Sexualisierte Gewalt: „Es gibt nie genug Schutz“


Deutschland verschärft die Behandlung sexualisierter Gewalt und verankert den Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht. Wie ist die Situation in Luxemburg?

Es gibt keine Entschuldigung für sexualisierte Gewalt ... 
Teilnehmerin eines „Slutwalk“ in London. (Foto: Garry Knight/flickr)

Es gibt keine Entschuldigung für sexualisierte Gewalt … 
Teilnehmerin eines „Slutwalk“ in London. (Foto: Garry Knight/flickr)

Eine Selbstverständlichkeit wird Gesetz: Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen sollen in Deutschland künftig als Vergewaltigung gewertet und dementsprechend bestraft werden. Bisher gilt als Vergewaltiger nur, wer unter Einsatz von Gewalt oder Drohungen Geschlechtsverkehr erzwingt oder die Schutzlosigkeit des Opfers ausnutzt. Die vom Bundestag beschlossene Verschärfung des Sexualstrafrechts soll sichern, dass ein Geschlechtsakt auch dann als Vergewaltigung behandelt wird, wenn sich der Täter über den „erkennbaren“ Willen des Opfers hinwegsetzt.

Damit wird einer jahrzehntealten Forderung der feministischen Bewegung Rechnung getragen, nämlich der Grundsatz „Nein heißt Nein“ in geltendes Recht überführt. Daneben werden aber auch andere Aspekte des deutschen Sexualstrafrechts verändert. So sollen zum Beispiel aus einer Gruppe heraus unternommene sexuelle Angriffe künftig einen Straftatbestand darstellen. Sämtliche Mitglieder solcher Gruppen werden dann strafrechtlich belangt.

Diese Änderung ist eine offensichtliche Folge der sogenannten „Silvester-Vorfälle“ in Köln und hat auch Auswirkungen auf das Aufenthaltsrecht : Wer wegen sexueller Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt wird, kann künftig schneller abgeschoben werden.

Doch nicht nur die Kölner Silvesternacht gab den Anstoß für diese Verschärfungen. Mehrere Vorkommnisse haben die Debatte um sexualisierte Gewalt in Deutschland weiter angefacht. Prominentestes Beispiel: Der „Fall Gina-Lisa“. Das Model Gina-Lisa Lohfink hatte zwei Männer wegen Vergewaltigung angezeigt. Auf Videoaufnahmen, die die Männer getätigt hatten, war deutlich zu hören, wie Lohfink immer wieder „Nein“ und „Hör auf“ sagt. Doch nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft bezogen sich diese Aussagen auf das Filmen, nicht jedoch auf den Geschlechtsakt. Lohfink wurde infolgedessen wegen „falscher Verdächtigung“ zu einer Strafzahlung in Höhe von 24.000 Euro verurteilt, die sie zurzeit gerichtlich anficht. Für viele BeobachterInnen hat die Debatte um das Sexualstrafrecht mit Lohfink ein Gesicht bekommen.

Langjährige Forderung

Nicht zuletzt aber ist es auch dem Engagement der Frauenbewegung zu verdanken, dass der von ihr seit den 1980er Jahren propagierte Grundsatz nun ins Strafrecht aufgenommen wird. Eine Basis für ihre Forderung, das Sexualstrafrecht zu modernisieren, lieferte die sogenannte „Istanbul-Konvention“ des Europarats aus dem Jahr 2011. Der Vertrag, der verbindliche Rechtsnormen gegen sexualisierte und häusliche Gewalt schaffen soll, wurde bislang von 39 Staaten unterzeichnet und von 20 ratifiziert. Seit dem 1. August 2014 ist er in Kraft.

Sie sieht im Artikel 36 – „sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung“ – vor, dass „nicht einverständliches, sexuell bestimmtes (…) Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand“, aber auch „sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen“ oder die „Veranlassung einer Person zur Durchführung solcher Handlungen“ unter Strafe gestellt werden. Auch Luxemburg hat die Istanbul-Konvention unterzeichnet – nicht aber ratifiziert.

Trotzdem gilt das Prinzip „Nein heißt Nein“, zumindest teilweise, auch im Luxemburger Strafrecht. Artikel 375 des „Code pénal“ sieht vor, dass „jeder Akt sexueller Penetration“ an einer Person, die nicht zustimmt oder nicht in der Lage ist, zuzustimmen, und der „unter anderem“ („notamment“) mithilfe von Gewalt, schweren Drohungen oder durch Täuschung durchgeführt wird, als Vergewaltigung anzusehen ist und mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen unter 16 Jahren wird in jedem Fall als Vergewaltigung einer Person „die nicht in der Lage ist, zuzustimmen“ gewertet und mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft.

1381stoosUnter bestimmten Umständen kann die maximal mögliche Haftstrafe sogar verdoppelt werden: So zum Beispiel, wenn der Täter sich seine Stellung als Erziehungsberechtigter oder eine sonstige Autoritätsposition zunutze macht.

