USA: Von Schildkröten 
und Pferden

Bei den großen Parteien stehen in der ersten Jahreshälfte 2016 die Wahlen zur Kür des Präsidentschaftskandidaten an. Schon jetzt geht es im Karussell der AnwärterInnen drunter und drüber. Die woxx informiert, welche Politik hinter welchem Namen steckt.

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Nach „Yes, we can!“ nun „Feel the Bern!“: Bernie Sanders ist einer der zurzeit aussichtsreichsten demokratischen Bewerber um die Kandidatur zum höchsten Amt der USA. (Foto: Internet)

Bei der Wahl eines US-Präsidenten – oder einer Präsidentin – wird in den Medien gerne von einem „Pferderennen“ gesprochen. Ein trefflicher Vergleich. Aufgeregt verfolgen Internetblogger und Kabelsender, welches Pferd gerade bei den Meinungsumfragen in Führung liegt, welches schwächelt und welches nach vorne drängt.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass Umfragen, die ein knappes Jahr vor der Wahl stattfinden, selten aussagekräftig sind. Ähnliche Umfragen aus den Wahljahren 2012 und 2008 lagen völlig daneben. Noch flirten die Wählerinnen und Wähler mit ihren diversen Kandidaten, probieren neue aus, legen alte ab. Zumindest die Republikaner tun das, deren Stall ist voller Gäule. Bei den Demokraten gibt es weniger Auswahl, da gibt es im Grunde nur zwei Favoriten, Hillary und Bernie – das Wahlvolk nennt sie mittlerweile nur noch bei ihren Vornamen. Hillary Clinton, von 2008 bis 2013 Außenministerin der USA im Kabinett Barack Obama, war vor wenigen Monaten noch sehr gut im Rennen, jetzt ist sie es nicht mehr. Erst wollten die Demokraten sie unbedingt zu ihrer Spitzenreiterin küren, jetzt weichen die „Ready for Hillary“-Aufkleber auf den Stoßstangen demokratischer Wählerinnern und Wähler mehr und mehr den „Bernie“-Aufklebern. All das erinnert an 2008, als Hillary von einem US-Senator aus Illinois, Barack Obama, überholt wurde.

„Bernie“ ist Bernie Sanders, ein Senator aus dem kleinen Bundesstaat Vermont. Der 74-Jährige ist ein Sozialdemokrat nach europäischem Vorbild, den seine Anhänger liebevoll einen „Idealisten“ nennen. Seine Kollegen im Senat finden allerdings noch ganz andere Worte, von denen „dogmatisch“, „bockig“ und „halsstarrig“ noch die schmeichelhaftesten sind.

Sanders tritt beispielsweise für ein öffentliches Gesundheits- und Bildungssystem ein, er fordert höhere Steuern für Besserverdienende und will den außer Kontrolle geratenen Überwachungsstaat zähmen. Seine Positionen kommen beim linken Flügel der Partei gut an. Es ist durchaus möglich, dass er die ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire im Frühjahr 2016 gewinnen wird, denn für ihn sind diese beiden Staaten ein Heimspiel. Dennoch hat Clinton langfristig die besseren Karten, denn sie hat sich schon frühzeitig der Unterstützung der wesentlichen Wahlmänner versichert. Das Rennen bleibt also weiterhin spannend, auf beiden Seiten.

Von den anfangs 17 Bewerbern der Republikaner sind zwei bereits ausgeschieden. Der erste war der ehemalige Gouverneur von Texas, Rick Perry, dessen Scheitern nicht weiter überraschend ist. Perry war beim letzten Mal, im Jahr 2012, als er sich eigentlich von einer Operation erholen sollte, mit Schmerzmitteln und Schlafpillen gedopt ins Rennen gegangen. Das Resultat war ein Aussetzer bei einer öffentlichen Fernsehdebatte, von dem er sich bis heute nicht erholen konnte. Dieses Jahr kam seine Kampagne gar nicht erst in Schwung.

Der zweite Aussteiger war eine Überraschung: Scott Walker, der erzkonservative Gouverneur von Wisconsin, eines so genannten „swing state“, in dem unklar ist, ob Republikaner oder Demokraten die Mehrheit gewinnen werden. Walkers Mythos war darauf gegründet, dass er in seinem Heimatstaat das vermeintliche Kartell der mächtigen Gewerkschaften gezähmt hat. In ihm meinten die republikanischen Parteiältesten ihren Heiland gefunden zu haben, einen fotogenen Staatsmann, der links und rechts für sich einnehmen kann und dabei auch ein linientreuer Konservativer ist.

