Mobilität: Unschuldsgefühle

Die 173.000 LeserInnen des Autotouring wurden jüngst aufgeklärt, wie subtil der Terrorismus unser aller Leben infiltriert.

1358editoA„Auf allen Ebenen scheint sich eine Welt des Terrors auszubreiten, in der sich zum physischen geopolitischen Terror jener moralische oder auch moralisierende Terror gesellt, der durch Schuldgefühle geschaffen wird.“ Der Präsident des Automobilclubs ging gleich zur Sache, als er im Vorfeld des Automobilfestivals die LeserInnen des Clubmagazins, das von Anzeigen diverser Automobilhersteller nur so strotzt, auf eine frohgemute Erkundungs- und Einkaufstour schickte und sie ermunterte, doch ja alle Schuldgefühle abzuschütteln.

Hatte vor noch nicht all zu langer Zeit die Auto-Lobby unangefochten die Meinungsführerschaft bei der hierzulande zu verwirklichenden Verkehrspolitik, so fängt der Wind an sich (zumindest ein bisschen) zu drehen. Denn unverkennbar haben sich die AnhängerInnen eines ganz auf das Auto fixierten Verkehrsmodells selber ins (Stau-)Abseits manövriert. Autofahren macht nun einmal nur Spaß, wenn die Fahrbahn vor einem möglichst frei ist. Wer aber täglich im Berufsverkehr steckenbleibt, der merkt, dass hier vielfach das falsche Transportmittel zum Einsatz kommt.

Die Antwort der Automobilindustrie hierauf sind noch größere und luxuriöser gestaltete Fahrgastzellen: Wenn man schon unsinnig viel Zeit in seinem Vehikel verbringen muss, dann soll dieses doch wenigstens ein möglichst bequemes Ambiente bieten. Für die letzten, staufreien, Kilometer gibt es dann auch noch eine adäquate (Über-)Motorisierung, die es erlaubt, wenigstens für ein paar Minuten den Glauben an die automobile Glückseligkeit wiederzuerlangen.

So wächst in Luxemburg die durchschnittliche Wagengröße mit der Länge der Verkehrsstaus – ein großherzogliches Paradox ähnlich dem der wachsenden Arbeitslosigkeit bei zunehmender Zahl von Arbeitsplätzen.

Aber es macht doch trotzdem Spaß, und deshalb weg mit den kleinlichen Miesepetern, die einem dieses letzte Vergnügen auch noch vergraulen wollen. So wie man früher am Freitag kein Fleisch essen durfte, wird jetzt auch noch zum Autofasten aufgerufen! Und das wenige Tage nach Ende des Autofestivals. Absichtlich am Aschermittwoch veranstalten sie eine Pressekonferenz, um ihrem Enthaltsamkeitsappell Gewicht zu verleihen.

Dass hier eine ganze Phalanx von TerroristInnen am Werk ist, macht auch ein offener Brief der gesellschaftspolitischen Arbeitsgruppe der „Erwuessenbildung“ deutlich, der sich gegen den ACL-Editorialisten wendet.

So wie man früher am Freitag kein Fleisch essen durfte, wird jetzt auch noch zum Autofasten aufgerufen!

Die Methode ist bekannt: Zuerst wird dieser moralisierende Terror ausgelöst, der uns Schuldgefühle eingibt. Und nur unter deren Wirkung sind wir am Ende bereit, staatlich verordnete verkehrstechnische Einschränkungen zu akzeptieren.

Nehmen die (links-)katholischen und ökologischen Moralterroristen also großen Teilen der Autotouring-Leserschaft die Lust am regen Auto-Konsum?

Tatsächlich entblößen sie die argumentative Schwäche des ACL-Präsidenten, der ausgerechnet die jüngsten Skandale der Automobilbranche dazu nutzt, seinen Unschuldsgefühlen (und denen seiner LeserInnen) freien Lauf zu lassen: Schließlich waren es die staatlichen Steuervergünstigungen, die alle zum Diesel getrieben haben. Oder aber er nutzt die unzulänglichen öffentlichen Verkehrsmittel, um seine Auto-Affinität und die vieler anderer zu entschuldigen.

Tatsächlich haben über Jahrzehnte die politischen Akteure versagt und Entwicklungen vorangetrieben, an denen wir jetzt schwer zu tragen haben. Sie sind wirklich einer Art Terrorismus erlegen, der weniger moralisch als vielmehr ökonomisch wirkte.

So gesehen sind die AnhängerInnen sanfterer Fortbewegungsarten eine Art anti-terroristischer Spezialeinheit: Sie zeigen, dass es auch anders geht, und die Heftigkeit des ACL-Editorials scheint darauf hinzudeuten, dass sie nicht ohne Erfolg geblieben sind.


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