Dagegen wird sexuelle Gewalt, bei der es nicht zur Penetration kommt, als „attentat à la pudeur“ (in etwa: „Sittlichkeitsdelikt“) gewertet. Solche Handlungen – vorausgesetzt, sie wurden nicht mit Gewaltanwendung oder Drohungen durchgeführt – werden mit Freiheitsstrafen zwischen einem Monat und zwei Jahren bestraft. Wird jedoch Gewalt angewendet oder sind Drohungen im Spiel – oder handelt es sich bei dem Opfer um ein Kind unter 16 Jahren – kann das Strafmaß fünf Jahre betragen.

Vorerst keine Änderungen in Luxemburg?

Für Anik Raskin vom Conseil national des femmes du Luxembourg (nationaler Frauenrat, CNFL), geht das Sexualstrafrecht in Luxemburg aber eindeutig nicht weit genug. „Als Vergewaltigung werden hier nur Handlungen angesehen, bei denen eine Penetration stattfindet“, erklärt sie. Alles andere gilt als „attentat à la pudeur“. „Auch die Idee des ‘viol par surprise’ (Vergewaltigung durch Überrumpelung, Anm. d. Red.) findet sich nicht im hiesigen Strafrecht wieder.“ In diesem Punkt unterscheide sich das luxemburgische Sexualstrafrecht von den nun in Deutschland geänderten Gesetzen. „Auch der Tatbestand sexuelle Belästigung findet sich bisher nur im Arbeitsrecht, nicht aber im Strafrecht wieder“, kritisiert die Frauenrechtlerin. „Es gibt noch einiges zu tun.“

Man wünsche sich etwas mehr Entschlossenheit im Bezug auf sexualisierte Gewalt, heißt es weiter. „Luxemburg hat die Istanbul-Konvention des Europarats unterschrieben“, so Raskin. Es sei deshalb genau zu überprüfen, wie weit die luxemburgische Gesetzeslage damit übereinstimmt. „Es wäre wünschenswert, wenn die Regierung sich damit intensiver beschäftigen würde.“ Denn: „Es gibt nie genug Schutz für potenzielle Opfer.“

Auf die Frage, ob irgendwelche Gesetzesänderungen in diese Richtung geplant seien, gibt man sich beim Justizministerium derweil bedeckt. „Im Gegensatz zu Deutschland, wo das Sexualstrafrecht mit der Einführung des Prinzips ‘Nein heißt Nein’ verschärft wird, sieht unser Strafrecht diese Bestimmung schon in Artikel 375 des ‘Code pénal’ vor“, heißt es von der Pressestelle.

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(Foto: Wikimedia)

In besagtem Artikel sei von „commis sur une personne qui n’y consent pas“ („an einer Person begangen, die nicht zustimmt“) die Rede, was mit „Nein heißt Nein“ gleichzusetzen sei. Die zusätzlichen Tatbestände, so zum Beispiel der Einsatz von Gewalt oder die Formulierung von Drohungen, seien mit dem Zusatz „notamment“ („unter anderem“) versehen, was den Gerichten einen gewissen Ermessensspielraum einräume, so dass auch andere eingesetzte Mittel bestraft werden könnten. „Prinzipiell gilt in Luxemburg, dass Sex ohne Einwilligung eine Vergewaltigung ist, die in allen Fällen auch angezeigt werden sollte.“

Die normative Wirkung von Gesetzen

Doch genau hier liegt das Problem. Europaweit soll eine von drei Frauen bereits sexualisierte oder körperliche Gewalt erlebt haben, eine von sieben sogar schwere sexualisierte Gewalt. Doch nur die wenigsten Vergewaltigungen werden auch angezeigt, in Deutschland zum Beispiel nur zwischen fünf und fünfzehn Prozent. Und von den gemeldeten Vergewaltigungen werden nur 13 Prozent dann auch bestraft. Von der Verschärfung des Sexualstrafrechts erhoffen sich FrauenrechtlerInnen auch eine normative Wirkung. Sie soll signalisieren: Vergewaltigung wird ernstgenommen.

Doch nicht nur Gesetze können eine normative Wirkung entfalten. Für Anik Raskin vom CNFL spielt auch die „sexuelle und affektive Erziehung“ („éducation sexuelle et affective“) eine wichtige Rolle. „Dort müssen wir ansetzen, bei den Kindern, in den Schulen“, erklärt sie. Einerseits gehe es dabei natürlich darum, die traditionellen Rollenbilder und -verteilungen in Frage zu stellen. Andererseits aber auch, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass „man sich gegen sexualisierte Gewalt wehren kann“.

Zumindest in diesem Punkt scheint die Regierung den FrauenrechtlerInnen Recht zu geben: Gemeinsam mit Organisationen der Zivilgesellschaft ist man dabei, ein nationales Referenzzentrum für die sexuelle und affektive Erziehung zu planen und aufzubauen. Auch im Rahmen des nationalen Aktionsplans zur Prostitution soll verstärkt auf Prävention und Erziehung bei Kindern und Jugendlichen gesetzt werden.


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