Syrien
: Das Kontingent

Einige Dutzend Syrer haben in Luxemburg Schutz vor dem Krieg in ihrer Heimat gefunden – über ein Sonderprogramm der Vereinten Nationen. Andere kamen auf eigene Faust. Alle verbindet die Erfahrung einer abenteuerlichen Flucht auf Leben und Tod. Und ein schwieriger Neubeginn.

Omar, Saja, Mohamed, Rahf, Ibrahim und Mahmoud Jnede leben seit kurzem mit ihren Eltern im Süden des Landes. (Foto: Anje Kirsch
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Omar, Saja, Mohamed, Rahf, Ibrahim und Mahmoud Jnede leben seit kurzem mit ihren Eltern im Süden des Landes. (Foto: Anje Kirsch
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Ein prächtiger Hahn läuft eilig durch den Garten. Mahmoud greift zu. Er bekommt ihn zu fassen und trägt das ausgewachsene Federvieh zurück in den Hühnerstall. Der Elfjährige schaut zu seinem ein Jahr älteren Bruder Mohamed und seiner kleinen Schwester Rahf hinüber. Das fünfjährige Mädchen versteht es, das Gackern der Hühner nachzuahmen. Jeden Tag spielt sie im Garten, den ihr Vater akkurat angelegt hat. „Vorher war hier alles wild“, sagt Ziad Jnede, „das Gras stand hoch.“

Zusammen mit seiner Frau Maha und den sechs Kindern lebt der 43-Jährige in einem Reihenhaus in einer Gemeinde im Süden Luxemburgs. „Wir sind froh, hier wohnen zu können, nachdem wir alles verloren haben“, sagt Ziad. Mit der Unterstützung des „Office luxembourgeois de l´accueil et de l´intégration“ (OLAI) fand die syrische Familie eine Bleibe. Es ist ihr neues Zuhause nach einer langen Odyssee, die vor drei Jahren mitten im syrischen Bürgerkrieg begann.

Die Jnedes lebten in Homs, der Jahrtausende alten Stadt im Westen von Syrien, der drittgrößten des Landes, etwa 30 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt und 140 Kilometer nördlich der Hauptstadt Damaskus. Ziad hatte ein Geschäft für Kosmetikartikel mit mehreren Angestellten. Seine Frau kümmerte sich um die Kinder. Der älteste Sohn Omar, mittlerweile 16, half ihm im Laden.

„Es war das reine Chaos. Alle rannten um ihr Leben. Überall lagen Trümmer.“

Die Stadt, in der vor dem Krieg rund eine Million Menschen lebten, galt von Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 an als Hochburg des Widerstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad und wurde von dessen Truppen massiv beschossen. Homs ist mittlerweile weitgehend zerstört. „Wir mussten weg. Die Bombeneinschläge kamen immer näher, sie waren nur noch wenige hundert Meter entfernt“, erzählt er. „Als wir unser Haus im Jahr 2012 verließen, nahm Assads Armee es unter Beschuss.“

Ziads Familie lebte in Bab al-Dreib, einem Stadtviertel von Homs, in dem außer Sunniten wie den Jnedes auch Angehörige anderer islamischer Glaubensrichtungen und Religionen lebten. Im Erdgeschoss ihres Hauses wohnte Ziad mit seiner Frau Maha, den Kindern Omar, Mohamed, Mahmoud und Rahf sowie der ältesten Tochter Saja und dem zweitältesten Sohn Ibrahim. Ziads Geschwister bewohnten jeweils ein anderes Stockwerk. Ein Bruder sei jetzt in der Türkei, einer in Jordanien, einer in Frankreich, ein weiterer sei verschwunden. „Unser Land war sehr schön“, schwärmt Ziad, „es fehlt mir manchmal.“ Das Lächeln weicht aus seinem Gesicht. Er beginnt von der Flucht zu erzählen:

