Tourismus
: Die Massen kommen


Das Bewusstsein für nachhaltiges Reisen ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Aber reicht es, den persönlichen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren?

Der Trevi-Brunnen in Rom ist stets gut besucht. Immer wieder kommt es vor, das TouristInnen darin verbotenerweise ihre Füße eintauchen oder gar ganz reinspringen. (Foto: ©Flickr)

Urlaub bringt Erholung, Erlebnisse und Bildung. Was für die Reisenden selbst sowie für die Wirtschaft eine Bereicherung darstellt, wird jedoch zur zunehmenden Belastung für den Planeten. Denn nicht nur die Infrastruktur der Städte und ihre AnwohnerInnen leiden unter den Reiselustigen, der Tourismussektor ist auch für ca. fünf Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Von diesen entfallen etwa 75 Prozent auf den Reiseverkehr und 20 Prozent auf den Betrieb der Hotels. Die durch den Flugverkehr produzierten Emissionen sind, wenn auch nicht auf den ersten Blick sichtbar, nach wie vor die höchsten: Kreuzschiffe produzieren 0,43 Kilogramm CO2 pro Passagier und Meile, Flugzeuge 0,257 Kilogramm. Die Strecken, die per Flieger zurückgelegt werden, sind allerdings meist um einiges länger als Schiff- oder Autofahrten, was den Schädlichkeitsfaktor wiederum relativiert.

In den letzten 20 Jahren hat sich das Reiseverhalten stark verändert. Die Menschheit verreist zusammengerechnet im Jahr mehr als eine Milliarde mal – mehr als doppelt so oft als noch 1995. Flüge sind heute günstiger, die Menschen haben mehr Geld. Der alljährliche mehrwöchige Pauschalurlaub ist mehreren kürzeren Städtetrips gewichen. 2016 bereisten laut World Travel Monitor 26 Prozent von weltweit insgesamt 1,1 Milliarden UrlauberInnen Metropolen.

Eine Stadt wie Venedig wird täglich von 100.000 Menschen besucht. Das sind pro Jahr zwischen 25 und 30 Millionen, und jährlich steigen diese Zahlen um einige weitere Prozente. Nicht nur überfüllte Kais und Plätze haben ganz reale Auswirkungen auf das Alltagsleben der AnwohnerInnen. Schon so mancher Supermarkt musste einem neuen Hotel oder Touristen-Shop weichen. Doch auch die Infrastruktur selbst leidet unter dem überbordenden Tourismus: Der durch die riesigen Kreuzfahrtschiffe verursachte Wellengang beschleunigt die Zerstörung der maroden Gebäude. Im Januar 2014 trat deshalb ein Gesetz in Kraft, das die phasenweise Reduzierung der Anzahl großer Schiffe in der Lagune Venedigs regelt.

Auch der Immobilienmarkt wird vom Tourismus beeinflusst. So steht den 55.000 VenezianerInnen immer weniger an Wohnungsinfrastruktur zur Verfügung. Allein 4.000 Wohnungen wurden in den letzten vier Jahren in AirBnb-Appartments umgewandelt. Dadurch steigen auch die Mietpreise. In Folge dieser Veränderungen ist die Zahl der Einheimischen in Venedig in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Bleibt die Wegzugsrate konstant, könnten sie, Schätzungen zufolge, im Jahre 2030 ganz verschwunden sein.

„Tourists go away! You are destroying the city“ wurde auf Flyern gefordert, die im letzten Sommer in der Lagunenstadt verteilt wurden. Seit Jahren werden in Venedig, ebenso wie in zahlreichen anderen vom Massentourismus betroffenen Metropolen, regelmäßig sogenannte Anti-Tourismus-Demonstrationen veranstaltet. Im Januar hinderte eine Gruppe AktivistInnen in Barcelona Touristenbusse an der Weiterfahrt. Im Juli gingen in Venedig etwa 2.000 Einheimische auf die Straße, um gegen steigende Mietpreise und die Verschmutzung der Stadt zu protestieren. Am 17. August fanden ähnliche Proteste in San Sebastian und auf Mallorca statt. „Tourists = Terrorists“ hieß es dort auf manchen Plakaten.

Tourismusmanagement

Bereits im vergangenen April hatte der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, Maßnahmen für ein verbessertes Besuchermanagement angekündigt. Dazu gehörten ein Verbot von Hotelneubauten im Stadtzentrum, Stadtpläne, die weniger bekannte Sehenswürdigkeiten hervorheben, sowie Drehkreuze, die den Zugang zu bestimmten Brücken begrenzen. Imbissstände, die nicht die regionale Küche anbieten, wurden verboten. Mit Sensibilisierungskampagnen sollen BesucherInnen über verantwortungsvollen und nachhaltigen Tourismus aufgeklärt werden. Seit April 2016 besteht eine „Einheimische-zuerst“-Richtlinie für Vaporettos.

Auch in Barcelona versucht die Stadtregierung, dem explodierenden Tourismus durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. „Wir gehen nicht den venezianischen Weg“, lautete der Slogan der 2015 zur Bürgermeisterin gewählten Ada Calau. Vermittlungsplattformen für Unterkünfte dürfen nur noch bereits lizenzierte Wohnungen vermieten – neue Lizenzen werden nicht mehr vergeben. Ab 2019 ist ein Hotelbaustopp in der Innenstadt geplant. Auch in den äußeren Teilen Barcelonas soll der Bau von Touristenunterkünften genauer geregelt werden, wenn auch weniger streng als im Zentrum. Barcelona ist mittlerweile nach London, Paris und Istanbul die meistbesuchte Metropole Europas.

