Ozeane und Klimawandel
 : Das zweite CO2-Problem


Das Meer ist unser geheimer Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel, denn es absorbiert CO2. Wird aber seine Aufnahmekapazität überschritten, drohen verheerende Folgen.

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Euphausia superba. Die Krillbestände sind gefährdet durch die CO2-Aufnahme der Meere. (Foto: Uwe Kils / Wikimedia / CC-BY-SA 3.0)

Viel ist beim Klimaschutz vom 2-Grad-Ziel die Rede. Die Erdatmosphäre darf sich um nicht mehr als diese 2 Grad erwärmen, wenn das Schlimmste, der Kollaps des Ökosystems Erde, vermieden werden soll. Um unter dieser Marke zu bleiben, müssen aber die Klimagas-Emissionen, die vor allem auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zurückgehen, erheblich gedrosselt werden. Was man dabei schnell übersieht: Riesige Kohlendioxidmengen entweichen nicht nur in die Luft. Auch die Meere nehmen das Gas auf, jeden Tag satte 29 Millionen Tonnen, wie Fortunat Joos vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung in Bern erklärt. Diese Menge entspricht etwa einem Drittel der 90 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die der Mensch täglich in die Atmosphäre pustet. Wissenschaftler sprechen daher vom zweiten CO2-Problem.

Im Kern geht es um den chemischen Haushalt der Ozeane, genauer: um ihren pH-Wert. pH steht für „potentia Hydrogenii“ – Potenzial des Wasserstoffs. Der Wert zeigt den Wasserstoffionengehalt und damit den Säuregrad an. In den Ozeanen liegt er von Natur aus bei etwa 8,2. Meerwasser ist also leicht basisch. Neben dem Wasserstoffionengehalt sind dafür mehrere Säure-Basen-Paare entscheidend. Die drei wichtigsten: Kohlendioxid (CO2), Bikarbonat (HCO3) und Karbonat (CO3). Sie befinden sich zueinander in einem Gleichgewicht; von dessen Bewahrung sind Kleinstlebewesen ebenso wie große Räuber abhängig.

Kleine Verschiebung, 
große Wirkung

Gelangt zu viel Kohlendioxid ins Meer, verändert sich etwas. Chemisch sieht das so aus: Zuerst reagiert ein Teil des gelösten Kohlendioxids mit Wasser zu Kohlensäure (CO2 + H2O = H2CO3). Dann gibt die Kohlensäure ein Wasserstoffion ab. Übrig bleibt Bikarbonat (HCO3). Womit der Prozess aber nicht beendet ist. Die frei gewordenen Wasserstoffionen docken jetzt zum Teil noch an Karbonationen (CO3) an. Die reagieren auch zu Bikarbonat (HCO3). Joos fasst die Prozesse so zusammen: „Der Gehalt an Kohlendioxid, Bikarbonat und Wasserstoffionen steigt, während der Gehalt an Karbonat sinkt. Das Gleichgewicht verschiebt sich dadurch in Richtung eines tieferen pH-Werts.“

Tieferer ph-Wert bedeutet: Die Ozeane werden saurer. Bei durchschnittlich 8,1 sind sie mittlerweile angekommen. Wobei der Wert schneller an der Oberfläche als in der Tiefsee steigt, so Joos. Denn es dauert, bis Wasser von der Oberfläche in die Tiefe absinkt. Auch regionale Unterschiede gibt es. Die ph-Änderungen in den Tropen fallen geringer aus, am stärksten erhöht sich der Säuregrad in der Arktis.

Das Schweigen der Krebse

8,1 statt 8,2, eine Senkung um 0,1. Klingt nicht dramatisch, ist es aber. Denn der pH-Wert ist eine logarithmische Skala, erklärt Joos. Eine Abnahme um 0,1 bedeutet eine Wasserstoffionenzunahme von 26 Prozent. Genau diese Zunahme führt zur schleichenden Versauerung. Bis 2100 erwartet man beim Emissionsszenario, das eine unverminderten Ausstoß von CO2 annimmt (business-as-usual-Szenario), eine pH-Absenkung um 0,4 gegenüber dem vorindustriellen Stand. Der Wert läge dann bei etwa 7,8. Was einer Wasserstoffionenzunahme von 150 Prozent entspricht.

Geht der pH weiter in den Keller, könnten marine Ökosysteme teilweise zusammenbrechen. Das fängt an bei den kleinsten Lebewesen in den Meeren. In der Sonnenlichtzone, der euphotischen Zone, wächst Phytoplankton. Nachts steigen Ruderfußkrebse aus den dunklen Meereszonen auf und machen sich über die Algen her. Gegen Morgen sinken die Mini-Krebse dann wieder nach unten, um dort ihrerseits von größeren Tieren verspeist zu werden.

