Life-cycle management: Made in Ökoland

In Luxemburg saßen Wissenschaftler und Manager zusammen, um über die Nachhaltigkeit bei der Produktentwicklung zu diskutieren. Grüne Revolution oder Greenwashing?

Kaffeepause: Angeregte Diskussionen im Foyer des Konferenzzentrums. (Fotos: RK)

Was ist Life-cycle management (LCM)? Der Name einer dreitägigen Konferenz auf Kirchberg, die irgendwas mit Umwelt, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft zu tun hat. Auf Deutsch heißt LCM Produktlebenszyklus-Management und meint das Zusammenstellen aller Daten über ein Produkt, von seinem Entwurf über die Produktion bis hin zu Kundendienst und Entsorgung. Es handelt sich um ein unternehmerisches Konzept, nicht zu verwechseln mit dem Life-cycle assessment, auf Deutsch Lebenszyklusanalyse … oder Ökobilanz.

Grüne Traumprodukte

Kurz gesagt: LCM dient der Optimierung. Man kann es nutzen, um die Qualität und die Gewinnspanne zu erhöhen … oder die Umweltverträglichkeit. Anfang vergangener Woche waren Ökologie und Nachhaltigkeit denn auch die wichtigsten Themen bei der alle zwei Jahre meist in europäischen Städten stattfindenden LCM Conference. Organisiert wurde das Zusammentreffen von Wissenschaft und Management vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST), von der Uni und von Arcelormittal.

Die Weltkarte auf dem großen Bildschirm zeigt ein Dutzend Fähnchen, die meisten in China. Ein Mausklick auf dem kleinen runden Tisch davor: eine Tabelle mit Daten erscheint – „Informationen über Gesundheitsrisiken“, erläutert der Herr im eleganten Anzug. Im Foyer des Europäischen Konferenzzentrums stellen sich viele Firmen vor, meist auf breiten Tischen mit viel Papiermaterial. Doch hier bei der Makersite-Software kann man abheben: Wer eine Produktidee hat, kann sie weiterträumen. Zum Beispiel – in Anlehnung an das Fairphone, das nachhaltig hergestellte Smartphone – könnte man ein faires E-Bike entwickeln. Wo die Reifen kaufen, woraus soll der Rahmen sein, und was passiert bei der Herstellung der Akkus in China? Makersite hat die Antworten bereit, das suggeriert die Präsentation. Von den Kosten über die Normen bis hin zum ökologischen Fußabdruck.

Ist LCM der Schlüssel zu einer nachhaltigen Welt? Reicht es, alle neuen Produkte von vorneherein nachhaltig und umweltschonend zu konzipieren? Es gibt einen Haken: Das neue, faire E-Bike besteht unvermeidlich aus bereits vorhandenen Einzelteilen. Und bereits bestehende Firmen haben Millionen in Maschinen und Werbung investiert – sie können ihre Produktion und ihre Lieferketten nur langsam an die Erfordernisse der Nachhaltigkeit anpassen.

Die Marke macht’s

Statt zum Beispiel die Nespresso-Kapseln durch etwas Neues zu ersetzen, ist Nestlé bemüht, die Kunden vom Sinn des Recycling zu überzeugen. „Das mithilfe des Kaffeesatzes einer Kapsel erzeugte Biogas entspricht der Energie, die für die Herstellung einer neuen Kapsel benötigt wird“, versicherte die am Nestlé-Stand ausliegende Hochglanzwerbung. Auch für das Problem des Plastikmülls im Meer hat Urs Schenker von Nestlé eigene Lösungen bereit: „Das Verbot von Plasiktüten oder der Rückgriff auf biologisch abbaubaren Kunststoff bringen nicht viel.“ In seinem Kurzvortrag sprach sich der Experte dafür aus, Verpackungen so zu gestalten, dass ein Recycling einfacher wird. Auch Information und Erziehung könnten dazu beitragen, dass weniger Plastik weggeworfen wird.

Man sieht: Hier entwickelt ein Konzern seine eigenen Ideen – mal mehr, mal weniger nachhaltig. Systemische Herangehensweisen wie Müllvermeidung oder Konsumzurückhaltung werden weder bei Makersite noch bei Nestlé in Betracht gezogen. Dafür wird, ähnlich wie bei Veranstaltungen zur Kreislaufwirtschaft, auf die Eigendynamik der wirtschaftlichen Akteure und der Märkte gesetzt. Das Herunterbrechen von politischen oder wissenschaftlichen Zielvorgaben wie Klimaschutz oder Sustainable Development Goals auf die Ebene der Unternehmen war denn auch Thema mehrerer Kurzvorträge.

