USA
: Kürzen mit Herz

Zu wenige republikanische Senatoren in den USA stimmen bislang der Gesundheitsreform zu, die nach offiziellen Schätzungen 22 Millionen Menschen die Krankenversicherung kosten würde. Doch der Druck steigt, endlich ein Gesetz zu beschließen.

Kämpfen um Obamacare: Proteste für die Beibehaltung der aktuellen Krankenversicherung 
in den USA. (Foto: Flickr)

Donald Trump sorgt zuverlässig für Skandale. Seit er am Sonntag auf Twitter eine Videomontage veröffentlichte, die ihn zeigt, wie er einen Mann, dessen Kopf mit dem CNN-Logo überblendet ist, angreift und schlägt, wird einmal mehr vor allem über ihn debattiert – und weniger über die Unfähigkeit des US-Präsidenten und der Republikaner im Kongress, eine Gesundheitsreform zustande zu bringen.

Eigentlich wollten die republikanischen Senatoren noch vor dem Nationalfeiertag am 4. Juli, dem „Independence Day“, die ihnen verhasste Gesundheitsreform von Barack Obama, den „Affordable Care Act“ (ACA), kippen. Das ist ihnen nicht gelungen, und die vom Senat vorgeschlagene Alternative, der „Better Care Reconciliation Act“ (BCRA), ist bei den Wählerinnen und Wählern sehr unbeliebt. In manchen Umfragen erhält der BCRA nur zwölf bis 16 Prozent Zustimmung, entsprechend munter ist die Stimmung bei den Versammlungen in den jeweiligen Wahlbezirken. So ermahnte der republikanische Senator Bill Cassidy die Anwesenden bei einer Versammlung in Louisiana, es sei unhöflich, ihn ständig mit Zwischenrufen zu unterbrechen. Jemand aus der Menge erwiderte, es sei noch viel unhöflicher, 22 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung wegzunehmen.

Das Gesetz vor der am 4. Juli beginnenden zehntägigen Legislaturpause zu beschließen, hätte es den Medien und der Opposition schwerer gemacht, angemessen darauf zu reagieren. Doch der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell aus Kentucky, ließ ein 13-köpfiges Gremium wochenlang hinter verschlossen Türen tagen. Die Demokraten prangerten die Geheimniskrämerei der Republikaner an und stellten Mutmaßungen darüber an, was alles in dem ominösen Gesetzentwurf stehen könne. Als der Text am 22. Juni endlich vorgestellt wurde – bezeichnenderweise ohne eine Pressekonferenz –, war das Entsetzen groß.

Eigentlich hatten die republikanischen Senatoren geplant, den vom Repräsentantenhaus im März verabschiedeten „American Health Care Act“ (AHCA), den auch Trump „hartherzig“ nannte, grundlegend umzuschreiben. Aber weichherziger ist der BCRA nicht. Dem „Congressional Budget Office“ (CBO) zufolge würden nach dessen Inkrafttreten bereits im kommenden Jahr 15 Millionen, bis 2026 dann 22 Millionen US-Amerikaner und -Amerikanerinnen ihre Krankenversicherung verlieren – betroffen wären vor allem arme und alte Menschen. Denn der Senatsentwurf will die Mittel für „Medicaid“, die staatliche Krankenversicherung für Menschen mit geringem Einkommen, und andere Gesundheitsausgaben um insgesamt 35 Prozent kürzen.

Betroffen wären auch Behinderte, chronisch Kranke und werdende Mütter – „Medicaid“ finanziert etwa die Hälfte aller Entbindungen und einen Großteil der Pflegeheime. Überdies soll „Planned Parenthood“, eine Organisation, die Frauen und Mädchen kostengünstigen Zugang zu Familienplanung bietet, keine „Medicaid“-Patientinnen mehr annehmen dürfen – zunächst für ein Jahr, doch wird die Abneigung der republikanischen Patriarchen gegen die Institution, die auch Schwangerschaftsabbrüche anbietet, in den kommenden Jahren wohl eher nicht geringer werden.

Die Ausgaben für Gesundheitsversorgung sollen um insgesamt 35 Prozent gekürzt werden.

Mit den Kürzungen bei „Medicaid“ würde der Staat 772 Milliarden Dollar in neun Jahren einsparen – wobei ein erheblicher Teil dieser Summe in Form von Steuererleichterungen denjenigen zukommen soll, die mehr als 200.000 Dollar im Jahr verdienen. Moderaten republikanischen Senatorinnen und Senatoren wie etwa Susan Collins aus Maine oder Lisa Murkowski aus Alaska gehen diese Einschnitte zu weit. Den Erzkonservativen und Rechtslibertären, beispielsweise Ted Cruz aus Texas oder Mike Lee aus Utah, geht der BCRA nicht weit genug.

Es gelang Mehrheitsführer McConnell nicht, eine Einigung herbeizuführen. „Es ist nicht leicht, Amerika wieder großartig zu machen“, klagte er am Wochenende. So sprach sich beispielsweise der republikanische Senator Dean Heller aus Nevada gegen den BCRA aus. Er will im kommenden Jahr zur Wiederwahl antreten und in Nevada qualifizieren sich 200.000 Menschen durch „Obamacare“ für „Medicaid“-Zahlungen, davon 30.000 Menschen mit Drogensucht, für die jede staatliche Hilfe gestrichen würde. Auch viele republikanische Wähler und Wählerinnen haben den Nutzen einer Krankenversicherung erkannt.

