Plattform gegen CETA und TTIP
: Bedrohlich, aber wahr


Die TTIP-Leaks werden von Befürwortern schöngeredet. Doch der CETA-Text ist jetzt veröffentlicht – und lässt bei Luxemburgs NGOs die Alarmglocken schrillen.

CETA ist ein trojanisches Pferd für TTIP, TTIP ein trojanisches Pferd für die Liberalisierung - hier bei einer Demo in Brüssel im Februar 2015. (Foto: Global Justice Now / Jess Hurd / No TTIP)

CETA ist ein trojanisches Pferd für TTIP, TTIP ein trojanisches Pferd für die Liberalisierung – hier bei einer Demo in Brüssel im Februar 2015. (Foto: Global Justice Now / Jess Hurd / No TTIP)

In „Der Herr der Ringe“ tritt das Böse nicht nur in Gestalt des dunklen Herrschers Sauron auf. Auch der übergelaufene Magier Saruman ist für die Kräfte des Guten ein mächtiger Gegner. Ähnlich verhält es sich mit dem großen Bösewicht TTIP und seinem kleinen Bruder CETA. „Das Freihandelsabkommen mit Kanada wird manchmal als weniger wichtig angesehen“, so Blanche Weber bei der Pressekonferenz der Plattform Stop TTIP am vergangenen Mittwoch. „Wir wollen auf seine Bedeutung aufmerksam machen, für uns sind beide Abkommen ähnlich relevant.“

Deshalb gilt es auch hier, wie im „Herr der Ringe“, zuerst den bedrohlichsten, weil nächsten Gegner zu bezwingen, also das CETA-Abkommen zu stoppen. Denn für den Freihandel mit Kanada sollen diesen Freitag 13. Mai die EU-Handelsminister grünes Licht geben. Zwar müssen danach noch weitere Gremien zustimmen, nämlich die Staats- und Regierungschefs, das Europaparlament und vielleicht sogar die nationalen Parlamente. Doch die 20 in der Plattform zusammengeschlossenen NGOs möchten die Ratifizierung gleich am Anfang blockieren, um zu verhindern, dass sie zum Selbstläufer wird. Diese Dringlichkeit erklärt, warum die Pressekonferenz recht kurzfristig einberufen wurde – mit dem Ergebnis, dass die Zahl der anwesenden Plattform-VertreterInnen die der JournalistInnen um mehr als das Doppelte übertraf. Ein Grund war aber auch, dass den NGOs ihr Anliegen so wichtig war, dass sich ein volles Dutzend AktivistInnen einfand.

„Wir haben den Eindruck, dass manche Befürworter der Freihandelsabkommen darauf setzen, diese schnell durchzudrücken, weil die Kritiker immer zahlreicher werden.“ Das CETA-Abkommen wäre gewissermaßen die Vorhut, die eine Bresche schlägt, durch die das „große“ Abkommen mit den USA nachrücken kann. Doch über den psychologischen Effekt hinaus stellt CETA in den Augen der NGOs auch eine direkte Bedrohung dar: Es ist sozusagen die Hintertür, durch die Konzerne die im TTIP vorgesehenen Bestimmungen nutzen könnten, auch wenn das Abkommen mit den USA verhindert oder verzögert würde.

Vortrupp und Hintertür

Das wird in der Stellungnahme der NGOs detailliert erklärt: „Es reicht für US-Konzerne aus, eine Niederlassung oder Tochterfirma mit substanziellen Geschäftstätigkeiten in Kanada zu besitzen oder neu anzusiedeln, um jene Rechte über CETA wahrzunehmen (…). Vor allem würden sie eine Investor-Staat-Klage gegen ein EU-Mitgliedsland einreichen können, wenn sie sich durch nationale oder kommunale Vorgaben geschädigt sehen.“ Dies soll für etwa 80 Prozent der amerikanischen Firmen der Fall sein. Die Plattform appelliert deshalb an die Regierung, die bisher versicherte, solche Vorgehensweisen abzulehnen, „die Glaubwürdigkeit der Luxemburger Politik nicht in Frage zu stellen“. Dabei solle sie sich ein Beispiel am wallonischen Parlament nehmen – dieses hatte vor zwei Wochen eine Veto-Resolution gegen eine belgische Zustimmung zum CETA verabschiedet (woxx 1369). Auf Nachfrage versicherten die NGOs, dies habe auf allen Ebenen erhöhte Nervosität erzeugt – waren sich aber nicht sicher, dass dies zu einer belgischen Ablehnung von Ceta im Ministerrat führen werde.

Dafür verlangte die Plattform von Jean Asselborn, der am Freitag die Luxemburger Regierung vertritt, „klar und deutlich dafür einzutreten, dass Luxemburg zwar für verbesserte Handelsbedingungen eintritt, CETA aber in der vorliegenden Form nicht akzeptieren kann“. Das sei logisch, denn „CETA ist der Vorläufer von TTIP! Wer sich kritisch gegenüber TTIP äußert, muss auch CETA in der vorliegenden Form ablehnen!“

Hier spielen die NGOs wohl auf das Kommuniqué an, mit dem die LSAP auf die jüngsten von Greenpeace veröffentlichten TTIP-Leaks reagiert hatte (woxx 1370). „In der bisherigen Fassung gewähren die Dokumente keinen ausreichenden Schutz der europäischen Lebensmittel-, Verbraucher- und Umweltschutzrechte“, hatte Asselborns Partei festgestellt. Und: „Die zentralen Fragen des Investitionsschutzes und der Schiedsgerichte wurden, trotz anderslautender Aussagen der Verhandlungsführer, bisher weitgehend ausgespart.“ Die Quintessenz dieser TTIP-Kritik – „Ohne beträchtliche Verbesserungen kein Abkommen!“ – müsste der LSAP-Minister folgerichtig auch beim CETA zur Anwendung bringen.