In der kroatischen Stadt Dubrovnik, die in den letzten Jahren vor allem als Schauplatz der HBO-Serie „Game of Thrones“ Bekanntheit erlangte, werden immer nur 6.000 Menschen auf einmal ins Stadtzentrum gelassen. Damit soll die Zerstörung der Infrastruktur verhindert werden. In anderen europäischen Städten wie Florenz und San Sebastian wird entweder über Maßnahmen zur Reduzierung vom Massentourismus nachgedacht, oder es werden solche bereits umgesetzt.

Selbst auf internationalem Niveau wird an Lösungen gearbeitet. 2012 wurde das Unesco World Heritage and Sustainable Tourism Programme ins Leben gerufen, dessen Ziel die Entwicklung von Werkzeugen und Strategien ist, die Welterbe-Stätten helfen sollen, den Tourismus zu einem nachhaltigen zu machen. Das Programm basiert auf vier Grundsätzen: Förderung des Wissens über die jeweilige Tourismus-Situation, Verbesserung der Leitungs- und Koordinationsmechanismen (governance), Verknüpfung dieser beiden Aspekte und Einbeziehung aller relevanten Akteure.

Vorkehrungen zur Regulierung der TouristInnenströme stoßen aber nicht überall auf Zustimmung. Maßnahmen wie Hotelbaustopps bremsen das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen, wird kritisiert. Die Tourismusindustrie generiert jährlich mehr als acht Billionen US-Dollar und erzielt im Durchschnitt über vier Prozent jährliches Wachstum. Allein Spanien nimmt durch den Tourismus jedes Jahr 50 Milliarden Euro ein, was rund 16 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts entspricht. Einer von elf Beschäftigten weltweit ist in der Tourismus- und Reiseindustrie tätig.

Reisen und Klima

Schon seit Jahren setzt sich die UN-Welttourismusorganisation (UNWTO) für einen nachhaltigeren Tourismus ein. Zu den Maßnahmen, die die Organisation vorschlägt, gehört zum Beispiel die Nutzung erneuerbarer Energien in Hotels. Pünktlich zum „Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung 2017“ veröffentlichte die UNWTO im April das Positionspapier „Tourism for Development“. Darin werden Veränderungen in der Politik, in der Geschäftspraxis sowie beim Verhalten der Reisenden gefordert.

Doch auch die Branche selbst wird aktiv. Vielerorts wird in den letzten Jahren für Öko-Tourismus geworben. Der Urlaub soll zwar authentisches Erleben, fernab vom all-inclusive Hotel liefern, dabei jedoch die Umwelt schonen und die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung berücksichtigen. Der Nabu (Naturschutzbund Deutschland) beispielsweise hat sich zum Ziel gesetzt, durch Tourismus zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung beizutragen. Mit Projekten in Afrika, Mittelasien und dem Kaukasus sollen neue Einkommensquellen für die Einheimischen geschaffen und diese für den Naturschutz in ihren Heimatregionen sensibilisiert werden. Projekte des Nabu sind beispielsweise das Biophärenreservat am äthiopischen Tanasee und die Unterstützungsmaßnahmen beim Aufbau privatwirtschaftlicher, kleintouristischer Betriebe.

In Venedig demonstrieren die AnwohnerInnen im Juli zum wiederholten Mal gegen die negativen Konsequenzen des überbordenden Tourismus.(Foto: © epa)

Umwelt- und sozialverträgliche Angebote lassen sich allerdings nicht auf diese spezifische Form festnageln. Von Camping-Aufenthalten bis zum Urlaub im Vier-Sterne-Hotel – nachhaltiges Reisen wird von touristischen Dienstleistern in vielerlei Ausprägung angeboten. Luftbrücken durch den Dschungel und Rundtrips mit Kanu sollen einen Urlaub ganz ohne schlechtes Gewissen ermöglichen. Besonders wichtig ist hierbei, laut den Anbietern, die Umweltfreundlichkeit der Unterkunft sowie die Betreuung und Beratung der UrlauberInnen durch UmweltexpertInnen. Um bei den bestehenden Angeboten nicht den Überblick zu verlieren, haben die Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung und Tourism-Watch 2009 das Zertifikat „CSRcertified“ eingeführt. Dieses erhalten Reiseveranstalter, die sich durch besondere Nachhaltigkeit hervorgetan haben. Die durch die Anreise der UrlauberInnen verursachten Emissionen werden bei den Berechnungen aber meist ausgeklammert.

Dass Reisen einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, lässt sich nicht vermeiden. Und er ist meist sogar größer, als Reiseunternehmer ihre KundInnen glauben machen wollen. Nicht wenige geben sich deshalb zur Werbung einen grünen Anstrich, den sie aber nicht einhalten können. Den Schaden, den Wochenend-Städtetrips oder weite Flugreisen verursachen, kann nämlich auch der umweltfreundlichste Campingplatz nicht wieder wettmachen. Auch das Vorhaben, TouristInnen vor Ort auf die Fragilität der Natur oder die hohe Gefährdung mancher Tierarten aufmerksam zu machen, muss kritisch betrachtet werden. Wirklich umweltschonend ist nach wie vor der Urlaub in den eigenen vier Wänden.

Letzten Endes haben Einzelpersonen in dieser Problematik jedoch nur eine begrenzte Wirkungsmöglichkeit und Verantwortung. Dringendes Handlungspotenzial besteht vielmehr bei politischen und wirtschaftlichen Akteuren. Denn auch Konferenzen, wie zuletzt die im April abgehaltene Internationale Konferenz für Ethik im Tourismus in Krakau, und Positionspapiere wie das der UNWTO, können einem wenig kontrollierten Tourismuswachstum nur wenig entgegensetzen.


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