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Von Homs in Syrien über Ägypten, Libyen und Jordanien nach Luxemburg … Drei Jahre hat die Odyssee der Familie Jnede gedauert.Für die Jnedes ist Luxemburg ihre neue Heimat. (Foto: Anje Kirsch
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„Wir fuhren zuerst mit einem VW-Kleinbus in ein Dorf in der Nähe von Homs und wollten wieder zurück, sobald sich die Lage beruhigt haben würde. Als wir aufbrechen wollten, sprang der Wagen nicht an. Mein Bruder und ich schafften es in ein paar Minuten, das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen. Die Batterie war leer. Auch danach ging es nur schlecht voran. Viele Menschen flohen zu Fuß durch die Straßen von Bab al-Dreib. Als die Bombardements immer heftiger wurden und die Bomben in unmittelbarer Nähe einzuschlagen begannen, packte jeder sein Hab und Gut, um die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Es war das reine Chaos. Alle rannten um ihr Leben. Überall lagen Trümmer.

In dem Dorf blieben wir zwei Monate. Ein Freund hatte uns, einem meiner Brüder, meiner Schwester und mir, das Haus zur Verfügung gestellt. Wir wollten zuerst länger bleiben, zogen dann aber weiter in ein anderes Dorf. An eine Rückkehr nach Homs war nicht zu denken. Das Militär hatte in der Gegend die Oberhand gewonnen. Unterwegs wurden wir immer wieder von Soldaten kontrolliert. Sie ließen uns jedes Mal stundenlang warten. Wer aus Homs kam, war für sie verdächtig. Inzwischen hatte ich erfahren, dass mein Geschäft zerstört worden war.

Die Flucht führte uns weiter nach Ägypten. Wir hatten einen Flug von Damaskus nach Kairo gebucht. Doch wir stellten fest, dass auch dort die Sicherheitslage schwierig war. So flohen wir weiter nach Libyen, in die Region an der Grenze zum Tschad. Ich dachte, wir seien dort sicher, weil Gaddafi nicht mehr an der Macht war. Zudem glaubte ich, Libyen sei wie Dubai, und wir könnten dort bleiben, um nach dem Krieg in unsere Heimat zurückzukehren. Doch wir wurden bitter enttäuscht. Am Rande der Landstraßen sahen wir ausgebrannte Autowracks. Immerhin war es an dem Ort im Süden Libyens, wo wir uns befanden, besser als in Syrien.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben sich knapp vier Millionen Syrer in einen der Nachbarstaaten gerettet.

Nach zweieinhalb Monaten verließen wir Libyen wieder. Wir fuhren mit dem Auto nach Ägypten. Es war sehr ermüdend. Wir waren alle erschöpft. Meine Frau sagt immer, ich hätte einen Dickkopf. Es ist wahr: Wenn ich mir etwas fest vornehme, dann ziehe ich das auch durch. Selbst wenn ich mit dem Kopf durch eine Wand müsste. Den Kindern gegenüber taten wir so, als würden wir eine lange, touristische Reise unternehmen. Bald konnten wir ihnen dies nicht mehr glaubhaft vermitteln. Aus der angeblichen Urlaubsreise war auch für sie längst eine Fahrt um Leben und Tod geworden.

Von Kairo nahmen wir ein Flugzeug nach Jordanien. Mittlerweile hatten wir unser ganzes Geld verbraucht, das wir ursprünglich für den Bau eines neuen Hauses gespart hatten. Die Flucht hatte uns umgerechnet etwa 10.000 US-Dollar gekostet. In Jordanien blieben wir knapp zwei Jahre. Dorthin war auch mein Bruder geflohen, der heute in Frankreich lebt. In Jordanien befanden sich viele syrische Flüchtlinge.

