LSAP-Wahlprogramm
: Kamellen und Kirschen

Vieles, was die LSAP fordert, klingt bescheiden oder vage. Doch ihr Wahlprogramm überrascht mit ein paar Highlights.

Gruppenbild mit Aufbruchstimmung. Werden die Highlights des Wahlprogramms ausreichen, um den Niedergang der LSAP zu stoppen? (Foto: (c) Guy Hoffman, März 2018)

Étienne Schneider hat ein feines Gespür sowohl für die Schwächen der Konkurrenz als auch für die Sensibilität der eigenen Wählerschaft. Beim LSAP-Programmkongress am 12. Juli lästerte er über die patriotisch angehauchten Slogans von Déi Gréng und DP. Damit beweise man nur, „dass man Angst vor dem identitären Mob hat, jenen, die versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten“, so Schneider. Und beeilte sich dann trotzdem, den Patriotismus der eigenen Partei zu dokumentieren: „Die LSAP hat als einzige Partei Luxemburg im Namen, und dies schon sehr lange.“

Roter Lorbeer

Eine Aussage, die nicht ganz den Tatsachen entspricht – die KPL trägt ebenfalls das L im Namen. Außerdem suggeriert Schneiders Hinweis, dass auch er Angst vor dem Populismus hat – wohl wissend, dass seine Person eine gute Zielscheibe für den Ärger über die Globalisierung und „die da oben“ abgibt. Doch der LSAP-Spitzenkandidat trägt seine Argumente so geschickt vor, dass solche Widersprüche kaum auffallen.

Nicht etwa, dass es der LSAP an politischem Mut fehlen würde, linke Positionen zu vertreten. Das vom Kongress verabschiedete Wahlprogramm spricht sich gegen Aufrüstung und für ein „weltoffenes“ Luxemburg und ein starkes Europa aus. Ein Online-woxx-Beitrag geht im Detail auf diese Aussagen und mögliche Widersprüche ein (woxx.eu/lsapwelt). Im Bereich Gesellschaftspolitik ist die Aufzählung der von der LSAP unterstützten Verbesserungen noch beeindruckender, von der gleichgeschlechtlichen Ehe über die Trennung von Kirche und Staat bis zur Frauenquote auf Wahllisten (S. 3 des Wahlprogramms). Highlight ist das von den Jusos durchgesetzte Festhalten am Wahlrecht ab 16, obwohl diese Neuerung 2015 beim Referendum abgeschmettert worden war (S. 12). Es fällt allerdings auf, dass die restlichen Vorschläge, sofern sie über das von der Regierung Erreichte hinausgehen, bescheiden und meistens auch vage ausfallen.

Die sozialistische Wahlkampagne dreht sich allerdings nicht in erster Linie um fortschrittliche Prinzipien, sondern um praktische, soziale Fragen. „Die LSAP setzt sich seit über 100 Jahren konsequent für die Rechte der Arbeitnehmer, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt ein“, heißt es am Anfang der Präambel des Programms (S. 3). Die Partei habe damit „wesentlichen Anteil daran, dass in Luxemburg über Jahrzehnte hinweg ein leistungsfähiger Sozialstaat aufgebaut wurde, der auf Solidarität beruht und sozialen Frieden fördert“. Und sie wird „auch in Zukunft alles tun, um den Sozialstaat zu stärken und langfristig abzusichern“.

Das Bekenntnis zum Sozialstaat ist nicht selbstverständlich angesichts der weiterhin beliebten neoliberalen Ideologie, die eine hohe „Staatsquote“ ablehnt. Die LSAP widersetzt sich damit – zumindest theoretisch – auch den regelmäßig von einschlägigen Expert*innen geforderten Einschnitten, die den Staatshaushalt ins Gleichgewicht bringen sollen. Ob das Prinzip „Die Wirtschaft steht im Dienst der Menschen und der Allgemeinheit, nicht umgekehrt“ (S. 56) bei der nächsten Krise immer noch gilt, wird sich zeigen.

