Revenu d’inclusion sociale
 : Wie die Armut bekämpfen?

Am Dienstag wurde das Gesetz zum Revenu d’inclusion sociale in der Chamber angenommen. Das, obwohl das Gesetz von Anfang an unter heftiger Kritik stand.

Entgegen einer verbreiteten Annahme, verhilft eine Arbeit nicht immer aus der Armut heraus. (Quelle : Pixabay)

„Mit diesem Gesetz wird die Hauptursache für Armut nicht bekämpft. Das sind nämlich ein zu niedriger Mindestlohn und prekäre Arbeitsverhältnisse wie befristete Verträge und schlecht- oder unbezahlte Praktika.“ Mit dieser Aussage bezog sich Marc Baum von déi Lénk am Dienstag in der Chamber auf das zur Abstimmung stehende Gesetz zum Revis (Revenu d’inclusion sociale). Ein letztes Mittel zur Armutsbekämpfung könne dieses Gesetz schon allein deshalb nicht sein, so Baum, weil ein Teil der arbeitenden Bevölkerung, nämlich die unter 25-Jährigen, von vorneherein davon ausgeschlossen seien.

Werdet mal aktiv

Mit dem Gesetz soll das garantierte Mindesteinkommen (RMG) reformiert werden. Zurzeit sind 20.000 Menschen (rund 10.000 Haushalte) auf eine solche Hilfeleistung angewiesen. Zu den anvisierten Zielen zählt neben der Armutsbekämpfung auch die sogenannte Aktivierung. Damit sind Maßnahmen gemeint, an denen Revis-Bezieher*innen teilnehmen müssen, wenn sie den vollen Betrag erhalten wollen – also neben der Eingliederungszulage (Allocation d’inclusion) zusätzlich auch noch eine Aktivierungszulage (Allocation d’activation). Gegenwärtig genießen RMG-Bezieher*innen, die mehr als zehn Stunden wöchentlich arbeiten, keine finanziellen Vorteile. Das soll sich nun mit dem Revis ändern. „Es soll sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen“, hatte Familienministerin Corinne Cahen diese Änderung bei der Vorstellung des Projekts im Januar 2017 begründet.

Aktivierung muss aber nicht heißen, einer regulären Arbeit nachzugehen. Je nach Lebenssituation der betroffenen Person ist es auch möglich, etwa einen Sprachkurs zu besuchen oder einen Drogenentzug zu machen. Der Akzent wird auf die soziale Inklusion gelegt. „Dadurch, dass man an einer Aktivierungsmaßnahme teilgenommen hat, hat man nicht nur abends zu Hause was zu erzählen, man hat auch schlicht etwas erlebt“, so der DP-Abgeordnete Gilles Baum während der Chamberdebatte. Keine*r werde auf den Arbeitsmarkt gedrängt, aber jede*r solle die Möglichkeit haben, am sozialen Leben teilzunehmen.

Doch ebendieser Aspekt der Aktivierung ist in den letzten Monaten auf besonders heftige Kritik gestoßen. „Diese Wortwahl zeugt nicht nur von einer herablassenden Haltung diesen Menschen gegenüber, sie entspricht auch nicht der Realität. Denn der Großteil der aktuellen RMG-Bezieher ist keinesfalls inaktiv, sondern arbeitet sehr wohl“, betonen déi Lénk auf ihrer Homepage. Die CSV teilt die Bedenken: „Mit den neuen Zugangsbestimmungen wird das Recht auf ein garantiertes Mindesteinkommen in Frage gestellt. Das grundlegende Recht auf eine finanzielle Unterstützung entfällt“, so Marc Spautz im Mai 2017 auf einer Pressekonferenz. Die Caritas ihrerseits beanstandete, man ginge davon aus, dass Revis-Bezieher*innen nicht motiviert seien zu arbeiten. Dabei ist es so, dass 93 Prozent der Empfänger*innen des gegenwärtigen RMG einer Arbeit nachgehen.

Menschenwürdiges Leben

Die Handelskammer ihrerseits beanstandete, dass die Revis-Zulagen nicht dem Mindestbedarf für ein menschenwürdiges Leben in Luxemburg entsprächen. Der im letzten Jahr vom Statec durchgeführten Untersuchung „Quels besoins pour une vie décente“ zufolge benötigt eine vierköpfige Familie mindestens 3.935 Euro, um hierzulande halbwegs gut leben zu können. Nach der geplanten Reform würde sie jedoch eine allocation d’inclusion von lediglich 2.538,95 Euro erhalten.

