Linke Parteien in der Krise (3/4)
: Rotwein pur


Im Cafetin, wohin Déi Lénk einlädt, sind die Steaks zart und die Weine schwer. Wer fragt da nach Macron oder Corbyn? Auch gehören Salatblätter, Bratkartoffeln und Grappa zum Menü wie die zivilgesellschaftlichen Bewegungen zur radikalen Linken.

Aufbruchstimmung? Nichts ist einfach für Déi Lénk. (Foto: RK)

„Wichtig für uns war, kritische Oppositionsarbeit zu leisten“, sagt der Abgeordnete Marc Baum, „und das haben wir eingelöst.“ Die Partei Déi Lénk hat an diesem Mittwoch als letzte Fraktion zur Bilanzpressekonferenz mit anschließendem Essen geladen. Ins Cafetin de Buenos Aires, wie in den Jahren zuvor – vermutlich sind da, wo eine Entscheidung zwischen griechischer, spanischer und portugiesischer Politik und Küche zu Konflikten führen würde, Grillfleisch und die Verbundenheit zur lateinamerikanischen Linken konsensfähig.

Nicht nur Nein sagen

Wichtig ist es Déi Lénk auch, die „Stimme der Zivilgesellschaft“ zu sein. Als einzige Partei in der Chamber habe man bei der Diskussion über das Ceta-Abkommen die Forderungen der Straße aufgegriffen, unterstreicht Baum. Auch mit der Kritik der Reform der Pflegeversicherung und der Unterstützung der Petition für eine sechste Urlaubswoche habe Déi Lénk ihre Verbundenheit mit Gewerkschaften und Arbeitnehmern gezeigt. Verglichen mit den sozialen scheinen die ökologischen Themen keine große Rolle zu spielen: Die Kreislaufwirtschaft wird kurz erwähnt, die Wachstumsproblematik nur angedeutet, und beim Thema Wirtschaftsmodell geht es nur um die Abhängigkeit vom Finanzplatz, nicht um die vom Tanktourismus.

Über die Kritik hinaus zähle auch die Wirkung, so Baum: „Wir haben es mit mit unseren anfangs belächelten Vorschlägen geschafft, die politischen Linien in Bewegung zu bringen.“ Zum Beipiel bei der Wohnungspolitik, wo, wie der zweite Abgeordnete David Wagner anführt, die Regierung mittlerweile über Enteignungen nachdenke – ohne sie allerdings so zu nennen. Déi Lénk will auf keinen Fall eine Neinsager-Partei sein, ja, sie lässt sich sogar punktuell zu einem Lob für die Regierung hinreißen. Das Gesetz zur Langzeitarbeitslosigkeit – für das die Partei gestimmt hat – wird als „progressiv“ bezeichnet, und auch die Wende von der Austerität zum Keynesianismus wird vorsichtig positiv bewertet.

Werden also Déi Lénk zu Unrecht als Revoluzzer dargestellt, sind sie in Wahrheit nur Sozialdemokraten, die ihre Prinzipien ernst nehmen? Auf die Frage nach einem eventuellen Mitregieren – in erster Linie in den Gemeinden – gibt sich Baum zurückhaltend: Ziel sei es, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Man verfüge über die Erfahrung, aus der Opposition heraus Einfluss auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu nehmen. Zum Wechsel auf die Regierungsbank sagt Baum: „Wenn wir ein starkes Mandat bekommen, wenn wir eine transformatorische Politik betreiben können, die von den Leuten getragen wird, dann können wir uns eventuell an einer Koalition beteiligen.“

Napoleon oder Hitler?

Zigarettenpause in der Mittagssonne im kleinen Hof vor dem Cafetin. Macron oder Corbyn? Ich stelle meine Frage gleich nach der Pressekonferenz, während im ersten Stock die Tische umgestellt werden. Marc Baum grinst und legt los: „Macron ist dabei, das Arbeitsrecht zu zerstören. Er führt sich auf wie der König von Frankreich, nicht wie ein gewählter Vertreter.“ Doch einfach „Für Corbyn“ sind Déi Lénk auch nicht. Der ehemalige Abgeordnete Serge Urbany lästert über den LSAP-Politiker Dan Kersch, der seiner Partei in einem Wort-Artikel ans Herz gelegt hatte, auf Distanz zu Macron zu gehen (woxx 1433). „Bestimmt findet er Corbyn gut“, sagt Urbany. „Aber gleichzeitig setzt er als Minister eine unsoziale Reform im öffentlichen Dienst durch.“

