösung, so Arnaud Zacharie von der belgischen NGO-Plattform „CNCD-11.11.11“. Er kritisiert in einer Stellungnahme die „Kreativität“ der belgischen Regierung, die 57 Millionen Euro zur Finanzierung des EU-Türkei-Abkommens und des Afrika-Fonds zur Bekämpfung illegaler Migration als Entwicklungshilfe deklarierte. Obwohl Belgiens Hilfe von 0,42 auf 0,49 des BIP anstieg, sei die „reale Hilfe“ zur Finanzierung von Entwicklungsprogrammen auf einem historisch niedrigen Niveau, so Zacharie.
Luxemburg gab übrigens weiterhin ein Prozent seines BIP für Entwicklungshilfe aus und liegt damit im europäischen Ranking deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 0,51 Prozent. Man werde künftig weder Klimaschutzmaßnahmen noch Ausgaben für den Empfang von Flüchtlingen in die Entwicklungshilfe mit einberechnen, versprach Kooperationsminister Romain Schneider als er im November vergangenen Jahres die Ziele seiner Politik vorstellte.
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