Sebastián Lelio: Begehren nach Freiheit


Sebastián Lelio ist bekannt dafür in seinen Filmen Frauen zu zeigen, die man sonst nur selten zu sehen bekommt. „Disobedience“ überzeugt vor allem dank der hervorragenden Schauspieler*innen und einer einfühlsam inszenierten Sexszene, die gänzlich ohne „male gaze“ auskommt.

Ronit (Rachel Weisz) und Esti (Rachel McAdams) dürfen ihre Gefühle füreinander nur im Verborgenen ausleben. (Fotos: outnow.ch)

Ronit Krushka (Rachel Weisz) arbeitet als Fotografin in New York. Als sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhält, begibt sie sich umgehend zu dessen Begräbnis in ihre Heimatstadt, London. Dort stößt sie nicht gerade auf offene Arme: Jahrzehnte zuvor war Ronit aus der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft, in die sie hineingeboren wurde, verbannt worden. Dies nachdem sie mit ihrer besten Freudin Esti beim Sex erwischt wurde. Gleichgeschlechtliches Begehren ist für orthodoxe Juden und Jüdinnen streng verboten. Wer sich indes über Ronits Rückkehr freut, ist ihr Kindheitsfreund Dovid (Alessandro Nivola), der mittlerweile mit Esti (Rachel McAdams) verheiratet ist. Recht schnell wird klar, dass sich auch nach all den Jahren nichts an der Anziehung zwischen Ronit und Esti verändert hat.

Im März erst für „A Fantastic Woman“ (2017) mit einem Oscar ausgezeichnet, präsentiert der chilenische Regisseur Sebastián Lelio nun bereits seinen sechsten Langfilm. Und auch wenn „Disobedience“ sein erster in englischer Sprache ist, so bleibt Lelio seinem Anspruch treu, marginalisierte Frauen zu zeigen. In „Gloria“ (2013) ist es eine Mittfünfzigerin, die nach ihrer Scheidung nach Wegen sucht, um ihre Einsamkeit zu überwinden. In „A Fantastic Woman“ geht es währenddessen um Marina, eine trans Frau, die mit dem Tod ihres Lebensgefährten klarkommen muss.

„Disobedience“ basiert auf dem gleichnamigen 2006 erschienenen Roman der britischen Autorin Naomi Alderman. Auf diesen war Rachel Weisz gestoßen, als sie nach ungewöhnlichen weiblichen Figuren suchte. Nachdem sie sich die Rechte gesichert hatte, trat sie an Lelio heran, in der Hoffnung, dass dieser an einer Verfilmung interessiert sei. Weisz selbst übernahm die Produktion.

Wirkt es anfangs noch so, als sei der Film allein aus Ronits Perspektive erzählt, so wird sich zunehmend Estis Erleben gewidmet. Dieses wird vor allem in einer entscheidenden Sexszene zwischen ihr und Ronit hervorgehoben. Mehr als nur eine sinnliche Erfahrung, fungiert die Szene zugleich als Katalysator, als selbstermächtigender Befreiungsakt.

Die Anziehung, die Esti und Ronit füreinander verspüren, muss ständig unterdrückt werden. Sind die Frauen unter sich, bricht sie sporadisch mit aller Kraft an die Oberfläche. Jede Berührung, jeder Kuss strotzt nur so vor Energie, die vor allem dem stumpfen Dasein Estis eine sprengende Intensität einhaucht. Durch das losgelöste Spiel der beiden Schauspielerinnen erlangt besagte Sexszene einen zusätzlichen Naturalismus. Doch auch die Kamera trägt dazu bei, dass sie derart gelungen ist. Nie hat man, wie etwa bei „La Vie d’Adèle“, das Gefühl, dass der Regisseur den männlichen, heterosexuellen Betrachter anzusprechen versucht. Im Fokus dieser Szene stehen Esti und Ronits Begehren füreinander, nicht die Inszenierung für den Zuschauer.

Doch Estis Gespaltenheit hält an. So sehr sie die körperliche Intimität auch genießt, stets ist sie auch zerrissen von Schuldgefühlen. Ihr Mann hatte sie geheiratet in der Hoffnung, sie auf diese Weise von ihrem homosexuellen Begehren heilen zu können. Doch für Esti gibt es keinen rechten Ausweg aus der Situation, mit keiner Entscheidung ist sie gänzlich im Reinen. In dem Sinne ist die Geschichte, die in „Disobedience“ erzählt wird, keine utopische. Optimistisch ist sie aber allemal.

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