Mit Fassungslosigkeit schaute das Establishment zu, wie Walker binnen weniger Wochen implodierte. Den „Islamischen Staat“ verglich er in seiner Kampagne mit den Gewerkschaften, überhaupt verglich er alles mit den Gewerkschaften – er hatte kein anderes Thema zu bieten, verlor Popularität und Spender. Nur selten in der amerikanischen Geschichte ist ein Politiker, der vor nur zwei Monaten als Favorit gelten konnte, so rapide abgeschmiert. In seiner Rückzugsrede sprach er davon, dass er nun dadurch „führen“ wolle, dass er das Feld anderen Kandidaten überlasse.

Jeb Bush ist der einzige 
republikanische Präsident-schaftskandidat, der ein durchdachtes Programm zum Thema Migration vorzuweisen hat.

Ganz anders dagegen hält es Marco Rubio, ein Senator aus Florida. Dieser möchte paradoxerweise in den Meinungsumfragen gar nicht vorne liegen, vermutlich weil er weiß, dass zu viel Bekanntheit auch immer eine Gegenreaktion nach sich zieht. Sein Wahlkampfapparat ist überschaubar und diszipliniert, eisern hält man an der eigenen Strategie fest. Einen naheliegenden Pfad zur Nominierung gibt es für Rubio nicht, er ist weder bei den Wertkonservativen noch bei den „Tea Party“-Leuten und auch nicht beim Establishment die erste Wahl. Er scheint es darauf anzulegen, sich langsam, aber sicher bei allen Gruppen zu bewähren.

Rubio sieht sich als das junge Gesicht der Partei, als einer, der die Republikaner auch jenseits der Stammwählerschaft populär machen kann. Bei Latinos beispielsweise, bei Jungen, bei Frauen – immerhin identifizieren sich heute nur noch 24 Prozent der US-Bevölkerung als Republikaner. Doch Rubio ist nicht nur im Herzen ein knallharter Tea-Party-Konservativer, er bringt auch einige bizarre Vorschläge mit ins Rennen. So schlägt er vor, um den Kosten der höheren Bildung Herr zu werden, Studenten sollen sich in der Wirtschaft „private Investoren“ suchen, die ihnen das Studium bezahlen und denen sie dann anschließend über Jahrzehnte hinweg Teile ihres Gehalts aushändigen. Sein Buch „American Dreams“ ist voll von solchen Ideen.

Im Vergleich dazu wirkt sein ehemaliger politischer Ziehvater, Jeb Bush, geradezu moderat, und gemessen an der heutigen republikanischen Partei ist er das auch. Doch auch Bush schwächelt in den Umfragen. Er selbst verglich sich bei dem Rennen ums Weiße Haus mit einer „fröhlichen Schildkröte“, frei nach der Fabel „Die Schildkröte und der Hase“. Wir erinnern uns: Der Hase verausgabt sich viel zu früh und bleibt schnaufend zurück, doch die Schildkröte trippelt tapfer weiter bis ans Ziel.

Der Vergleich hinkt ein wenig, denn wenn man Bush wirklich mit einer Schildkröte vergleichen will, dann wohl nicht mit einer fröhlichen. Bei seinen Wahlveranstaltungen wirkt der ehemalige Gouverneur von Florida höchstens abgezehrt. Der Kandidat schwadroniert lustlos vor sich hin und lässt die Arme hängen, die Zuhörer sitzen mit starrem Blick da und bemühen sich, vor den Kameras nicht einzuschlafen.

Im Vergleich dazu wirken die Wahlkampfveranstaltungen Donald Trumps wie eine einzige große Party. Die Menschen kreischen, die Musik kracht, es wird gefeiert und gelacht: Trump ist der Ballermann-Kandidat, der gewiss nicht als erster mit einer seltsamen Mischung aus krudem Nationalismus („Die Ausländer sind unser Untergang!“) und Sozialpopulismus („Die Banken sind unser Untergang!“) die Massen bewegt. Und wie er sie bewegt! Wenn Trump mit seinem Helikopter vom Himmel kommt und dann 90 Minuten über sich selbst redet, wird gejohlt und getobt: „Danke, Jesus, für Präsident Trump“, hatte kürzlich eine Dame auf ein selbstgemachtes Plakat geschrieben. So nimmt er den anderen Kandidaten den Wind aus den Segeln.

Schade für Bush, der als einziger republikanischer Präsidentschaftskandidat ein durchdachtes Programm zum Thema Migration vorzuweisen hat – zwar will er verschärfte Einwanderungsquoten und Grenzkontrollen, aber er will auch einen Weg für die elf Millionen bereits im Lande anwesenden illegalen Einwanderer ebnen, damit diese einen rechtlichen Status erlangen können. Keine Staatsbürgerschaft, aber immerhin eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung.