Auf den groben Klotz der in beiden Abkommen vorgesehenen Sonderschiedsgerichte setzen die NGOs nach wie vor einen recht groben Keil: Diese Instrumente für Klagen von Investoren gegen Staaten bärgen die Gefahr, „unser Rechtssystem mittels einer Paralleljustiz auszuhöhlen“. In Wirklichkeit dienen die – weit verbreiteten – Schiedsgerichte vor allem dazu, die Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäften zu verbessern (woxx 1365). Die Plattform zieht immerhin in Betracht, dass es in einigen EU-Ländern Defizite bei der regulären Justiz geben könnte. Diese müssten „behoben werden, und nicht das gesamte (…) Rechtssystem als ‚Sonderleistung‘ für Firmen aufgehoben werden“. Mit anderen Worten: Rechtsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten gehören vor reguläre nationale oder europäische Gerichte, wie das innerhalb der EU im Allgemeinen bereits der Fall ist.

Der Zweck unheiliger 
als die Mittel

1371stoosGrundsätzlich richtig ist auch die Kritik der NGOs am Prinzip der „wechselseitigen Anerkennung“ der Produktstandards und daran, dass CETA „die Liberalisierung von Dienstleistungen mittels einer Negativliste vorantreiben“ würde. Allerdings vergessen sie zu erwähnen, dass auf EU-Ebene die „wechselseitige Anerkennung“ die Regel darstellt – mit allen Vorteilen und Risiken. Und eine Negativliste – die alles, was nicht auf ihr steht, für die Liberalisierung freigibt – ist auch in der EU-eigenen Dienstleistungsdirektive enthalten. Der Unterschied: In der EU kann die Bevölkerung mittels demokratischer Prozesse Fehlentwicklungen bei Schutzstandards oder der Liberalisierung korrigieren. Alles in allem sind also weniger die in CETA und TTIP enthaltenen Regeln an sich das Problem; das gänzliche Fehlen transatlantischer politischer Strukturen ist es (woxx 1367).

Die Analysen und Argumente der Kritiker der Freihandelsabkommen mögen Schwächen aufweisen – ihnen steht eine Strategie der Befürworter gegenüber, die vor allem auf Verschleierung und Täuschung setzt. Der Inhalt der Verhandlungen sollte möglichst geheim bleiben, so der Plan, bis das Ergebnis so weit fortgeschritten ist, dass man nicht mehr zurück kann. Bei CETA, für das sich die NGOs lange Zeit wenig interessierten, wäre es so fast gelungen, eine offene Debatte zu vermeiden. Doch gerade hieraus dreht die Plattform dem Abkommen einen Strick: „Darf ein Dokument dieser Tragweite ratifiziert werden, wenn es de facto ein Werk von Beamten und einigen Lobbyisten ist und ihm jedwege demokratische Legitimation fehlt? Nein!“ Gegebenenfalls würde ein Ratifizierungsprozess durch die nationalen Parlamente es erlauben, die Debatte nachzuholen. Deshalb wehren sich die NGOs auch gegen das Vorhaben, das Abkommen schon nach seiner Annahme auf EU-Ebene als provisorisch anwendbar zu deklarieren oder gar die nationalen Parlamente für nicht zuständig zu erklären.

Über das Abkommen mit den USA dagegen hat es eine öffentliche Debatte gegeben – trotz der Obstruktionsversuche seiner Anhänger. Diese reagierten auf die diversen Leaks von TTIP-Dokumenten mit Abstreiten und Leugnen, dann mit der Einrichtung der kontroversen Hochsicherheits-Lesezimmern für Parlamentarier (woxx 1359) und schließlich mit dem Versuch, die Bedeutung der jüngsten Leaks herunterzuspielen. Doch angesichts der nun vorliegenden 1.500 Seiten des „Saruman-Abkommens“ CETA greift die Verharmlosung des „TTIP-Sauron“ nicht mehr.

„TTIP-Befürworter argumentieren häufiger, die Gegner würden Ängste schüren, die Verhandlungsresultate lägen noch nicht vor, und die EU würde die Wahrung von europäischen Standards sicherstellen“, so die NGO-Plattform. Doch bei den CETA-Dokumenten handle es sich nicht um Leaks, sondern um endgültige Verhandlungsergebnisse, und sie bestätigten die Befürchtungen der Kritiker – zum Import von Genfleisch, zur Preisgabe des Vorsorgeprinzips und zu den Schiedsgerichten. Höchste Zeit also für die NGO-Hobbits und ihre Verbündeten, gegen Saruman und Sauron in die Schlacht zu ziehen. Und späterhin zu versuchen, den „Ring der Macht“, aus dem das Böse seine Kraft zieht, endgültig zu zerstören.

Stellungnahme der NGOs: www.meco.lu

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