Nachdem in zahlreichen Gutachten bereits reichlich Kritik geübt worden war, war auch die Debatte in der Chamber am Dienstag von Bedenken geprägt. Wie im Exposé des motifs festgehalten wurde, soll diese Reform einerseits die Wiedereingliederung in die Berufswelt begünstigen und andererseits den Kampf gegen die Armut unterstützen. Letzteres wird nach Ansicht Marc Baums dadurch verfehlt, dass der Aspekt der „working poor“ ausgeblendet werde. Nicht jede*r der*die arbeite, befände sich automatisch über der Armutsgrenze. Der Politiker kritisierte zudem, dass das bereitgestellte Geld im Nachhinein zurückbezahlt werden müsse. Bei anderen Sozialhilfeleistungen, wie beispielsweise dem Kindergeld, sei das nicht der Fall.

Vielfach kritisiert wurde auch der Umstand, dass unter 25-Jährige nur dann den Revis beanspruchen dürfen, wenn sie schwanger sind oder einen Säugling haben. Der DP-Abgeordnete Gilles Baum rechtfertigte am Dienstag diese Entscheidung damit, dass bereits zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen für junge Menschen, wie beispielsweise der CIE (Contrat d’initation à l’emploi), vorgesehen seien. Dem hielt Marc Baum entgegen, dass es nichts an den prekären Arbeitsverhältnissen ändere, von einer Weiterbildung in die nächste geschickt zu werden.

Der Anspruch, allen Revis-Empfänger*innen einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen, wurde im Mai letzten Jahres bereits von der CSV hinterfragt. Manche Betroffene seien krank und bei fast der Hälfte handele es sich entweder um Kinder oder aber über 60-Jährige. Der Revis sowie die angebotenen Maßnahmen könnten also unmöglich allen den Zugang zur Arbeitswelt öffnen.

Cahen verwies am Dienstag darauf, dass das Gesetz in allen Aspekten dem Wahlprogramm von 2009 der Volkspartei entspreche. Daraus schließe sie, dass es sich bei der momentanen Kritik um einen rein wahlstrategischen Schachzug handele.

Auch den Vorwurf, dass die Höhe der Revis-Zulagen viele Familien nicht davor bewahre, unter der Armutsgrenze zu leben, ließ Cahen nicht gelten. Bei den Berechnungen des Statec seien Sozialhilfeleistungen wie Mietsubvention, gratis Kinderbetreuung und gratis Transport nicht berücksichtigt worden. Wenn man diese hinzuzähle, sei es durchaus möglich, gut zu leben.

Auch Positives

Einige Aspekte am Gesetz wurden aber auch von allen Seiten begrüßt. Künftig können zum Beispiel zwei Revis-Bezieher*innen aus einem Haushalt an einer Eingliederungsmaßnahme teilnehmen. Beim noch aktuellen RMG durfte nur eine Person arbeiten gehen, was in den meisten Fällen der Mann war. Doch nicht nur Frauen profitieren von der Reform: Für Kinder ist künftig ein höherer Betrag vorgesehen, ein noch etwas höherer für Kinder von Alleinerziehenden.

Auf gemischte Reaktionen stießen Änderungen bezüglich des bürokratischen Aufwands. Werden Betroffene im aktuellen System von Adem und Snas (Service national d‘action sociale) hin- und hergeschickt, sind die Zuständigkeiten nun klarer aufgeteilt. Zunächst wird von der Adem ein Profil der Kompetenzen und der persönlichen Situation angelegt. Je nach der Beschaffenheit ihres Falls müssen Empfänger*innen Maßnahmen bei unterschiedlichen Institutionen beantragen. Antragsteller*innen, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt als realistisch einzuschätzen sind, werden an die Adem vermittelt, alle anderen an den Office national d‘inclusion sociale (Onis). Die klarere Kompetenzverteilung wird zwar begrüßt, gleichzeitig gibt es aber auch Bedenken, ob diese Institutionen über ausreichend geschultes Personal verfügen. Die CSV befürchtet, dass der Verwaltungsaufwand sogar noch weiter zunehme.

Vollkommen zufrieden wirkten bei der Debatte letzten Endes die wenigsten. Die Grünen-Abgeordnete Sam Tanson räumte ein, dass ihre Fraktion es vorgezogen hätte, den Akzent mehr auf die Hilfe und weniger auf die Aktivierung zu legen. Wie schon déi Lénk äußerte auch die LSAP-Abgeordnete Taina Bofferding die Befürchtung, dass durch den Sprachgebrauch des Gesetzestextes riskiert werde, Vorurteile zu verstärken. Zudem bedauere sie, dass durch die Namensänderung von RMG in Revis die gegenwärtige Logik geändert werde: Künftig werde der Schwerpunkt nicht mehr auf die Verpflichtung des Staats gelegt, den Schwächsten eine minimale Existenzgrundlage zuzusichern, sondern auf die Eigenverantwortung der Betroffenen.

Sowohl DP als auch CSV schlugen eine Motion vor; der Vorschlag der DP, die Auswirkungen des Gesetzes nach drei Jahren einer Evaluation zu unterziehen, wurde angenommen. Das Gesetz wurde mit 35 Ja- und 25 Nein-Stimmen angenommen.


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