Straßenfotografie in Luxemburg
: „Das Smartphone 
ist kein Tabu“


Paul Bintner gehört zu den Gründer*innen des Kollektivs „Street Photography Luxembourg“. Die woxx hat sich mit ihm über das Fotografieren in Luxemburg-Stadt, Spontaneität und das Überschreiten von Grenzen unterhalten.

Zwischen Vorhersehbarkeit und Sich-Treiben-Lassen: Straßenfotografie auf der Suche nach der Perspektive. (Foto: Paul Bintner)

woxx: Weshalb wurde „Street Photography Luxembourg“ gegründet?


Paul Bintner: Das ging daraus hervor, dass ich vor knapp fünf Jahren angefangen habe, Fotos in der Stadt, also „street photography“ zu machen. Ganz auf mich allein gestellt, war mir das auf die Dauer etwas zu langweilig. Deshalb habe ich Mitstreiter*innen gesucht und wir haben uns dann zu einem Kollektiv zusammengeschlossen.

Was ist das Ziel des Kollektivs?


Wir wollen für die Straßenfotografie werben. Als wir angefangen haben, gab es keine Ausstellungen zu diesem fotografischen Genre. Wir wollten erreichen, dass dafür auch in Luxemburg eine Öffentlichkeit geschaffen wird.

Worin unterscheidet sich Straßenfotografie von anderen fotografischen Genres?


Oftmals wird der „entscheidende Moment“ als Unterscheidungskriterium genannt, man muss genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Auslöser drücken. Aber im Grunde handelt es sich vor allem um die Dokumentation öffentlichen Lebens. Das Ziel ist es, einen bestimmten Moment festzuhalten, der natürlich auch etwas aussagen soll. Wenn man das Foto zu früh oder zu spät macht, ist der Moment verpasst und das Foto nichts geworden. Manchmal hat man auch einfach Glück.

Viele künstlerische Leistungen wirken ja spontan, die Werke sind aber durch und durch geplant. Wie spontan ist Straßenfotografie?


Für mich ist sie pure Spontaneität. Wenn ich unterwegs bin, kann ich ja nichts planen. Die Menschen verhalten sich nicht nach Schema und sind auch nicht instruiert, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Ich muss mich auf sie einlassen. Die wissen ja nicht, dass ich unterwegs bin, um sie zu fotografieren.

Was legt der Fotograf oder die Fotografin in die Bilder hinein?


Das hängt immer vom Fotografen ab. Manche konzentrieren sich eher auf eine spezifische Atmosphäre, melancholisch, fröhlich oder farbenfroh. Andere suchen witzige Motive, die zum Beispiel mit einer Werbung im Bildhintergrund korrespondieren. Auch ob man einen künstlerischen Anspruch hat, entscheidet jeder Fotograf für sich.

Sprechen Sie die von Ihnen fotografierten Menschen an, bevor Sie auf den Auslöser drücken?


Das hängt immer ganz davon ab, ob die Leute erkennbar sind. Sollten sie erkennbar sein, versuchen wir sie natürlich darauf anzusprechen, aber erst im Nachhinein, denn sonst zerstören wir den Moment. Das Motiv soll ja nicht gestellt sein. Alles ist aufgebaut auf Spontaneität.

Inwiefern überschreiten Sie dabei auch Grenzen?


Oft bewegt man sich hart am Rande der legalen Grenzen, hinsichtlich des Rechts am eigenen Bild. Heutzutage versuchen wir die Leute so wenig wie möglich erkennbar zu machen. Wenn man etwa in der Ausstellung „Leit an der Stad“, die momentan im „City Museum“ zu sehen ist, die Fotos von früher und von heute vergleicht, sind heute die Personen, die abgebildet sind, meistens nicht zu erkennen. Auf den Fotos von früher sind die Gesichter der Abgebildeten gut erkennbar.

„Ich habe Luxemburg durch die Straßenfotografie wieder lieben gelernt.“

Wie reagieren die Menschen selbst, wenn Sie merken, dass sie fotografiert worden sind?


Man muss offen und freundlich sein und auf die Leute zugehen, damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich hatte eigentlich noch nie negative Erfahrungen. Wenn man ihnen erklärt, warum man das Foto gemacht hat und dass es auf die Spontaneität ankommt, dann verstehen sie das auch. Die Generation spielt auch eine Rolle. Die „digital natives“, die 18-35-Jährigen, haben gar kein Problem damit, fotografiert zu werden. Die sind es gewohnt, dass Bilder von ihnen auf Facebook oder Instagram landen. Dann gibt es die Altersgruppe zwischen 35 und 45, die akzeptieren das, sind aber etwas skeptisch und kommen dann auch auf einen zu und fragen, warum man das Foto gemacht hat. Wenn man es ihnen erklärt, ist es in der Regel aber kein Problem. Und die über 45-Jährigen möchten das überhaupt nicht. Die sind sehr zurückhaltend.

Wie hat sich Straßenfotografie durch das digitale Fotografieren verändert?


Da ich früher auch noch analog fotografiert habe, würde ich sagen … (zögert): sehr verändert hat es sich nicht unbedingt. Die Bilder sind aber schneller verfügbar. Wenn ich auf Film schieße, dauert es etwas länger, bis ich das Foto auf dem Computer oder in der Hand habe, als wenn ich es digital mache. Ansonsten hat sich für mich nicht viel geändert.

Und wie ist das beim digitalen Publizieren? Leidet die Sorgfalt der Auswahl darunter, wenn man Motive einfach nur ins Netz zu stellen braucht?