Der Energieschub des Nikotins führt zu einer angeregten Diskussion bei den linken Politikern und Aktivisten im Innenhof: Ist Macron ein Autokrat im Stile von Putin, Erdogan und Trump? Bedeutet die Tatsache, dass er das so offen zeigt, eine Chance für seine Kritiker? Anders als in den traditionellen Parteien ist bei Déi Lénk das Geschichtsbewusstsein sehr ausgeprägt: Kann man die heutige Lage mit jener in der Weimarer Republik vergleichen? Unklar ist, ob in diesem Szenario die Rolle des Diktators im Dienste des Kapitals Marine Le Pen oder Emmanuel Macron zufällt. Oder ist der neue starke Mann in Frankreich etwa eine Art Napoleon? Und wenn ja, der Erste oder der Dritte?

Hallo Zivilgesellschaft!

Der Salat mit großen Stücken Ziegenkäse auf breiten Süßkartoffelscheiben bringt die Bodenhaftung zurück: „Macron ist ein Liberaler, aber kein Pétainist wie Fillon“, so die Einschätzung von Urbany. Er vergleicht seinen Politikstil mit jenem eines „roi-philosophe“. Die Absage an Ethnizismus sei erfreulich, aber eigentlich mache Macron Politik für die Reichen. Baum dagegen unterstreicht den Niedergang der sozialistischen Partei: „Es kommt zu einer politischen Neustrukturierung in vielen Ländern Europas, mit Klärungsprozessen, die schmerzhaft sein können, oder auch produktiv.“ Er verweist auf den Wahlerfolg des Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon, räumt aber die Zerrissenheit der französischen Linken bei den Legislativwahlen ein: „Solche Prozesse gehören dazu.“

Auffällig ist, dass fast nur Männer an der Pressekonferenz teilnehmen – auf beiden Seiten. Liegt es an der Spezialität des Hauses, den argentinischen Rindersteaks? Oder an der trocken-theoretischen Diskussionskultur, wie sie in linken Kreisen üblich ist? Für das Gespräch bei Kaffee und Grappa erwarte ich eine Steigerung – immerhin feiert die Russische Revolution ihren 100-jährigen Geburtstag – und werde enttäuscht: Die Zeit um 1980 ist angesagt, Aufbruchstimmung bei den Gewerkschaften und erster Streit in der Indexfrage.

Doch zuvor geht es um Zukunftsperspektiven für die Linke in Luxemburg. Dass auf den Listen für die Gemeindewahlen mehrere ehemalige Mitglieder oder Sympathisanthen von LSAP und Grünen zu finden sind, ist für Urbany kein Zufall: „Das zeigt unser Selbstverständnis als ausbaufähiges Projekt und unsere ökosoziale Programmatik.“ Auch in anderen Ländern hat die radikale Linke versucht, neue Wege zu gehen. Soll man Allianzen zwischen Parteien schließen, wie 2012 bei der Front-de-gauche-Kandidatur in Frankreich? Oder einen direkt an die Menschen gerichteten Wahlkampf führen, wie Mélenchon diesmal – erfolgreich, aber sehr personenbezogen? Oder ist das stark basisdemokratisch orientierte Podemos-Modell vorzuziehen? Dass man als linke Partei auf die Zivilgesellschaft setzen muss, darin sind sich alle einig. Und ebenso in der Beobachtung, dass die Luxemburger Regierung versucht, die Luft aus den zivilgesellschaftlichen Forderungen zu nehmen. „Sie machen das ziemlich gut“, stellt Urbany fest. Die Revolution ist nicht für morgen.

SOS Sozialdemokratie
In dem Gefühl, als Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklungen alleingelassen zu werden, haben sich viele Menschen von den sozialdemokratischen Partien abgewendet. Ob Emmanuel Macron den Weg aus der Krise zeigt und wie es sonst weitergehen kann, ist umstritten. Die woxx nutzt die Gelegenheit der Bilanzpressekonferenzen, um nachzufragen – diese Woche bei Déi Lénk. In der nächsten Nummer ziehen wir dann Bilanz über die Orientierungsdebatten innerhalb der Linken in Luxemburg.


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