Phytoplankton steht also am Anfang der Nahrungskette. Um zu wachsen, benötigt es neben Sonnenlicht aber auch Eisen. Forscher der Princeton University kontrollierten im Labor, unter welchen Bedingungen die Algen das Eisen aufnehmen. Das Ergebnis: Je niedriger der ph-Wert, desto schlechter die Absorption. Bei 7,7 waren es rund 20 Prozent weniger als bei 8,6. Die Ruderfußkrebse haben also, wenn das Meer saurer wird, weniger zu fressen.

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(Grafik: Oceans 2015 Initiative / www.iddri.org)

Die Liste der betroffenen Meeresbewohner ist lang und reicht bis zu den Kalmaren, die ziemlich am Ende der Nahrungskette stehen. Forscher fingen im Vineyard Sound in Massachusetts männliche und weibliche Kopffüßer, die sich im Labor paarten. Die Eikapseln wurden dann in zwei verschiedene Meerwasserbecken gelegt. In dem einen entsprach der Säuregrad des Wassers dem des Nordatlantiks. Im zweiten Becken war das Wasser dreimal saurer. Die Tintenfischembryonen schlüpften dort später als die anderen – in der Natur würden sie also leichter zur Beute von Fischen werden. Auch nach dem verspäteten Schlüpfen waren Auswirkungen zu beobachten. Die Jungtiere waren um fünf Prozent kleiner als jene im weniger sauren Wasser. Zudem waren die winzigen Kristalle aus Kalziumkarbonat, mit denen Kalmare sich im Wasser orientieren, zu klein und deformiert. Die jungen Kopffüßer wußten nicht, wohin.

Der pH ist jedoch nur eine von vielen Umweltvariablen, betont Joos. Auch die Korrosivität, also die Zersetzungskraft des Wassers für Kalkschalen, nimmt zu. Das liegt an der Senkung der Karbonatkonzentration durch massenhafte CO2-Aufnahme. Denn dabei löst sich der Kalk auf. Lebewesen mit Kalkschalen sind also besonders gefährdet. Zu ihnen zählen: Muscheln, Austern, Pteropoden, auch Seeschmetterlinge oder Flügelschnecken genannt. Zerbröckelt ihr Schutzpanzer, sterben die Tiere zwar nicht sofort, erkranken aber schneller. Dezimierte Flügelschneckenpopulationen bedeuten weniger Nahrung für Lachse und Heringe. Der Prozess der allmählichen Kalkzerstörung läuft schon. Teile des Arktischen Ozeans, sagt Joos, sind bereits korrosiv geworden für die Kalkschalen.

Erde heiß, Meer sauer

Joos hat die Oceans-2015-Studie mitverfasst. Sie analysiert den aktuellen Forschungsstand und stellt Prognosen auf. Diese basieren auf zwei Klimaszenarien. Der optimistischen Variante, die vom vernunftgeleiteten Menschen ausgeht, der es schafft, den globalen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Und der Immer-so-weiter-Variante, die nicht wenige für die wahrscheinlichere halten.

Joos: „Eine rasche Senkung der CO2-Emissionen begrenzt die Gefahr für marine Organismen und Ökosystemdienstleistungen, also die Nahrung aus dem Meer. Ein Fortfahren auf dem heutigen Emmissionspfad bedeutet dagegen hohe Risiken. Für Warmwasserkorallen, Seegras, Krill, für die Fischerei in den Tropen, Aquakulturen in den mittleren Breiten, Muschelzuchten, den Küstenschutz, den Tourismus am Großen Barriereriff in Australien. Die damit verknüpften ökonomischen Risiken gehen in die Milliarden.“

Zur bevorstehenden Klimakonferenz in Paris meint Joos, es müsse sowohl internationale Vereinbarungen als auch nationale, regionale und kommunale Anstrengungen geben. Zu wieviel Klimaschutz die einzelnen Länder bereit sind, geben diese im „Intended Nationally Determined Contribution“ bekannt. Hier sind die jeweiligen nationalen oder regionalen Emissionsziele für ein neues Weltklimaabkommen festgelegt. Die EU will bis 2030 ihren Treibhausgasausstoß gegenüber 1990 um mehr als 40 Prozent senken. Auch die USA und China, bisher keine Vorreiter im Klimaschutz, wollen es jetzt besser machen. Die USA versuchen, ihre Emissionen bis 2025 um 26 bis 28 Prozent, gemessen an 2005, zu reduzieren. China will bis 2030 eine Senkung um 60 bis 65 Prozent erreichen.

Siehe zum Thema Klima auch Citizen

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