Doch Trump war erbost über die kritischen Worte Hellers. Eine dem Präsidenten nahestehende politische Aktionsgruppe ließ in Nevada Fernsehspots ausstrahlen, in denen Heller heftig attackiert wurde. Es ist ein Novum, dass ein Präsident einen um die Wiederwahl kandidierenden Senator seiner eigenen Partei unterminiert. Der Streit wurde vorläufig beigelegt, lässt aber erahnen, wie Trump im Hinblick auf die Wahlen bei den „midterm elections“ 2018 versuchen wird, Gefolgschaft zu erzwingen.

Trump scheint es nicht zu bekümmern, dass es im Senat keine Mehrheit für den BCRA gibt. Er hat über Twitter verlauten lassen, dass man im Notfall „Obamacare“ kippen und „zu einem späteren Zeitpunkt“ durch etwas anderes ersetzen könne – dann würden über Nacht 26 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung verlieren. Diese Sorg- oder Ahnungslosigkeit lässt einmal mehr vermuten, dass Trump gar nicht weiß, was im Gesetzestext steht, und es ihn auch nicht interessiert. Dem von ihm gewünschten Image des dynamischen Präsidenten ist es allerdings abträglich, dass seine Partei ihm nicht folgen mag.

Dafür gibt es auch politische Gründe. Im Wahlkampf hat Trump sich wenig um einige wirtschaftsliberale Dogmen der Republikaner geschert und versprochen, es werde keine Kürzungen bei „Medicaid“ geben. Dem republikanischen Establishment geht es vor allem um Deregulierung, Einsparungen und Steuererleichterungen für Besserverdienende, doch wächst die Sorge, unpopuläre Reformen könnten der Partei bei den „midterm elections“ schaden.

Derzeit können sich die Demokraten über den katastrophalen Gesetzentwurf und die republikanischen Chaostage freuen; viele scheinen nun zu glauben, dass der BCRA niemals in Kraft treten wird. Das aber könnte ein Trugschluss sein. Denn die Republikaner im Senat wissen genau, dass es höchste Zeit ist, endlich ein Gesetz zu erlassen, egal welches. Der Druck, das sieben Jahre alte Versprechen „repeal and replace“ (aufheben und ersetzen) endlich einzulösen, ist enorm. Überdies will man dieses Jahr ja auch noch eine Steuerreform verabschieden.

Auch Trump braucht nach fünf Monaten im Amt einen politischen Erfolg. Die bisherige Bilanz ist dürftig. Neil Gorsuch, der von ihm nominierte Richter des Supreme Court, des Obersten Bundesgerichts, hat sich bislang als zuverlässiger Erzkonservativer erwiesen. Dass dieses Gericht die Entscheidungen unterer Instanzen gegen Trumps „travel ban“, das umstrittene Einreiseverbot, das Menschen aus sechs vorwiegend muslimischen Ländern betreffen soll, nicht bestätigte, feiert der Präsident ebenfalls als Sieg.

Doch die Grundsatzentscheidung fällt erst im Herbst. Bis zu diesem Urteil tritt eine eingeschränkte Version in Kraft, bei der Menschen, die „legitime Bindungen“ an Familien, Geschäfte oder Institutionen in den USA nachweisen können – also beispielweise Studenten –, weiterhin einreisen dürfen. Anderen Reisenden aus dem Sudan, Libyen, Syrien, Iran, Somalia und Jemen wird 90 Tage lang kein Visum ausgestellt werden, bei Flüchtlingen sind es 120 Tage. In dieser Zeit soll die Regierung ihre Sicherheitsüberprüfungen in den jeweiligen Ländern reformieren und gegebenenfalls verschärfen.

Da Trumps Tweets nur die ohnehin Überzeugten erfreuen, ist ein Erfolg in der Gesetzgebung für ihn ebenso dringlich wie für die Republikaner im Kongress. Die Gesundheitsreform ist „too big to fail“ – ihr Scheitern wäre ein politischer Offenbarungseid.

Damit das nicht geschieht, könnte McConnell die Wankelmütigen beispielsweise mit finanziellen Zuschüssen für ihre Bundesstaaten ködern. Den Berechnungen des CBO zufolge liegen die tatsächlichen Einsparungen des BCRA um rund 188 Milliarden Dollar über den im Gesetzentwurf vorgeschriebenen. McConnell könnte also etwa Cruz Zuschüsse für die von ihm gewünschten privaten Gesundheitssparfonds und Heller Geld für die Suchtprävention anbieten. Eine bessere Gesundheitsversorgung käme dabei zwar nicht heraus. Aber darum geht es ja ohnehin nicht, sondern um die Treue zum konservativen Dogma und um eine staatliche Umverteilung von Geld – von unten nach oben.

Emanuel Bergmann lebt und arbeitet als Journalist und Schriftsteller in Los Angeles.

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