Rote Linien

Die drei roten Linien, die Schneider beim Kongress aufführte, haben einen starken Symbolwert, ohne irgendeine Koalition von vornherein unmöglich zu machen: Sowohl die Renten wie der Index dürfen nicht angetastet werden, der Mindestlohn muss kurzfristig um 100 Euro netto ansteigen. Wie die meisten anderen sozialpolitischen Maßnahmen, findet man ähnliche Vorschläge im Forderungskatalog des OGBL wieder. Wobei sich die LSAP in der Mindestlohnfrage in den vergangenen Monaten auf die Gewerkschaft zubewegt hat, bleibt allerdings deutlich unter den vom OGBL geforderten zehn Prozent brutto.

Zum Teil sind die geforderten sozialen Verbesserungen struktureller Natur – wie der „Tiers payant généralisé“ und das Recht auf Teilzeitarbeit zwecks Kinderbetreuung. Andere wiederum betreffen mehr oder weniger wichtige Einzelaspekte: Indexierung des Kindergelds und Ausdehnung des 3-Prozent-Mehrwertsteuersatzes auf Hygiene-Artikel, tierärztliche Dienstleistungen und verpackungsfreie Produkte (S. 67).

Maisons rouges

Überraschenderweise wird auch eine weitere Steuerreform in Aussicht gestellt – obwohl es über die von 2016 im Programm heißt, sie habe bereits „die unteren und mittleren Einkommen entlastet“. Die LSAP will nunmehr „der ungleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital entgegenwirken“ und die „Sonderregelung für Stock-Options (…) ersatzlos streichen“ (S. 66-67). Die Steuerklasse 1A solle der Steuerklasse 2 „angenähert werden“ und „langfristig“ werde man sich für die Individualbesteuerung „einsetzen“. Man sieht, die LSAP hat viele gute Ideen, doch eine Reichen- oder Vermögenssteuer gehören nicht mehr dazu. Was die im Titel des Unterkapitels erwähnte Besteuerung des Ressourcenverbrauchs angeht, so geht es nicht etwa um eine Ökosteuer, sondern um die Grundsteuer. Vorgeschlagen wird eine Neubewertung aller Immobilien auf Basis der Grundstücksfläche – etwas vage, aber gewiss gerechter als der jetzt geltende, sehr niedrig angesetzte Einheitswert.

Verbesserungen der Ist-Situation im Wohnungsbau zu versprechen ist ebenfalls nicht schwierig. Immerhin klingen die Vorschläge zur „Bekämpfung der Baulandspekulation und -retention“ nicht schlecht. Eine Neuauflage des „Pacte logement“ soll den Anteil an erschwinglichen und sozialen Wohnungen steigern – angepeilt wird allerdings nur ein Anteil von 15 Prozent. Dass Schneider versicherte, seine Partei werde „das Wohnungsbauministerium in die eigene Hand nehmen“ soll zeigen, dass die Parole von der „Wohnungsbauoffensive“ ernst gemeint ist. Die Vokabel wurde allerdings, wie viele der Vorschläge, aus dem entsprechenden Unterkapitel des Programms von 2013 übernommen.

Leider findet man, wie schon vor fünf Jahren, im Kapitel über „Bezuelbare Wunnraum“ (S. 68-71) keinen Bezug auf landesplanerische Überlegungen, außer dass die Umweltauflagen als Hindernis für schnelle Prozeduren erwähnt werden. Dafür gibt es ein eigenes Kapitel unter dem Titel „Autonom Gemengen an eng kohärent Landesplanung“ (S. 79-84). An dieser Stelle spricht sich die LSAP durchaus für „sektorielle Leitpläne“, eine „geordnete Entwicklung“, die Priorisierung der drei „zentralen Orte“ sowie eine „starke Verdichtung beim Wohnungsbau“ aus, also die Elemente eines nachhaltigen Wohnungsbaus.

Interessanterweise kündigte Étienne Schneider in seiner Kongressrede die Schaffung eines „Superministeriums“ an, das die Zuständigkeiten für Landesplanung, Gemeindepolitik und Wohnungsbau bündeln würde – eine Idee, die nicht im Wahlprogramm aufgeführt ist. Eine Kohärenz zwischen diesen drei Politikbereichen herzustellen wäre sicher sinnvoll. Leider hat die LSAP dies im eigenen Programm nicht geschafft – vielleicht sollte sie für die übernächsten Wahlen die Bildung einer „Superarbeitsgruppe“ ins Auge fassen.

