Theater: Die Welt ist verrückt

Mit „Watt elo“ bringt das Collectif Dadofonic absurdes Theater von Beckett auf die Bühne. Ihr Anderssein kehren die zwölf DarstellerInnen nach außen und zeigen damit: Begrenzungen haben wir alle.

1344event_aninaWer in Becketts Stücken Sinn sucht, Moral ausmachen will oder sich an politischen Interpretationen versucht, landet schnell in einer Sackgasse. In seinen Romanen und Stücken dominiert die Absurdität des menschlichen Daseins. Seine Gestalten stehen beziehungslos in einer sinnlosen Welt. Beckett stellt Fragen, auf die es keine Antworten gibt. So auch in dem 1942 geschriebenen Roman „Watt“.

Watt, der Progagonist, tritt am Anfang des Romans in Erscheinung auf dem Weg zum Bahnhof, einen namenlosen Bahnhof, von dem aus er den Weg zu „Mr. Knott“ nimmt, den er am Ende verlässt.

Kern der Erzählung ist Watts Aufenthalt bei Mr. Knott. Die beiden, Diener und Herr, verhalten sich zueinander wie Frage (what) und Antwort (not). Watt fragt, muß sich aber, da Knott nicht spricht, die Antworten selbst suchen und geben, wobei er die Feststellung macht, dass es entweder zahllos viele oder aber gar keine gibt. Ihn stört das nicht, denn die Antwort interessiert ihn gar nicht, wie auch seine Sorge nicht dem gilt, was die Dinge in Wirklichkeit sind. Er weiß nicht, wann er zu Knott gekommen ist, und er weiß nicht, wann er ihn verlassen hat. Er weiß auch nicht, wie lange er geblieben ist.

Die Künstler des „Collectif Dadofonic“, einer professionellen inklusiven Theatergruppe der LIGUE HMC, haben sich durch die Geschichte Becketts inspirieren lassen und interpretieren das Stück auf ihre Weise. So gibt es in „Watt elo“ nicht nur einen „Watt“, sondern mehrere. Die Figuren des Stücks schwanken, taumeln und torkeln. Sie haben vielfältige Gebrechen, und ihr Verhalten wirkt seltsam. Kennen sie überhaupt die Regeln des menschlichen Miteinanders? Oder leben sie nach ihren eigenen Regeln?

Die zwölf Darsteller haben ihre Rollen verinnerlicht, wissen sie zu spielen und verstehen sehr gut, was das Stück ausmacht. „Wir sind alle arm in dem Stück“ betonen sie. Auch in Becketts Erzählung ist die Familie Lynch bitterarm, dafür umso reicher an Kindern. „Wir sind schon behindert, aber in dem Stück sind wir noch viel mehr behindert“ erklärt die Schauspielerin Sandra Fernandes Fitas. Und doch haben alle im Stück eine andere Behinderung als im wirklichen Leben. Der gehörlose Christiano Andrade etwa spielt im Stück einen blinden Klavierstimmer. Der stets lächelnde Raphaël Lux gibt den autoritären Mr. Knott. Arthur, einer der Knechte von Mr. Knott, wird in „Watt elo“ von zwei Darstellern, den siamesischen Zwillingen „Art“ und „Thur“, gespielt. So zeigt das Collectif Dadofonic, dass eine verkehrte Welt bei Beckett eben Normalität ist.

Die Figuren des Stücks haben sich in den letzten Jahren sukzessive fortentwickelt. Der gebrechliche „Watt“, der mit Frauen flirtet, spielte seine Rolle bereits bei der Dadobulanz, der „Watt-Elo-Parade“, einer Straßentheaterdarbietung. Man arbeite seit fast zwei Jahren an dem Stück, erzählt die Schauspielerin Lelita Almeida, die im Stück mal eine schimpfende Milchfrau, mal eine Autorin verkörpert. „Die Figurenentwicklung geht viel schneller voran als vor fünf Jahren“ berichtet Dagmar Weitze, die zusammen mit Claude Englebert die Gruppe coacht und Regie führt.

„Watt elo“ ist also „work in progress“ und entspricht damit ganz und gar dem Selbstverständnis des Collectif Dadofonic. Denn die Theatergruppe entwickelt Stücke ganz im Sinne Dadas immer weiter fort – ohne je genau zu wissen, wo es hingeht.

Eine feste Struktur hat das Stück dennoch, die Choreographie, bei der Annick Pütz mitgewirkt hat, ist von vorn bis hinten stimmig. Die Handlung des etwa einstündigen Theaterstücks spielt sich an drei Tagen ab. Am ersten wird das Klavier gestimmt, am zweiten verteilt eine Fischfrau sinnlich-lockend Fische in der Stube und am dritten wird gekocht.

Die zwölf Schauspieler schaffen in dem Stück poetische Bilder. Eine Frau verteilt die Fische in die Münder der Männer, die sie anzuhimmeln scheinen, und stopft ihnen damit gewissermaßen das Maul. Ein Zauber liegt in der Luft, wenn Lauchstangen durch die Gegend fliegen, wenn im riesigen Suppenkessel gerührt und der Kochtopf in Windeseile mit Zutaten gefüllt wird. Die musikalische Begleitung von Fränz Hausemer verstärkt diese magische Atmosphäre.

Das absurde Theater habe sich zuletzt wie von selbst ergeben, berichtet Claude Englebert. Obwohl man das Stück sehr ernst und tragisch angelegt habe, seien ganz von alleine lustige Szenen und Situationskomik entstanden. Letztlich sei es auch darum gegangen, die Gebrechlichkeit der Figuren in Bühnensprache zu übersetzen, denn Beckett spiele immer auch damit, dass jeder Mensch in irgendeiner Form behindert ist. „Wir leben nunmal in unseren begrenzten Körpern. Durch die Umwelt, aber auch im Alter sind uns Grenzen gesetzt,“ meint Dagmar Weitze.

Beckett stellt diese Behinderungen in seinen Stücken explizit zur Schau. Seine Figuren sind gebrechliche Gestalten, denen mitunter der Unter- oder Oberkörper fehlt. Ganz anders die Figuren im Stück, die sich ihrer eigenen Einschränkung(en) bewusst sind und diese auf der Bühne reflektieren. Mit Fellen und Pelzmützen bekleidet, spielen sie mitunter Hunde, die bellend miteinander kommunizieren. Solche Familien gebe es auch in Luxemburg, meinen Dagmar Weitze und Claude Englebert. Aber auch die Bahnhofsszenen, in denen die Menschen mit dem Finger aufeinander zeigen und sich gegenseitig verhöhnen, sind aus dem Leben gegriffen. Dass Jemand anders ist, ist eben noch lange nicht normal. In „Watt elo“ spielen die Darsteller mit ihrem Anderssein. Doch statt vorgeführt zu werden, wie es noch immer allzu oft bei inklusiven Theatergruppen geschieht, kehren sie ihr Anderssein nach außen und bringen auf diese Weise eindrucksvolle poetische Bilder hervor. In Bühnensprache übersetzt, schaffen sie es, den Zuschauer zugleich zu verzaubern und zum Nachdenken zu bringen. Am Ende steht die Erkenntnis, das wir alle irgendwie behindert sind!

An diesem Samstag, den 7.11. um 19h und an diesem Sonntag, den 8.11. um 15h im Mierscher Kulturhaus 
und am 5. und 6.12. um 17h, sowie am 7. und 8.12. um 10h im TNL.

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