Russland-EU: Kalter Krieg in postfaktischen Zeiten

Freund oder Feind? Während Russland seine Anti-EU-Propagandamaschine auf Hochtouren bringt, tut sich die EU schwer damit, darauf eine europäische Antwort zu geben.

Im Juni 2016: Kommissions
präsident Jean-Claude Juncker möchte eine neue „Brücke bauen“, um die Gräben zwischen EU und Russland zu überwinden. (Foto: kremlin.ru)

Als in der Vorweihnachtszeit die Hauptstraßen mancher schwedischer Kleinstädte dunkel blieben, weil sich die staatliche Behörde für Verkehrswesen weigerte, ihre Laternen zum Aufhängen der traditionellen Festbeleuchtung zu verleihen, kannte das russische Webportal „Riafan.ru“ den wahren Hintergrund: Die schwedische Regierung hatte aus Rücksicht gegenüber den muslimischen Gemeinden ein Verbot der Weihnachtsbeleuchtung ausgesprochen.

Diese und Tausende anderer „fake news“ listet seit Oktober 2015 eine Spezialeinheit der EU in ihrer „disinformation review“ auf. Bericht Nr. 52 erschien am 20. Dezember vergangenen Jahres und liefert wie gewohnt für jeden Eintrag sowohl den Link zur betreffenden Nachricht als auch die Widerlegung der Falschmeldung. Demnach war nicht schwedische Toleranz, sondern ein neues Elektrizitäts-Gesetz schuld daran, dass mancherorts keine Weihnachtsbeleuchtung erstrahlte. Der Verkehrsbehörde war es nicht weiter erlaubt, den Gemeinden die Laternenmasten zum Zweck der Ausschmückung zu verleihen, berichtete das schwedische Fernsehen „Svt“.

In der wöchentlich erscheinenden fake-news-Tabelle finden sich überwiegend Hinweise auf Nachrichten über die Konflikte in der Ukraine und in Syrien. Daneben listet nahezu jede Ausgabe der „disinformation review“ russisch beeinflusste Berichte oder Zitate über vermeintliche westliche Angriffe auf christliche Werte auf, nicht selten stehen diese im Zusammenhang mit schwul-lesbischen Communities. So führte etwa „baltic news“, ein news-Portal für die russisch sprechende Gemeinde in Litauen, die 168 neu im Lande registrierten Aids-Erkrankungen auf den Drogenkonsum von Lesben und Schwulen zurück. „Menschen, die Gay-Paraden organisieren, stellen eine größere Bedrohung dar als solche, die Christen den Kopf abschneiden“, sagte TV-Moderator Pyotr Tolstoy in seiner Show.

In der ebenfalls wöchentlich erscheinenden „disinformation digest“ analysiert die Task Force Trends in den Darstellungen der pro-russischen Medien und machte etwa im Frühjahr vergangenen Jahres, als die britische Kampagne zum Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU auf Hochtouren lief, sowohl beim Nachrichtenportal „Sputnik“ als auch beim vom russischen Staat finanzierten Auslandsfernsehsender „RT“ eine deutliche Überrepräsentierung des „Nein“-Lagers in der Berichterstattung aus.

Mini-Task Force als 
EU-Gegenmaßnahme

Ganze elf Mitglieder zählt die Einheit, die dem Europäischen Außendienst untersteht und dort den Namen „East Stratcom Task Force“ trägt. Sie wurde im September 2015 auf Wunsch der EU-Staats- und Regierungschefs gegründet, um „den anhaltenden Desinformations-Kampagnen Russlands“ etwas entgegenzusetzen. Ohne eigenes Budget und angesichts der dünnen Personaldecke bleibt ihr Aktionsradius allerdings äußerst beschränkt.

(Foto: en.putin.kremlin.ru)

Dass der Wunsch, auf europäischer Ebene auf die russischen Kampagnen zu reagieren vor allem von den Mitgliedstaaten aus Osteuropa kam, ist kein Geheimnis. Bislang zeigten ältere EU-Länder wenige Motivation auf diesem Gebiet. Frankreich, Italien oder Österreich etwa sprachen sich stets für einen vorsichtigen Umgang mit Russland aus. „Die Politiker dieser Länder unterschätzen die Auswirkungen der Propaganda“, sagt der Europa-Abgeordnete Petras Austrevicius.

Ginge es dem Litauer nach, sollten die wöchentlichen Berichte der Spezialeinheit „in den Laptops und Mobiltelefonen von allen Abgeordneten oder EU-Diplomaten eingespeichert sein“. „Viele Europäer denken, dass russische Propaganda sie nicht betrifft“, schreibt der Liberale in einem Meinungsbeitrag. „Sie denken, dass es sich bei den Provokationen lediglich um ein Spiel handelt, und dass Menschen wie ich, die aus der früheren Sowjet-Union stammen, Opfer von alten Phobien sind.“ In Wirklichkeit, so Austrevicius, habe die russische Propaganda „die europäische Debatte bereits wie ein Virus infiziert“.

Bedrohung im Westen unterschätzt?