Um Klimaschutz-Reduktionsziele auf die Firmen innerhalb eines Wirtschaftssektors fair aufzuteilen, schlug Marcial Vargas-Gonzalez von der Umweltberatungsfirma Quantis vor, sich an der Machbarkeit zu orientieren. Indem man die Marginalkosten der Reduktion berechnet, kann man die Auflagen da verschärfen, wo es sich am einfachsten bewerkstelligen lässt, und diejenigen Firmen entlasten, für die Klimaschutz besonders aufwendig ist. Dabei nannte Vargas-Gonzalez an einer Stelle ein Reduktionsziel von 50 Prozent für 2050. Publikumsfrage: Müssen wir nicht schon 2050 auf null Prozent CO2-Ausstoß sein? Der Umweltberater verwies auf die Szenarien der Internationalen Energieagentur – die offenbar im Widerspruch zum Pariser Abkommen stehen. „Ich verstehe Ihre Kritik“, räumte Vargas-Gonzalez verlegen ein, „aber wir versuchen hier, die Ziele mit der Machbarkeit für die Firmen in Einklang zu bringen.“

Referate und Diskussion zum Thema „Integrating the concept of Planetary Boundaries into decision making processes“.

Fuß an den Schuh anpassen

Eine Publikumsstimme zu einem anderen Vortrag hinterfragte die gesamte Herangehensweise: „Müsste man nicht anstelle von sektoriellen Zielvorgaben eher auf systemische Mechanismen setzen? Zum Beispiel das Zusammenwirken von Mobilität und Wohnstrukturen bei der Stadtentwicklung?“ Die Referentin stimmte zu, meinte aber, die Unternehmen könnten ja sektorübergreifend zusammenarbeiten. Implizit wird vorausgesetzt, dass wirtschaftliche Interessen dieses komplexe Zusammenwirken ermöglichen – statt Planung und demokratisch legitimierte Entscheidungen. Kein Wunder, dass bei solchen Veranstaltungen potenziell revolutionäre, aber nicht profitorientierte Initiativen wie die Transition-Bewegung meist außen vor bleiben.

Stargast der Veranstaltung war Bertrand Piccard, der Mann, der die Erde in einem Ballon und danach in einem Solarflugzeug umrundet hat. Für politisch-ökologisch Interessierte war wohl Mathis Wackernagel interessanter, der Entwickler des ökologischen Fußabdrucks. In seinem Kurzreferat wies der Schweizer Theoretiker auf die Gefahren der Übernutzung hin: „Wer ein Flugzeug sicher fliegen wil, sollte ein Auge auf die Spritreserve haben.“

Schon jetzt würden viele Länder mehr verbrauchen, als ihre Biokapazität erlaubt – insbesondere arme Länder, die es sich eigentlich nicht leisten können, so viel zu importieren. Wirtschaftswachstum anzustreben, um die Übernutzung zu finanzieren, hält Wackernagel für sinnlos. Weniger riskant sei, den Verbrauch an die Biokapazität anzupassen. Im Sinne des LCM solle man bei Entscheidungen über den Bau von Kraftwerken, Verkehrsinfrastrukturen oder Wohnungen darauf achten, zukunftssichere Optionen zu wählen.

Alles fake, oder?

Interessant war, dass die Forscherin Dimitra Ioannidou bei ihren Ausführungen zur Kritikalität von Ressourcen dafür plädierte, Baumaterialien wie Sand und Kiesel möglichst lokal zu nutzen. Eine Forderung im Sinne Wackernagels, die aber den wirtschaftlichen Akteuren, die ihre Produkt-Lebenszyklen im Rahmen globaler Märkte optimieren, schwer zu vermitteln sein dürfte. Es sei denn, die Politik entschließt sich zu „marktverzerrenden“ Maßnahmen – was aber nicht Thema der Konferenz war.

(Foto: Wikimedia / Dee.lite / CC BY 3.0)

LCM im Dienste der Nachhaltigkeit, ist das nur Augenwischerei? Wird hier unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit eine Art Ablasshandel für die Industrie betrieben? Nehmen wir einmal an, die globalen Ziele werden auf die Unternehmen und ihre Produktionsprozesse heruntergebrochen – und dabei ein bisschen „angepasst“. Auch die Euro-Normen für Diesel-Autos sollten seinerzeit ja langsam die Luftqualität insgesamt verbessern, doch führten die Schummeleien dazu, dass die Belastung hoch blieb. Vielleicht wird man 2040 feststellen, dass beim LCM so viel gemogelt wurde, dass trotz Öko-Zertifizierungen die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten gesprengt wurden.

Ohne politische und gesellschaftliche Kontrolle werden wirtschaftsfreundliche Herangehensweisen wie LCM vor allem eine Alibifunktion haben. Allerdings helfen sie auch, innerhalb der Unternehmen ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen und die Innovation in eine umweltverträgliche Richtung zu lenken. Der wissenschaftliche Anspruch des LCM sollte dabei aber nicht als Unfehlbarkeitsgarantie missverstanden werden, sondern als Aufforderung, die Modelle kritisch zu hinterfragen und schrittweise zu verbessern.


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