Verfassungsreform: Erst zu Sankt-Nimmerlein?

Die Verfassungskommission arbeitet die einzelnen Punkte der „großen Verfassungsreform“ fleißig ab, doch zu Ende bringen wird sie ihr Werk in dieser Legislatur nicht mehr.

Glaubt man den Aussagen einiger Mitglieder der Verfassungskommission der Chamber, hätte die große Verfassungsgreform – die schon 1999 begonnen wurde – noch unter Federführung der gegenwärtigen Regierung in erster Lesung verabschiedet werden können.

Der von der blau-rot-grünen Regierung gehegte Wunsch, die Abstimmung und ebenso das darauffolgende Referendum noch innerhalb der aktuellen Legislatur über die Bühne zu bringen, hat sich allerdings als illusionär erwiesen. Und zwar spätestens, seit eine durch überwältigende Umfragewerte gestärkte CSV ihre Weigerung kundgetan hat, sich vor den Wahlen an einer Abstimmung über die Verfassungsreform überhaupt zu beteiligen.

Jetzt könnte ausgerechnet der Wahlausgang dazu führen, dass das gemeinsam geschnürte Paket noch einmal aufgemacht wird.

Dass die Verfassungsreform, die ja in ihren Kernteilen von vier aufeinanderfolgenden Koalitionen mit den unterschiedlichsten Farbkonstellationen mitgetragen wurde, am Ende zwar spruchreif ist, aber nicht verabschiedet wird, darf als eine der großen Pannen der aktuellen Koalition gewertet werden. Schuld ist das unnötige und vor allem schlecht kommunizierte konsultative Verfassungs-Referendum aus dem Jahre 2015. Das hat zwar der CSV Auftrieb gegeben, aber nicht unbedingt deren Mut gefördert, dem Wahlvolk einige unumgängliche Reformen zuzumuten.

Dass diese notwendig sind, ist zwar in der politischen Klasse weitgehend unumstritten – und sie reichen von Integrationsfragen bis zur Funktion des Großherzogs – doch hat der Triumph der „Nein“-Sager*innen, die ja beim 2015er-Referendum gut 80 Prozent verbuchen konnten, gerade bei den Verfassungsspezialist*innen der CSV nicht unbedingt für Zuversicht gesorgt. Denn ein bisschen von all dem, was Blau-Rot-Grün mit dem Referendum durchboxen wollte, war ja in den bereits gemeinsam akzeptierten Reformvorschlägen enthalten – nur eben nicht so weitgehend. Aber vielleicht schon zu weitgehend für das CSV-nahe Stammpublikum?

Reformer*innen und Traditiona-list*innen in der CSV scheinen sich jedoch einig in der Überzeugung zu sein, dass es nur unter ihrer Federführung gelingen wird, die längst überfällige Verfassungsreform zum Erfolg zu führen.

Unklar ist allerdings, ob es bei dem bis jetzt getroffenen Minimalkonsens bleiben wird. Eine Abstimmung in der Chamber vor dem Wahltermin im Oktober hätte die CSV verpflichtet, zu den bislang einvernehmlich formulierten Reformpunkten zu stehen.

Jetzt könnte ausgerechnet der Wahlausgang im Oktober dazu führen, dass das gemeinsam geschnürte Paket noch einmal aufgemacht wird. Wie effizient auch bei der Luxemburger Bevölkerung in Verfassungsfragen mit populistischen Parolen operiert werden kann, hat das im Kontext des Referendums entstandene Komitee gezeigt, das ja aus seinem Ehrgeiz, an den Wahlen teilzunehmen, kein Hehl macht.

So könnte durchaus passieren, dass der Oktober-Wahlkampf ungewollt zu einem Referendumswahlkampf wird. Die geschlossen auftretenden Gegner*innen der Konsens-Reform könnten erreichen, dass so manche etablierten Politiker*innen kalte Füße bekommen. Nicht ausgeschlossen, dass die darauf folgenden elektoralen Zugeständnisse einen kleineren oder auch größeren politischen Scherbenhaufen verursachen und die Abstimmung über die neue Verfassung noch weiter verzögern oder gar gänzlich gefährden.

Während es eigentlich einen Bedarf gäbe, die Reform weiterzutreiben – etwa beim Eigentumsrecht, das in seiner jetzigen Absolutheit die Bevölkerung in Besitzende und Nicht-Besitzende zu teilen droht –, wird der Ausgang der Wahlen und ihr Ausschlag nach rechts darüber entscheiden, wieviel überhaupt noch von der Verfassungsreform hinübergerettet werden kann.


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