Für die Jnedes ist Luxemburg ihre neue Heimat. (Foto:  Anje Kirsch)

Für die Jnedes ist Luxemburg ihre neue Heimat. (Foto: Anje Kirsch)

Mir kam zugute, dass ich früher, vor meiner Tätigkeit als Geschäftsmann, als Handwerker gearbeitet hatte. Ich konnte also viele verschiedene Arbeiten erledigen und so in Jordanien meine Familie ernähren, vom Anstreichen bis zum Fliesenlegen. Ich arbeitete Tag und Nacht sehr hart – und das für einen Hungerlohn. Als Flüchtling bekam ich viel weniger als die Einheimischen, manchmal sogar fast nichts. Als ich krank wurde, sprang Omar für mich ein. An meiner Stelle sorgte er eine Zeitlang für unseren Lebensunterhalt: als Straßenverkäufer oder Kellner in einem Restaurant. Der Junge ernährte die Familie.

Nach mehr als einem Jahr erhielten wir einen Anruf vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Sie luden uns zu einem Gespräch ein. Wir sollten unsere Papiere mitbringen. Stundenlang befragten sie uns. Sie wollten vieles von uns wissen. Alles über unsere Familie, unser Zuhause, unsere Flucht. Es dauerte mehrere Stunden. Zwei Tage später riefen sie uns ein zweites Mal an. Ich sagte, ich könnte nicht hinkommen, die Fahrt sei für mich zu teuer. Doch sie bestanden darauf, dass ich noch einmal vorstellig wurde. Es sei schließlich zu unserem Vorteil. Sie stellten wieder und wieder dieselben Fragen, und es waren wieder dieselben Leute – nur war dieses Mal noch eine Amerikanerin dabei.

Wir mussten später ein weiteres Mal hin. In der Zwischenzeit hatten wir erfahren, dass die Leute uns helfen würden. Doch die Prozedur schien ewig zu dauern, denn unser Dossier war sehr umfassend, weil ich auch noch andere Familienmitglieder angegeben hatte – unter anderem meinen Bruder und meinen Schwager. Schließlich erhielten wir die Nachricht, dass wir den Flüchtlingsstatus erhalten hatten und nach Europa ausreisen durften.

„Um sieben Uhr abends landeten wir schließlich in Luxemburg. Wir waren müde. Aber als wir sahen, wie wir empfangen wurden, war die Müdigkeit verflogen.“

Wir dachten zuerst, dass wir nach Schweden gebracht würden. Dann erfuhren wir, dass es Luxemburg sein sollte. Ich wusste nicht, wo dieses Land lag, und nicht mal, wie man seinen Namen schreibt. Sie sagten uns, wir sollten das Telefon eingeschaltet lassen, wir würden einen Anruf erhalten. Eines Tages klingelte das Telefon.“

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben sich knapp vier Millionen Syrer in einen der Nachbarstaaten gerettet. Die größte Zahl der Flüchtlinge lebt im Land selbst. Schätzungen des UNHCR zufolge haben 6,5 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen, um in anderen Landesteilen Unterschlupf zu finden. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind Kinder. Die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten stellten nach eigenen Angaben bislang 3,35 Milliarden Euro für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge in Syrien selbst und in den Nachbarstaaten bereit.

Der Libanon nahm etwa 1,2 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland auf – bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen. Das von jahrzehntelangen Konflikten zerrüttete Land hat selbst mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent. Mehrmals kam es bereits zu gewaltsamen Übergriffen auf Flüchtlinge, von denen viele in Lagern leben. Inzwischen hat die libanesische Regierung angekündigt, keine weiteren Flüchtlinge mehr aufzunehmen.

„Wir mussten uns an viele Dinge erst einmal gewöhnen: die Gemeinschaftstoiletten, die Menschen aus anderen Ländern, vor allem aber das Essen.“

Derweil sind in die Türkei seit Kriegsbeginn etwa 1,8 Millionen Syrer geflohen. Mitte Juni hinderten türkische Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern und Warnschüssen Tausende von Syrern, die den Kämpfen in ihrer Heimat entkommen wollten, die Grenze zu überqueren. Im ebenfalls vom Krieg zerstörten Irak befinden sich rund 250.000 Menschen aus Syrien, in Ägypten mehr als 130.000.

