Prekarität
: Die Einsamkeit der Alleinerziehenden

Wie lässt sich die finanzielle Notlage von fast der Hälfte der in Luxemburg lebenden Einelternfamilien erklären? Wie können Paare, die sich trennen, zusätzlich unterstützt werden? All diese Fragen wurden im Café-Débat „Monoparentalité = Précarité?“ in der Kulturfabrik diskutiert.

© Liser

Am vergangenen Dienstag bot das „Ratelach“ einen etwas ungewöhnlichen Anblick. Das Café im Gebäudekomplex der Kulturfabrik war nämlich kurzzeitig in einen Konferenzraum umgewandelt worden. Gegen 18 Uhr war der Raum noch fast leer, nahe der hinteren Wand lagen Mikrophone auf den Sesseln und Sofas, im Rest des Raums auf jedem Stuhl ein Evaluationsbogen. „Aus welchem Grund haben Sie an diesem Café-Débat teilgenommen?“, „Haben Sie etwas hinzugelernt?“, „Sind Sie der Meinung, dass durch solche Veranstaltungen wissenschaftliche Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglicher werden?“, war unter anderem auf den Zetteln zu lesen. Man konnte nur hoffen, die beiden letzten Fragen am Ende mit „ja“ beantworten zu können.

Nach und nach füllte sich der Raum; erst nahm das Publikum Platz, dann die Sprecher*innen: Anne-Catherine Guio, Forscherin beim „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (Liser), Familienministerin Corinne Cahen, die Direktionsbeauftragte des „Conseil national des femmes au Luxembourg“ (Cnfl), Anik Raskin, Stéphanie Ravat von der „Confédération Générale de la Fonction Publique“ (CGFP) und Elisabeth Keil vom Centre pour Femmes, Familles et Familles Monoparentales.

Die vom Liser organisierte Veranstaltung mit dem Titel „Monoparentalité = Précarité?“ war Teil der im Mai gestarteten und bis Anfang 2019 andauernden Konferenz-Reihe „Sciences et débat“. Diese will breitere Diskussionen zu Themen anregen, die sonst nur in bestimmten Nischen beachtet werden. Die jeweiligen Redner*innen kommen sowohl aus dem akademischen und politischen Milieu als auch aus der Zivilbevölkerung. Anlass zu diesem spezifischen Event gab eine Studie vom Liser zur Situation von in Luxemburg lebenden Einelternfamilien.

Prekäre Lebenslage

Den Einstieg machte Anne-Catherine Guio mit einem Überblick über die zentralen Ergebnisse der Liser-Studie. Acht von zehn Alleinerziehenden sind weiblich, das dürfte nur für die wenigsten eine neue Information darstellen. Überraschender ist dann schon die Tatsache, dass in Luxemburg 45 Prozent der Einelternfamilien unter der Armutsgrenze leben – eine der höchsten Quoten in der EU. Schlimmer ist die Situation nur in Malta und Litauen, der durchschnittliche EU-Wert liegt bei 33 Prozent. Zwar handelt es sich bei lediglich fünf Prozent der luxemburgischen Bevölkerung um Einelternfamilien, doch nicht weniger als ein Siebtel aller in Armut lebenden Menschen ist alleinerziehend. Als arm gilt ein Elternteil hierzulande, wenn bei einem Kind ein Nettogehalt von maximal 2.231 Euro oder bei zwei ein Gehalt von 2.745 Euro zur Verfügung steht.

Die Konsequenzen, die dies für Kinder alleinerziehender Eltern hat, sind erschreckend: 30 Prozent von ihnen sind in ihrem Alltag materiell benachteiligt. Das bedeutet konkret, dass ihnen auf einer Liste von 17 Rahmenbedingungen, über welche ein Kind laut dem sogenannten Deprivationsindex verfügen muss, um sich uneingeschränkt entwickeln zu können, mindestens drei fehlen.

Beispiele dafür sind: Verfügt das Kind über ein geheiztes Zuhause? Über altersgerechte Bücher und Kleider? Isst es mindestens einmal am Tag Obst oder Gemüse? Hat es Internetzugang? Bei jeder der 27 Rahmenbedingungen ist die Zahl an Kindern aus Einelternfamilien, bei denen das jeweilige Kriterium nicht erfüllt wird, höher als bei solchen aus Zweielternfamilien. Neben einem niedrigen Bildungsniveau ist die Tatsache, dass man alleinerziehend ist, in Luxemburg die zweithäufigste Ursache für materielle Benachteiligung.

Wie lässt sich diese Situation erklären? Anders als zunächst angenommen werden könnte, zählt Arbeitslosigkeit nicht zu den Ursachen. So sind in der Gruppe der Alleinerziehenden nicht mehr Menschen ohne Job oder in Teilzeitbeschäftigung als beim Rest der arbeitsfähigen Bevölkerung. Im Vergleich sind Alleinerziehende sogar doppelt so häufig in Vollzeitarbeit. Wie jedoch festgestellt wurde, ist das Risiko für die sogenannte „in-work poverty“, also Armut trotz Arbeit, bei Alleinerziehenden besonders hoch.

Miete und Steuern als Problemursache

Zu den Faktoren, die laut Liser sowohl das Risiko für „in-work poverty“ erhöhen, gehört neben einem niedrigen Bildungsniveau auch der Umstand, dass man Miete zahlt oder außerhalb Europas geboren wurde. Einelternfamilien haben jedoch ein doppelt so hohes Risiko, arm zu sein, als andere Familien, die den gleichen Risikofaktoren bezüglich Bildung und Miete ausgesetzt sind. In puncto Benachteiligung vervierfacht sich das Risiko sogar. Was das Wohnen betrifft, sind Alleinerziehende einer besonders großen Belastung ausgesetzt. Da sie die Mietkosten meist alleine tragen müssen, geben 27 Prozent von ihnen dafür mehr als 40 Prozent ihres Einkommens aus.