Wenn Europa und Nord-Amerika nicht sofort reagieren, könnten die Folgen dramatisch sein, warnt unterdessen das „Center for European Policy Analysis“ (CEPA). Der „Informationskrieg der russischen Regierung unterscheidet sich von traditionellen Formen der Propaganda“, stellte CEPA im August in einer Studie fest. Im Gegensatz zur früheren Sowjet-Strategie zielten die zeitgenössischen Methoden nicht darauf ab, offen für die Kreml-Politik zu werben. „Ziel ist es nicht zu überzeugen sondern zu untergraben“, so CEPA. Man sei darauf aus, ethnische, sprachliche, soziale und historische Spannungen auszunutzen. Dabei setze Russland vor allem in osteuropäischen Ländern an. Russlands Anstrengungen seien „sorgfältig“, „gezielt“ und „professionell ausgeführt“, schlussfolgert der CEPA-Bericht. Doch die Ernsthaftigkeit der Bedrohung werde im Westen oft nicht wahrgenommen.

„Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese Propaganda existiert und eine Bedrohung für Europa darstellt“, gibt der Sozialdemokrat Wolfgang Freund zu. Der österreichische EU-Abgeordnete bleibt jedoch skeptisch, wenn es um die Effektivität der russischen Medienaktivitäten geht. „Wir bräuchten mehr Umfragen, die zeigen, wer in Europa tatsächlich diese Nachrichten konsumiert“, so Freund.

„Den russischen Sender RT kann man in jedem Hotelzimmer empfangen“, entgegnete die polnische Abgeordnete Anna Fotyga dem Österreicher in einer Rundfunkdebatte in Straßburg kurz nachdem sich eine Mehrheit des Parlaments Ende November in ihrem Bericht dafür ausgesprochen hatte, eine Kommunikations-Strategie der EU als Antwort auf die Propaganda zu entwickeln.

RT wurde 2005 unter dem Namen „Russia Today“ gegründet, um ein ausländisches Publikum mit Nachrichten aus Russland zu beliefern. Schon bald habe man bemerkt, dass die Nachfrage dafür im Westen sehr beschränkt war, schreibt der Außendienst des Europaparlaments in einer Analyse. Stattdessen habe man festgestellt, „dass es eine Vielzahl potenzieller Zuschauer gab, die negative Nachrichten über den Zustand des Westens konsumieren wollten“.

Als Zielgruppen der russischen Propaganda definiert dieser Bericht vor allem Anhänger von links- oder rechtsextremen Parteien. Letztere „konsumieren bereitwillig Nachrichten, in denen die EU als Instanz dargestellt wird, die aktiv moralischen Verfall fördert und Europas christliche Werte vernachlässigt“. Am linken Rand würde Russlands Nachrichtensystem „anti-amerikanische Gefühle nähren sowie die Darstellung untermauern, die EU sei ein unterwürfiger Partner oder eine Marionette von Washington“.

Opposition von links und 
von rechts

Die Debatte im Parlament zeichnete dieses Bild in gewisser Weise nach. Der spanische Abgeordnete Javier Couso Permuy etwa bezeichnete den Bericht des Parlaments als „irre“ und „gefährlich“. Sie fördere die „antirussische Paranoia“ und sei ein „Angriff auf Informationsfreiheit“.

Ähnlich argumentierte der Franzose Jean-Luc Schaffhauser vom rechtsextremen „Front National“. „Der Bericht ist eine Farce“, echauffierte sich Schaffhauser im Parlament. Der Franzose, der als Mittelsmann des FN für einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro aus Töpfen der Russischen Föderation fungiert haben soll, setzt sich aktiv für eine Annäherung Europas an Russland ein. Die russische Berichterstattung stütze sich auf „Fakten unserer Außenpolitik“, erklärte er seinen Kollegen in Straßburg. Demgegenüber stelle das Parlament „die lügnerische europäische Propaganda als wahr“ dar.

In der dennoch von einer Mehrheit getragenen Resolution fordert das Parlament, die Zahl der Mitglieder der winzigen Stratcom Task Force zu erhöhen, ihr ein eigenes Budget zukommen zu lassen sowie den auf die EU sowie sechs frühere Sowjetrepubliken beschränkten Arbeitsbereich zu erweitern.

„Neben der Enthüllung von Falschinformationen sollte die Spezialeinheit vor allem ein Netzwerk schaffen, in dem alle Mitgliedstaaten zusammenarbeiten“, forderte die polnische Abgeordnete Anna Fotyga. Doch diese weigerten sich, dem Wunsch des Parlaments nachzukommen und entschieden sich dagegen, die Stratcom Task Force auszubauen.

Die Tschechische Republik beschloss indessen, auf nationaler Ebene zu reagieren. Seit dem ersten Januar gibt es im Prager Innenministerium eine „Anti-Desinformations-Einheit“, die Falschinformationen aufspüren und ihnen die Sicht der Regierung gegenüberstellen soll. Mit 20 Vollzeit-Spezialisten ist sie immerhin fast doppelt so hoch besetzt wie die Task Force der EU.


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