In Jordanien befanden sich Anfang April etwa 630.000 registrierte Flüchtlinge aus Syrien. Einer Studie des UNHCR zufolge leben zwei Drittel unter der Armutsgrenze, viele ohne Stromversorgung und fließendes Wasser. Außer auf dem üblichen Weg des Asylverfahrens nahmen verschiedene europäische Staaten über humanitäre Sonderprogramme Flüchtlinge auf, die sich beim UNHCR hatten registrieren lassen und nach einem Anerkennungsverfahren als besonders schutzbedürftig galten.

Die meisten Flüchtlinge auf diesem Weg hat Deutschland aufgenommen – bis April ungefähr 31.000. Sie mussten kein Asylverfahren durchlaufen und erhielten sofort eine Aufenthaltserlaubnis. Außerdem dürfen sie sofort arbeiten, nehmen an Integrationskursen teil und beziehen Sozialleistungen. Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 fanden insgesamt mehr als 100.000 Menschen in Deutschland Zuflucht. Zwei Drittel von ihnen stellten einen Asylantrag.

Auch Luxemburg hat sich bereit erklärt, über das UNHCR-Programm Flüchtlinge aufzunehmen: Die ersten 28 Personen – darunter Familie Jned – wurden im April 2014 von Integrationsministerin Corinne Cahen auf Findel empfangen. Eine luxemburgische Delegation war zuvor nach Jordanien geflogen, um die ausgewählten Flüchtlinge zu sehen.

„Am 15. April ging unser Flug“, erinnert sich Ziad Jnede. „Um zwei Uhr brachen wir auf. Das Flugzeug startete um sieben Uhr morgens von Jordanien nach Genf. Um 10 Uhr kamen wir dort an. In Genf mussten wir fünf Stunden lang am Flughafen warten. Um sieben Uhr abends landeten wir schließlich in Luxemburg. Wir waren müde. Aber als wir sahen, wie wir empfangen wurden, war die Müdigkeit verflogen.“

Die vier Familien wurden gleich ins Foyer Heliar nach Weilerbach gebracht. „Dort blieben wir drei Monate lang. Es war alles fremd“, sagt Ziad. „Wir mussten uns an viele Dinge erst einmal gewöhnen: die Gemeinschaftstoiletten, die Menschen aus anderen Ländern, vor allem aber das Essen. Zuerst konnte ich kaum etwas davon zu mir nehmen. Allmählich gewöhnte ich mich daran.“

Dagegen hätten die Kinder keinerlei Schwierigkeiten, sagt Maha. „Sie konnten alles essen“, fügt die 32-jährige Frau hinzu. Die Kinder besuchten die Schule des Foyers in Weilerbach. „Jemand sagte zu mir“, erzählt Maha weiter, „dass mir in dem Foyer vielleicht vieles nicht gefallen würde. Aber in dem Moment des Abschieds würde ich traurig sein. Genau dies traf ein, als wir schließlich unser Haus bekamen. Wir hatten ein gutes Verhältnis zu den anderen Bewohnern aufgebaut. Nicht nur mit den Syrern, sondern auch mit den anderen Asylbewerbern kamen wir gut aus.“

„Man sagte uns, dass wir vorsichtig sein sollten gegenüber den Roma“, erinnert sich Ziad. „Neid könnte aufkommen, weil wir keinen Asylantrag mehr stellen mussten und bereits einen Flüchtlingsstatus hatten, und sie nicht. Aber ich nahm mir vor, auch ihnen mit einem Lächeln zu begegnen.“ Nach wie vor kommen die meisten Asylbewerber hierzulande aus den Balkan-Staaten. Sie haben kaum eine Chance auf einen positiven Bescheid.

„Jeder Bewohner in der Flüchtlingsunterkunft hat seine Pflichten zu erfüllen“, erklärt Maha. „Weil wir viele Termine und somit ein dichtes Programm hatten, mussten wir anfangs keine Arbeiten übernehmen.“ Es sei aber allmählich eine Art Solidarität entstanden, so dass der eine für den anderen eingesprungen sei, wenn dieser keine Zeit hatte.

