Theater
: Soziale Kluft, Knast, Vatermord


Frank Hoffmans Inszenierung von „Theben-Park“ im TNL versucht die Gratwanderung zwischen einer Auseinandersetzung mit dem Ödipus-Motiv und einer Sozialstudie als Theater im Theater. Ein ambitioniertes Vorhaben.

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Nicolai Despot glänzt in den Rollen des Knastbruders wie des Schauspielers.

Vor der Kulisse hoher Gitter um einen Baskettballcourt tritt der Autor S (Maik Solbach), sichtlich um Souveränität bemüht, im Superman-T-Shirt vors Publikum und erzählt von seinem künstlerischen Projekt: der Umsetzung des Stücks um einen „Vatermord“. Stück für Stück gewinnt die schemenhafte Handlung an Kontur, und doch ist zunächst nur klar, dass ein im Trainingsanzug launisch dribbelnder junger Mann seinen Vater ermordet hat. Noch hängen die Motive in der Luft, aber anhand der Berichte des Autors wird immerhin klar, dass der reale Häftling und der Junge, der im Theater-Projekt den Häftling spielen soll, nicht dieselben sind – obgleich beide Rollen auf der Bühne des TNL von ein und demselben Schauspieler (Nicolai Despot) gespielt werden. Das Konzept eines Bühnenstücks, dessen Entstehung in „Theben-Park“ rekapituliert und zugleich erprobt wird, als grundlegendes Konzept Sergio Blancos ist zwar anfangs für den Zuschauer verwirrend, doch bietet es einen großen Spielraum für Zeitsprünge und Wechsel. Dadurch, dass Martín und Federico von derselben Person verkörpert werden, bleibt auch der Zuschauer wachsam, konzentriert und angespannt … Denn die beklemmende Atmosphäre transportiert sich nicht nur über das käfigartige Bühnenbild nebst Überwachungskameras, die den Häftling 24 Stunden lang filmen, sondern auch vom Autor aufs Publikum. Die tatsächliche Anwesenheit des Häftlings war Grundlage des Projekts, erklärt S, doch habe das Ministerium, dessen Bedingung es war, auf der Bühne ein drei Meter hohes Gitter aufzurichten, schließlich gemauert. Und dann ist man auch schon im Geschehen. Der Häftling erzählt mit gedrückter Stimme von der andauernden Überwachung: „Sie schauen einem zu, beim Pinkeln, Schlafen, Trainieren.“ Und obwohl seine Erscheinung: Kapuzenpullover, Trainingshose, Nike-Sneakers etwas zu sehr dem Klischee des Prolls entspricht, das Akademiker vor Augen haben, spielt Nicolai Despot gerade diese Rolle glaubwürdig und wechselt fast beiläufig vom rauen Häftling zum verletzten Kind. Maik Solbach ist in der Rolle des Dramatikers und episodischen Betreuers hingegen eher nervig, seine akademische Arroganz wirkt die meiste Zeit ebenso künstlich wie seine überpädagogisch nervöse Art als Betreuer. Vielleicht ist es aber auch das Konzept von Theben-Park selbst, das zu viele bedeutungsschwere Bezüge enthält, die den Besuch des Stücks so anstrengend machen. Muss man Ödipus gelesen haben oder die Pasolini-Verfilmung des Stoffs kennen?

Das Aufeinanderprallen zweier Milieus in dem von seiner Kindheit geschädigten und mißbrauchten Jungen auf der einen Seite und dem Autor als arrogantem Akademiker auf der anderen ist allzu gewollt und an manchen Stellen fast schon überkarikiert. Etwas weniger dick aufgetragen, wären die Bourdieu’schen Codes von den Zuschauern schon verstanden worden. Auch die kitschig-katholischen Hinweise auf Lateinamerika – ein Rosenkranz und das Lied „Amado amante“ – die den Häftling an seine Mutter erinnern, erscheinen als Symbolik der Unterschicht zu dick aufgetragen, besonders in ihrem Kontrast zu dem abgehoben westlichen Akademiker. Auf dessen Seite sind die Ödipus-Sage, der aufgesetzte Bezug zu Dostojewskis „Gebrüdern Karamasow“ und das Andante aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 die Signale, die beim Zuschauer das Wohlgefühl seiner gehobenen soziokulturellen Stellung auslösen dürften.

Doch die Berichte Martíns, des Häftlings, von seiner Kindheit – von den Gürtelschlägen seines Vaters und fortwährender Verhöhnung und Erniedrigung – schaffen es, einen wirklich zu berühren. Sein Sozial-Ressentiment gegenüber seiner Umwelt: „Ihr seid alle gleich. Ihr verachtet mich alle! Du (gerichtet an den Autor) bist nur wegen dir hier!“, ist nur allzu gut nachvollziehbar. Ebenso versteht man, dass nach dem Geschehenen nichts mehr in Martíns Kopf hineingeht und er mit seiner Sozialisation kaum fähig ist, ein Buch zu lesen. Epileptische Anfälle zeugen noch heute von seiner Unsicherheit. Seine eindrucksvolle Performance wirkt denn auch nach, wenngleich das versöhnlich-kitschige Ende, bei dem sich die beiden – so unterschiedlichen – Männer beschenken und ihre Gefühle füreinander eingestehen (zu allem Überfluss erklingt Bonos „With or Without You“ dazu) einen mit schlechter Laune in den angebrochenen Abend entlässt. So ist das, was von „Theben-Park“ letztlich hängenbleibt, nur ein Themen-Potpourri.

Am 20., 25. und 28. November um 20h und am 29. November um 17h.

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