Zur verstärkten finanziellen Belastung tragen zudem die zu zahlenden Steuern bei. Alleinerziehende müssen davon nämlich mehr zahlen als kinderlose Paare, die verheiratet oder gepacst sind. Konkret heißt das zum Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter, die 45.000 Euro im Jahr verdient, zahlt 7.143 Euro Steuern. Ein kinderloses Paar mit dem gleichen Jahresgehalt, muss dagegen nur 2.899 Euro, also zweieinhalb Mal weniger Steuern zahlen. Dies wurde von der CGFP berechnet. „Von dem Augenblick an, in dem eine Frau sich scheiden lässt, ist es, als würde man sie dafür zusätzlich bestrafen. Die Botschaft scheint zu sein: Finde einen Mann, um finanziell überleben zu können“, kommentiert Stéphanie Ravat von der CGFP diese Ungerechtigkeit.

Nicht die Steuerklasse 1A gelte es abzuschaffen, sondern vielmehr die Steuervorteile von gepacsten und verheirateten Paaren, lautete eine Position, die Ministerin Cahen an dem Abend äußerte. Damit reagierte sie auf eine Aussage, die Arbeitsminister Nicolas Schmit am gleichen Tag gegenüber RTL gemacht hatte. Er hatte sich für eine Abschaffung besagter Steuerklasse ausgesprochen, sodass Alleinerziehende und Verwitwete künftig in die Steuerklasse 2 fallen würden. „Wir brauchen Steuergerechtigkeit. Es ist nicht die Rolle des Staates, die Ehe und den Pacs zu subventionieren“, begründete Cahen ihren Standpunkt. Während es insbesondere Cahen vor allem um Themen wie Steuerpolitik zu gehen schien, brachten die anwesenden Betroffenen die Diskussion wieder auf das eigentliche Thema Armut zurück. Eine Frau erzählte von ihrer Situation nach ihrer Scheidung im Jahr 2008. Sie sei damals schockiert gewesen über den Ausgang der Güteraufteilung. Nachdem sie fünf Monate lang einen Anwalt habe bezahlen müssen, sei kein Geld mehr dagewesen. RMG habe sie auch keinen mehr bekommen. „Ich musste mich mit zwei Kindern wieder raufkämpfen. Das kann einfach nicht sein. Noch vor zwei Jahren musste ich mit meinen Kindern in Sozial-Läden des Roten Kreuzes einkaufen gehen. Ich finde das beschämend.“

Als Cahen darauf mit Ausführungen über die Vorteile für Paare des kürzlich eingeführten „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) und darüber, welchem Stigma Alleinerziehende oft ausgesetzt sind, reagierte, wirkte es ein wenig so, als führe die Ministerin mit ihrer eigenen Agenda einen Paralleldiskurs. Einen durchaus wichtigen Beitrag zur Diskussion lieferte Cahen aber auch: Kinder aus Einelternfamilien erhalten mit Einführung des Revis mehr finanzielle Unterstützung. Auch der Umstand, dass Kinderkrippen mittlerweile kostenfrei seien, käme Alleinerziehenden entgegen. Seit vergangenem November seien die „Allocations de famille“ auch nicht mehr Teil der „Allocations de vie chère“.

So wichtig der Hinweis auf Sozialleistungen jedoch sein mag: Dass solche Maßnahmen längst nicht ausreichend sind, machten vor allem die anwesenden Betroffenen deutlich, die betonten, wie dringlich eine Verbesserung der Situation Alleinerziehender tatsächlich ist.

Ein alleinerziehender Vater wies darauf hin, dass der Cim (Crédit impôt monoparental) nicht in ausreichendem Maße an den Index angepasst worden sei. Dies gilt ebenso für die „Allocation de vie chère“, die dadurch 16 Prozent seit ihrer Einführung im Jahr 2009 an Wert verloren hat.

Ungefähr nach der Hälfte der Debatte fiel plötzlich das Wort Zwangsheirat. Viele Frauen würden lieber verheiratet bleiben, als sich als alleinerziehende Mutter durchschlagen zu müssen, meinte eine Betroffene. Eine weitere ging sogar soweit, von Zuhälterei zu reden. „Manche Frauen sind gezwungen, sich einem Mann zur Verfügung zu stellen, um das Wohl ihres Kindes zu gewährleisten und nicht in die Prekarität zu rutschen“, so ihre Einschätzung. Auch an konstruktiven Verbesserungsvorschlägen mangelte es in der Diskussion nicht: Es gebe Fälle, so die Frau weiter, in denen sie zwar Zeit für sich brauche, ohne aber ihre Kinder notwendigerweise in eine Kinderkrippe geben zu wollen. „Als Feministin liegt mir die Vorstellung am Herzen, Netzwerke zu schaffen, sodass die Kindererziehung nicht einer Person überlassen werden muss.“

War die Idee, eine solche Debatte in einem Café abzuhalten an und für sich nicht schlecht, so erschwerten Lärm, sowohl von der Bar als auch vom Außenbereich, das Zuhören teils erheblich. An ausreichend Sitzgelegenheiten fehlte es für die rund 50 Interessierten leider ebenfalls. Inhaltlich war die Veranstaltung jedoch ein voller Erfolg: Eine ausgewogene Mischung aus theoretischen Ausführungen und gelebten Erfahrungen vermochten die Problematik dann doch sehr viel anschaulicher werden zu lassen als es beim alleinigen Lesen der Liser-Studie der Fall gewesen wäre. Und so fiel am Ende die Bewertung auf dem Evaluationsbogen durchweg positiv aus.


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