Theodor Bergmann (1916-2017)

(Foto: Wikimedia)

Am Montagabend verstarb in seinem 102. Lebensjahr der jüdische kritische Kommunist und Agrarwissenschaftler Theodor Bergmann in Stuttgart. Die Nachricht löste bei MitarbeiterInnen und Redaktionsangehörigen der woxx große Trauer aus, denn Bergmann war einigen von ihnen freundschaftlich sehr verbunden. Kaum glaubhaft, dass wirklich schon über zehn Jahre vergangen sind, seit die woxx den Dokumentarfilm „Dann fangen wir von vorne an“ aufführte und Theo zu diesem Ereignis nach Luxemburg einlud. Er kam zu dieser wie zu anderen Vorführungen, obwohl er zuerst nicht recht einsehen wollte, weshalb so viel Aufhebens um seine Person gemacht wurde und ausgerechnet ihm eine filmische Biografie mit dem Untertitel „(Über)Leben eines kritischen Kommunisten im 20. Jahrhundert“ gewidmet wurde. Jedenfalls hinterließ sein Aufenthalt in Luxemburg bei denen, die den Film sahen und an der anschließenden Debatte mit dem damals 90-Jährigen teilnehmen konnten, einen nachhaltigen Eindruck. Später stand er uns noch einmal als kritischer Rezensent für die Rubrik politisches Buch zur Verfügung. Geboren wurde Theodor Bergmann mitten im Ersten Weltkrieg in Berlin als Sohn eines Rabbiners. Mit elf Jahren, während der Weimarer Republik, wurde er Mitglied im Spartakusbund, trat dann aber der stalinkritischen KPD-Opposition bei. 1933 entkam er ganz knapp den Nazis und flüchtete als 17-jähriger auf sich alleine gestellt über das Saarland nach Palästina, wo er in einem Kibbuz arbeitete. Er kehrte 1935 nach Europa, in die Tschechoslowakische Republik, zurück, von wo er 1938 abermals – diesmal nach Schweden – flüchten musste. 1946 ging er zurück nach Deutschland, studierte und promovierte an der Universität Hohenheim bei Stuttgart, war dort ab 1965 wissenschaftlicher Miterbeiter und, nach einer Gastprofessur in Australien von 1973 bis 1981, Inhaber des Lehrstuhls für international vergleichende Agrarpolitik. Zeit seines Lebens blieb er seinen kommunistischen Idealen treu. Besonders in der Zeit nach seiner Emeritierung trat er als Autor oder Herausgeber umfangreicher kritischer Analysen zur Entwicklung des sozialistischen Bewegung hervor. Unter diesen war auch „Gegen den Strom, die Geschichte der KPD-Opposition“, 2001 in 2. Auflage erschienen, das eine spannende, aber weniger bekannte Episode der deutschen Linken dokumentierte. Sein letztes Buch erschien erst vor einigen Monaten: „Der chinesische Weg. Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen.“ Bergmann absolvierte noch bis ins hohe Alter Vortragsreisen in ferne Länder. Nach der Wiedervereinigung wurde er Mitglied der PDS, später der Partei Die Linke. „Er hat sein lebenslanges Engagement für eine bessere, solidarische und vor allem nicht-kapitalistische Welt beendet“, heißt es in seiner Todesanzeige, an deren Ausarbeitung er, der zeitlebens alles minutiös plante, nicht ganz unbeteiligt gewesen sein dürfte.


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