Anfang Mai dieses Jahres begrüßte Ministerin Cahen weitere 46 Syrer. Sie kamen aus der Türkei, wo sie zuletzt gelebt hatten. Dorthin war, wie zuvor nach Jordanien, im November letzten Jahres eine Luxemburger Delegation gereist und hatte die neun Familien ausgesucht. Auch diese Syrer, darunter 29 Kinder, erhielten sofort den Flüchtlingsstatus.

Unter großer Medienbegleitung stattete Corinne Cahen Anfang Juni zusammen mit Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn und Bildungsminister Claude Meisch dem Foyer Heliar einen Besuch ab. Die Flüchtlinge haben Anspruch auf das garantierte Mindesteinkommen RMG, die Kinder wurden sofort eingeschult, und auch die Erwachsenen erhalten Französisch-Unterricht in Sprachkursen. Das OLAI erledigt die behördlichen Belange und kümmert sich um soziale und medizinische Angelegenheiten.

Luxemburg soll nach dem jüngsten Verteilungsschlüssel innerhalb der nächsten beiden Jahre 515 Flüchtlinge aufnehmen, vor allem Syrer und Eritreer: Dazu gehören Neuankömmlinge aus den Krisenregionen ebenso wie „Übersiedler“ aus den überlasteten Aufnahmeländern Italien und Griechenland. Die Unterbringungsstrukturen stoßen bereits an ihre Grenzen. Nur wenige Kommunen sind bereit, Gebäude zur Verfügung zu stellen. So wie auf internationaler Ebene die Kontingentierung der Flüchtlinge bei einigen EU-Staaten auf Widerstand stößt, drücken sich auf nationaler Ebene die Gemeinden vor der Aufgabe, Flüchtlinge aufzunehmen. Auch wer bereits eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche hat, findet nur schwer auf eigene Faust eine Wohnung.

„Der Mietvertrag ist für drei Jahre“, sagt Ziad. „Ein Jahr leben wir bereits hier. Wir sprechen oft darüber, was nach den drei Jahren sein wird. Man hat uns gesagt, dass man keine Wohnung bekommt, wenn man keinen Arbeitsvertrag vorweisen kann. Ich habe noch keine Arbeit. Auch wenn ich eine Arbeit finden würde. Wer sagt mir, dass ich eine Wohnung für eine Familie mit sechs Kindern finden werde?“

Die Familie hat Kontakt zu Syrern und anderen Menschen aus arabischen Ländern geknüpft. Ziad geht jede Woche zum Freitagsgebet in das islamische Kulturzentrum von Bonneweg. Während die Eltern ihre Sprachkurse besuchen, gehen die drei jüngeren Kinder in die Grundschule und die drei älteren auf ein technisches Lyzeum. Freunde habe er wenige, sagt Omar, die meiste Zeit verbringe er in der Familie. Seiner 15-jährigen Schwester Saja geht es ähnlich: „Bei mir sind größtenteils portugiesische Jugendliche in der Klasse“, sagt sie. „Die sprechen untereinander ihre eigene Sprache.“

Ihr Vater Ziad wird oft gefragt, ob er eines Tages nach Syrien zurückkehren möchte. „Selbst wenn es einmal wieder möglich wäre, wachsen meine Kinder hier in Luxemburg auf“, antwortet er dann. „Es ist ihre neue Heimat. Allah war uns wohlgesonnen. Wir haben Luxemburg sehr viel zu verdanken. Ich würde mein Leben dafür geben.“

Der 13-jährige Ibrahim zum Beispiel trägt ein Hörgerät. Mit ihm hat er sein Hörvermögen verbessert, das vor der Ankunft der Familie in Luxemburg nur noch 20 Prozent betrug. „Er konnte nicht sprechen“, sagt sein Vater. „Ibrahim hat bereits vor dem Krieg eine Hörhilfe benutzt. Als die Bombardements einsetzten, litt er besonders unter dem Lärm der Bomben.“

Eines Tages erhielten auch die Khouris einen Bescheid. Man hatte sie als Flüchtlinge anerkannt.