Ich lege immer noch Wert auf hochwertige Fotos, auch was den Aufbau der Motive und die Technik anbelangt. Ich mache jetzt nicht unbedingt mehr Fotos als mit der analogen Technik. Im Allgemeinen jedoch habe ich den Eindruck, dass die Fotos heute eher Fastfood oder besser: Fast-Fotos werden. Das ist schade. Deshalb sind wir als Kollektiv natürlich stolz auf unsere Kooperation mit dem Städtischen Museum (siehe Kasten, Anm. d. Red.), das unsere Arbeit schätzt, sonst hätten die uns ja auch nicht zum Mitmachen eingeladen.

Sie haben in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal ein Streetphoto-Festival in den Rotonden organisiert. Erfreut sich die Straßenfotografie wieder größerer Beliebtheit?


Das würde ich schon sagen. Das ist auch die positive Seite an Facebook, Instagram und all diesen sozialen Medien, dass sie Straßenfotografie für das breite Publikum leichter zugänglich gemacht haben. Dadurch steigt wiederum das Interesse des Publikums, was sich bei unseren Veranstaltungen auch bemerkbar macht.

Was spricht die Leute an den Bildern an?


Von Leuten, die unsere Fotos sehen, höre ich oft: „Das habe ich so noch nie gesehen. Hier gehe ich jeden Tag vorbei und habe das aus diesem Blickwinkel noch nie betrachtet.“ Ich glaube, das macht unsere Fotos aus. Bestimmte Motive werden künstlerisch gezeigt, aus einer nicht alltäglichen Perspektive. Ich glaube, das lieben die Leute: Dass sie die Orte kennen, aber noch nie aus unserem Blickwinkel betrachtet haben.

Spielen politische und soziale Gesichtspunkte ebenfalls eine Rolle?


Ich selbst nehme nicht unbedingt eine politische Perspektive ein. Bei mir sind die Bilder eher düster und melancholisch, oder es liegt ein witziges Element in dem Motiv.

Der Fotograf Patrick Galbats sagt in einem Interview, das man auch auf Ihrer Seite „streetphoto.lu“ nachlesen kann, Luxemburg sei noch immer ein Paradies für die Straßenfotografie. Würden Sie dem zustimmen?


Nur zum Teil. Ich würde die Stadt nicht unbedingt als Paradies bezeichnen, denn sie ist sehr klein und man hat sehr schnell jeden Ort und jeden Winkel der Stadt fotografiert. Auf lange Sicht kann das langweilig werden, auch für den Betrachter. Motivsuche ist harte Arbeit, weil man manchmal das Gefühl hat, dass man etwas schon hundert Mal fotografiert hat. Dann wieder etwas Neues zu sehen, zu finden und zu fotografieren, ist wirklich schwer. Aber Luxemburg ist in dem Sinne ein Paradies, weil es so vielfältig ist, weil sehr spezielle Persönlichkeiten anzutreffen sind. Es gibt natürlich auch Orte in der Stadt, die sind menschenleer. Man kann nicht überall in die Stadt gehen und sagen, jetzt mache ich Fotos in der Straße, den viele Straßen sind den größten Teil des Tages über einfach nur leer. Dann bleiben einfach nur drei, vier Brennpunkte übrig

Sie haben Luxemburg durch die Fotografie also noch einmal ganz neu kennengelernt?


Natürlich. Ich würde auch sagen, ich habe die Stadt dadurch wieder lieben gelernt, weil ich sie wieder aus einem anderen Blickwinkel gesehen habe.

Ist es für Sie wichtig, Ihre Arbeiten auch auszustellen?


Natürlich ist das wichtig. Man will zeigen, was man geleistet hat und dass man gute Fotos macht. Außerdem wächst man am Zeigen der eigenen Arbeiten, denn man bekommt dann ja auch Kritik, sowohl aus dem breiten Publikum als auch von Insidern der Szene. Meines Erachtens kann man sich nur so verbessern. Stolz auf das Geleistete spielt natürlich ebenfalls eine Rolle.

Haben Sie immer eine Kamera dabei?


Ich würde sagen, in neunzig Prozent der Fälle habe ich eine Kamera dabei, aber nicht immer um den Hals hängen.

Wie oft pro Woche ärgern Sie sich, dass die Kamera nicht griffbereit war?


Man kann heute auch mit dem Smartphone ein Foto machen, das ist meiner Meinung nach kein Tabu. Und das habe ich immer dabei.


Paul Bintner ist 38 und arbeitet bei einer luxemburgischen Bank. Er fotografiert bereits seit 2006, hat aber erst vor einigen Jahren seine Leidenschaft für die Straßenfotografie entdeckt. Zusammen mit Candi Carrera hat er im Dezember 2011 „Street Photography Luxembourg“ gegründet. Seither hat das Kollektiv mehrere Ausstellungen organisiert, darunter in den vergangenen beiden Jahren das „Street Photography Festival“ in den Rotondes, das am 21. April 2018 zum dritten Mal stattfindet und mit einem Workshop für Einsteiger*innen verbunden wird. Die Ausstellung „Leit an der Stad, Luxembourg street photography, 1950-2017“ im Städtischen Museum, zu der das Kollektiv beigetragen hat, läuft noch bis zum 31. März 2019. Zwei Mal im Monat werden von „Street Photography Luxembourg“ Führungen durch die Ausstellung angeboten. Weitere Informationen finden sich unter streetphoto.lu.


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