Seenotrettung im Mittelmeer: Priorität: Leben

Bei ihrer Flucht aufs europäische Festland werden zahlreiche Menschen von SchlepperInnen ausgebeutet. Die humanitäre Seenotrettung zur Mitschuldigen zu erklären, ist aber verfehlt. Diese reagiert nur auf die bestehenden Umstände.

(Foto : Wikipedia)

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef und der Internationalen Organisation für Migration IOM wird die Situation von Flüchtlingskindern unter die Lupe genommen. Junge Menschen werden dort als besonders gefährdet hervorgehoben – vor allem dann, wenn ihr Bildungsniveau niedrig ist. Auch alleinreisende Jugendliche sind einem großen Risiko ausgesetzt. Die Zahlen sind alarmierend: Acht von zehn flüchtenden Menschen unter 25 Jahren werden ausgebeutet. Das Fazit: Der Mangel an legalen Zuwanderungsmöglichkeiten führt dazu, dass junge Menschen sich gezwungen sehen, ihr Leben Schleppern anzuvertrauen. Die Organisationen fordern deshalb einen verstärkten Schutz dieser Personengruppe. Es sei nötig, legale und sichere Zuwanderungswege zu schaffen und den Menschenhandel zu bekämpfen.

Es führt kein Weg daran vorbei: Es müssen sicherere Fluchtwege geschaffen werden.

Den Schutz zur obersten Priorität erklären – eine banale Forderung, wie man meinen könnte. Zahlreiche EU-PolitikerInnen scheinen da jedoch anderer Meinung zu sein. Statt ihr Augenmerk auf die Anzahl geretteter Leben zu richten, heben sie lieber ein als solches empfundenes Fehlverhalten von SeenotretterInnen hervor. Der Hauptvorwurf: Das verminderte Risiko setze zusätzliche Anreize für eine Überfahrt nach Europa.

Italien hat vor kurzem einen „Code of Conduct“ vorgeschlagen, der die Vorgehensweise der Rettungsschiffe genaustens regeln soll: Laut diesem dürfen sie sich beispielsweise nur in internationalen Gewässern aufhalten, sich der libyschen Küste zu nähern, ist streng verboten. Es ist ihnen zudem nicht erlaubt, Flüchtlingsbooten Lichtsignale zu geben oder ihre Insassen auf ein anderes Schiff zu bringen. Das bedeutet, dass die Rettungsschiffe die Geretteten selbst in den Zielhäfen absetzen müssen, bevor sie wieder Menschen aufnehmen können – ein Zeitverlust von Tagen.

Anders als es vielfach dargestellt wird, kann von einer ungeregelten Situation keineswegs die Rede sein, da die Rettungsmissionen ja durch staatliche Stellen koordiniert werden. Und auch jetzt schon halten sich die RetterInnen an einen Verhaltenskodex: nämlich das Völkerrecht. Dieses gebietet es, jedem Schiffbrüchigen Beistand zu leisten.

Es ist richtig, dass NGO-Schiffe in der Vergangenheit immer wieder Geflüchtete aufgenommen haben, die sich zwar auf einem Schlepperboot, nicht aber in Seenot befanden. Doch wenn bis zu 150 Menschen in einem Schlauchboot sitzen, ist es nur eine Frage der Zeit bis die knappen Vorräte ausgehen oder es zu sinken droht – bis es also in Seenot gerät.

Der Bericht von Unicef und IOM wirft nun erneut die Frage nach geeigneten Lösungswegen auf. Solange es Menschen gibt, die sich in einer derart ausweglosen Lage wähnen, dass sie das Risiko auf sich nehmen, im Meer zu ertrinken, sind die Einsätze von Hilfsorganisation unerlässlich. Allein 2017 ertranken mehr als 2.300 Flüchtlinge im Mittelmeer.

Es führt kein Weg daran vorbei: Es müssen sicherere Fluchtwege geschaffen werden. Die Befürchtung, dass ein Mehr an Rettungsaktionen zu verstärkter Flucht führt, konnte durch Studien entkräftet werden. Wie sehr auch die EU einen Stopp der Flüchtlingswanderung nach Europa ersehnen mag – die jetzt zu ergreifenden Maßnahmen sollten sich an den Tatbeständen orientieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist kurzfristig eine verstärkte Zusammenarbeit von Frontex, Nato, italienischer Marine und Küstenwache, Handelsschifffahrt und Hilfsorganisationen unerlässlich. Langfristig gilt es die Fluchtursachen an sich zu bekämpfen. Die Flüchtlingskrise ist nicht überwunden, wenn keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken. Sie ist überwunden, wenn kein Grund zur Flucht mehr besteht.


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