Wie grün ist Rot?

Seit den 1990ern interessiert sich die LSAP kaum mehr für Umweltthemen. Im jüngsten Wahlprogramm ist ihnen immerhin – anders als vor fünf Jahren – ein eigenes, achtseitiges Kapitel gewidmet (S. 87-92). Zum Teil wird auf technische Lösungen verwiesen: „Chancen und Perspektiven nutzen, die die Digitalisierung im Energiebereich bietet“, zum Beispiel die Elektromobilität. Zum Teil geht es aber auch um drastische Maßnahmen wie „Verbote und Sanktionen“ gegen den Plastikmüll. Für große Aufmerksamkeit hat die Forderung eines „kostenlosen öffentlichen Transports“ gesorgt – 2013 strebte man nämlich noch eine „einheitliche Preisgestaltung“ an.

Diese ökologischen Highlights werden aber durch Schattenbereiche aufgewogen. So entsprechen die klimapolitischen Vorschläge bestenfalls dem, wozu Luxemburg sich sowieso im europäischen Rahmen verpflichtet hat. Anders als im Programm behauptet, wird man damit dem Pariser Klimaschutzabkommen nicht gerecht. Die von Gemeindepolitiker*innen aller Couleur getragenen Wahlforderungen des Klimabündnisses zum Beispiel gehen viel weiter.

Rote Ängste, roter Mut

In der Wachstumsfrage hat die LSAP den Mut, simplistische Rezepte abzulehnen: „Gezielt weniger Betriebe anzusiedeln und weniger Arbeitsplätze zu schaffen, löst demnach keine Probleme.“ Stattdessen beabsichtigt sie „die soziale, die wirtschaftliche und die ökologische Dimension miteinander zu verbinden“ (S. 55). Doch diese Verbindung wird sehr oberflächlich gedacht – statt das Wirtschaftsmodell in Frage zu stellen, dekretiert die Partei „dass wir Wachstum brauchen, um die nötigen Steuereinnahmen zu generieren, ohne die wir weder unseren Sozialstaat finanzieren, noch unsere öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen aufrechterhalten könnten. (…) Das ist ein Fakt.“

Kann man deswegen die LSAP als wirtschaftshörig bezeichnen, wie es manche Kritiker*innen tun? Nicht wirklich, denn von dieser Art „Zwang zum Wachstum“ hat sich das Patronat längst distanziert. Es geht der LSAP hier um den Erhalt des Sozialstaates und sie greift dafür auf ein bewährtes sozialdemokratisches Paradigma zurück: Je mehr Gewinn man erwirtschaftet, umso mehr kann verteilt werden. Das Problem: Diese Herangehensweise, für die in der Vergangenheit auch Robert Goebbels und Jeannot Krecké standen, ist im Zeitalter der Digitalisierung und der Ressourcenknappheit nicht zukunftsfähig.

Zwar spricht sich die LSAP durchaus für eine Wohlstandsdefinition jenseits des Bruttosozialprodukts aus, doch ihre Vorschläge zielen fast alle darauf ab, das alte Wirtschafts- und Sozialmodell ins neue Zeitalter hinüberzuretten. Ein bisschen Mut zu Visionen zeigen Étienne Schneider und seine Partei dann doch. Sie schlagen eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich vor, als Umverteilung der Produktivitätsgewinne der dritten industriellen Revolution (S. 39). Insbesondere die Verkürzung der gesetzlichen Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden stellt für die Partei politisches Neuland dar.

Ein Vorschlag, über den sich die Arbeitgeber*innen nicht freuen dürften. Und der wohl nur möglich war, weil Schneiders zwei sozialistische Vorgänger im Wirtschaftsministerium über zwei Jahrzehnte „ökonomische Kompetenz“ demonstriert haben, indem sie zu Wirtschaftslobbyisten wurden. Die vorgeschlagene Arbeitszeitverkürzung ist ein Ansatz, die Digitalisierung zu einer menschenfreundlichen Umgestaltung des Wirtschaftsmodells zu nutzen. Ob das wohl reichen wird, um die Ängste der LSAP-Wählerschaft gegenüber Modernisierung und Globalisierung zu beschwichtigen?


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