Doch das geht den Rechten seiner Partei – den Trump-Fans – zu weit. Sie wollen lieber eine riesige Mauer zwischen den USA und Mexiko und überlegen, wie die Deportation von Millionen von Menschen wohl ablaufen könne. Das kommt an. Obwohl Trump so gut wie keine Chance hat, zum Kandidaten seiner Partei zu werden, liegt er in den Umfragen noch immer vorn. Dadurch werden die anderen Kandidaten gezwungen, ihn zu bekämpfen, und das kostet Geld und Zeit. Dabei hätte alles so schön werden sollen. Doch statt gemeinsam gegen Hillary Clinton zu marschieren, zerfleischen sich die Republikaner erstmal selbst.

Clinton kann davon nur profitieren, denn sie ist momentan in einer Negativ-Schleife gefangen: Seit der E-Mail-Affäre, bei der es im Wesentlichen darum geht, dass sie als Außenministerin berufliche E-Mails von einem privaten Server gesendet hat, berichten die Medien am liebsten über ihre sinkenden Umfragewerte, mit dem Resultat, dass diese noch weiter sinken. Die Wechselbeziehung zwischen schlechter Presse und schlechten Umfragen ist eindeutig. Das geht schon seit Wochen so, und es ist kein Ende in Sicht. Clintons politisches Programm geht in dem Tumult unter. Aber das scheint keinen zu interessieren. Viel lustiger ist das Pferderennen an sich. Und vor allem Trump. Die Medien lieben Trump, weil der immer so ulkige Sachen sagt.

Eine, die ihm ansatzweise Paroli bieten konnte, ist ausgerechnet Carly Fiorina, das zweite enfant terrible unter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Die ehemalige Vorstandsvorsitzende von Hewlett-Packard hat den Konzern von 1999 bis 2005 mit ihrer schlecht durchdachten Firmenpolitik an den Rand des Ruins getrieben, 30.000 Angestellte wurden entlassen, die Aktie fiel und man wollte Fiorina nur noch loswerden. Das brachte ihr dann noch mal 21 Millionen Dollar Abfindung.

Im Jahr 2010 hat sie einen geradezu peinlichen Wahlkampf für den kalifornischen Sitz im US-Senat geführt und die Wahl katastrophal verloren, nachdem sich herausgestellt hat, dass sie selbst in ihrem bisherigen Leben so gut wie nie wählen gegangen ist. Doch jetzt präsentiert sie sich gekonnt als die amerikanische Margaret Thatcher – kompromisslos und scharfzüngig. Für sie ist es von Vorteil, dass sie noch nie ein politisches Amt innehatte, denn so muss sie sich nicht wie Clinton an der Realität messen lassen.

Fiorina wies sogar Trump effektiv in die Schranken, und dann konnte sie die konservativen Wähler noch mit einer leidenschaftlichen Rede zu den Übeln der Abtreibung für sich einnehmen. Sie sprach eloquent über ein verstörendes Video aus einer Abtreibungsklinik, das sie angeblich gesehen hatte – von einem noch strampelnden Fötus, dessen Gehirn die Ärzte am Leben lassen wollten, um es verkaufen zu können, war die Rede. Dumm nur, dass das von ihr in aller Härte beschriebene Video gar nicht existiert, die Kandidatin hat lediglich etwas verwechselt. Dennoch kam ihr Plädoyer bei den Konservativen gut an. Gleichwohl könnte ihr Engagement zu diesem Thema später noch zum Problem werden, denn Umfrageergebnisse zur Abtreibung sind zwiespältig: Sehr viele Amerikaner – und vor allem Amerikanerinnen – wollen an dem Recht darauf nicht rütteln.

Noch ist es in den Vorwahlen zu früh, um sich auf konkrete Ideen festzulegen. Vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Immerhin beweist Trump, dass auch ein völlig sinnentleerter Wahlkampf Früchte tragen kann. Zumindest eine Weile lang. Die Unterschiede zu 2008 liegen klar auf der Hand. Damals, im Zeichen einer echten Krise, war es das Prinzip Hoffnung, das den Wahlausgang bestimmte. Jetzt ist von Hoffnung nichts zu spüren. Der Wahlkampf 2016 wird vor allem eines – negativ. Das siegreiche Pferd wird vermutlich nicht in stolzem Galopp den Sieg an sich reißen, sondern schnaufend über die Ziellinie trotten. Nicht das schönste und schnellste Tier wird gewinnen, sondern das am wenigsten lahmende.

Emanuel Bergmann berichtet für die Wochenzeitung „Jungle World“ mit der die woxx seit vielen Jahren zusammenarbeitet, aus den USA.

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