Auf einem anderen Weg sind die Khouris nach Luxemburg gelangt. Die Familie gehört nicht zu den Kontingentflüchtlingen. Nach ihrer Ankunft vor zwei Jahren beantragten Mtaneos Khouri, seine Frau Sahar Salom und ihre beiden Kinder Christina und Oscar Asyl. Auch sie hatten eine lange und gefährliche Reise hinter sich. Die Familie gehörte der christlichen Minderheit in Syrien an und lebte in der Hauptstadt Damaskus.

Mtaneos Khouri war als junger Mann in der Opposition gegen das Assad-Regime aktiv. Später ging der gelernte Zahntechniker mit seiner Frau nach Russland, wo auch die beiden Kinder geboren wurden. Wieder zurück in Syrien, erlebten sie die ersten Jahre des Krieges. „Auf der einen Seite das Regime“, sagt der Familienvater, „auf der anderen die Extremisten vom Islamischen Staat (IS), die drohten, alle Christen umzubringen.“

Als keine Aussicht auf ein Ende des Krieges bestand, beschloss Mtaneos, mit Frau und Kindern aus Syrien zu fliehen. „Wir hatten große Angst, so dass uns keine andere Wahl blieb“, erklärt Sahar Salom. Mit Hilfe von Schleppern gelangte die Familie zuerst in die Türkei. Von dort kamen die Khouri in einer einwöchigen Fahrt in einem Lastwagen, zusammengepfercht mit anderen Flüchtlingen, nach Luxemburg. „Wie genau, weiß ich nicht mehr“, sagt die inzwischen 15-jährige Christina, „wir durften den Lastwagen bei jedem kurzen Stopp nur kurz verlassen.“

Die Familie wurde zuerst im Foyer „Don Bosco“ im hauptstädtischen Limpertsberg untergebracht, der ersten Unterkunft der meisten Asylbewerber im Großherzogtum. „Wir wurden zusammen mit anderen Asylbewerbern einquartiert“, erinnert sich Sahar Salom. „Es war die schwierigste Zeit hier in Luxemburg.“ Im „Don Bosco“ leben ganze Familien in einem Zimmer von wenigen Quadratmetern.

Nach kurzer Zeit wurde Familie Khouri nach Marienthal gebracht. Das dortige Asylbewerberheim liegt mitten im Wald. Mehr als hundert Menschen wohnen in dem Zweckbau. Christina und Oscar waren die einzigen Kinder aus einem arabischen Land, die anderen stammten aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo. Heimweh plagte die beiden ebenso wie ihre Eltern. „Und das lange Warten auf eine Antwort von der Asylbehörde“, sagt Sahar Salom. Sie habe oft geweint. Das Warten zehrte an ihr.

Eines Tages erhielten auch die Khouris einen Bescheid. Man hatte sie als Flüchtlinge anerkannt. Ihre Kinder gehen heute zur Schule und haben Freunde gefunden. „Uns fiel ein Stein vom Herzen“, beschreibt Sahar Salom den Moment. Kurze Zeit danach bekam die Familie ein Haus zugeteilt. „Wir können uns glücklich schätzen“, sagt Mtaneos Khouri. „Aber nach wie vor ist ein Teil der Familie in Syrien. Für die Christen dort wird es immer gefährlicher. Ich würde alles tun, um den Rest der Familie herauszuholen.“

Am meisten bedrückt ihn, nicht arbeiten zu können. „Auch wenn ich es darf“, sagt Mtaneos, „es ist schwer, etwas zu finden.“ Die Untätigkeit zermürbe ihn. Er sei zwar dankbar dafür, in Luxemburg gut aufgenommen worden zu sein: Zufrieden werde er jedoch erst sein, wenn seine Familie auf eigenen Beinen steht und nicht mehr auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Für Mtaneos Khouri wie für die meisten Flüchtlinge gilt, dass sie ihrer neuen Heimat etwas zurückgeben wollen. Auch wenn sie mit ihren Gedanken noch in Syrien und bei ihren Angehörigen sind – in der vom Krieg zerstörten ersten Heimat.


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