Windkraft-Technologie
: Strom aus 600 Metern Höhe

Mobil einsetzbare Flugwindkraft-
werke sind eine realistische und sinnvolle Alternative zu herkömmlichen erdgebundenen Windkraftanlagen.

Windrad, Twing-Drohne und Solaranlage – der visuelle Abdruck im Vergleich. (Quelle: Twingtec)

Der Ausbau der Windenergie in Europa geht voran. Ende letzten Jahres waren Onshore-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 178.000 Megawatt installiert. Allein 2017 kamen neue Windkapazitäten von 16.800 Megawatt dazu. Die Dimensionen werden immer gewaltiger. So entsteht in Nordschweden gerade der größte Onshore-Windpark Europas. In der Gegend westlich der Stadt Pitea leben wenig Menschen, dafür gibt es ordentlich Wind. Insgesamt 179 Turbinen von 3,6 Megawatt sind hier im Bau. Sie stehen auf einer Fläche von 450 Quadratkilometern. „Markbygden“, so der Name des Windparks, kommt auf eine Leistung von rund 650 Megawatt und soll 10 Terawattstunden Strom jährlich produzieren. Damit käme die Anlage laut Betreiber auf fast 7 Prozent der elektrischen Produktion ganz Schwedens.

Bei erdgebundenen Anlagen wie „Markbygden“ findet die Windenergieerzeugung in Bodennähe unterhalb von 200 Metern statt. Es geht aber auch anders. Eine Alternative zu erdgebundenen Windkraftanlagen, die hohe Materialkosten haben und viel Platz wegnehmen, sind Flugwindkraftwerke. In mehreren Ländern erprobt man die Technik, in den USA, in den Niederlanden, in Deutschland. Zwei Schweizer Unternehmer nähern sich dem Start in den kommerziellen Betrieb.

Kleine grüne Flugobjekte

Das Zürcher Unternehmen Twingtec hat eine fliegende Windkraftanlage entwickelt. Die besteht aus einer Drohne mit 15 Metern Spannweite, die an ein Segelflugzeug erinnert. Ihre Aufgabe ist es, Windenergie in bis zu 300 Metern Höhe zu „ernten“. Dafür treibt die Drohne über eine Seilwinde einen Generator an, der am Boden in einem Container untergebracht ist. Der Generator produziert den Strom. Flaut der Wind ab, landet die Drohne automatisch auf dem Containerdach. Das erste Twingtec-Produkt, TT100, hat eine Leistung von 100 Kilowatt.

Der Firmengründer Rolf Luchsinger erklärt die Vorteile: „Für unser System braucht man keinen Turm und keine Fundamente. Zudem spart es bis zu 95 Prozent des Materials einer Windturbine.“ Hinzu kommt die Mobilität. Die Anlage lässt sich ohne riesige Kräne aufzustellen. Schließlich die Effizienz: Der „Twing” – der Name ist abgeleitet von tethered wing, angebundener Flügel – kann in Höhen fliegen, wo die Leistungsdichte des Windes größer ist als in Bodennähe. Luchsingers unternehmerischer Fokus liegt auf Off-grid-Märkten ohne Netzanschluss, wo Strom mit Dieselgeneratoren zu hohen Kosten produziert wird. „Weltweit verbrennen wir jedes Jahr Diesel im Wert von 50 Milliarden US-Dollar, um an abgelegenen Orten Strom zu erzeugen.“ Diese Orte soll TT100 für die Windenergieerzeugung erschließen, denn Windturbinen wären dort nicht wirtschaftlich. Airborne Wind Energy (AWE), wie der Überbegriff für die Flugwindenergietechnik lautet, dagegen schon.

In Kanada verhandelt Luchsinger derzeit mit Minenbetreibern und abgelegenen Siedlungen über die ersten kommerziellen Projekte. Ein weiterer möglicher Markt ist Australien. Twingtecs mobile Kleinanlage reduziert mittelfristig die Gestehungskosten und verbessert die Ökobilanz der Windkraft, so Luchsinger. Nächstes Jahr soll eine 10-Kilowatt-Pilotanlage in der Schweiz in Betrieb gehen. Das System hat das Zeug, den Alpenraum mit großen Megawatt-Anlagen für die Windkraft zu erschließen, meint Luchsinger. „Für den Transport und die Installation braucht es wenig Infrastruktur, die Windverhältnisse an vielen Orten in den Alpen sind sehr gut.“ Auch off-shore im tiefen Wasser könnten die Flugwindkraftwerke, auf schwimmenden Plattformen installiert, zum Einsatz kommen. Luchsinger: „Damit würden wir auch die Meere, die 70 Prozent der Erdoberfläche ausmachen, für die Windenergiegewinnung erschließen. Ein enormes Potenzial für nachhaltige Energie, das heute noch nicht genutzt werden kann.“

Die Skypull-Drohne beim Testflug. (Quelle: Skypull)

Fliegender Riesen-Jo-Jo

Rauf und wieder runter und wieder rauf, wie bei einem Jo-Jo. So bewegt sich die Drohne des Tessiner Unternehmens Skypull durch die Luft. Sie erreicht Höhen von bis zu 600 Metern. Auch hier ist es ein Seil, das die Drohne mit einem Generator am Boden verbindet. Der Generator wandelt die mechanische Energie, die beim Abrollen des Zugseils erzeugt wird, in Strom um. Ist das Seil ganz abgerollt, leitet die Drohne einen kontrollierten Sturzflug ein. Danach geht es wieder im Gleitmodus nach oben. Seit Oktober laufen die Tests für den „proof of concept“. Hier arbeitet man mit dem Tessiner Elektrizitätsunternehmen Azienda Elettrica Massagno zusammen. Der strenge Winter brachte Verzögerungen. „Wir testen in den Bergen auf 1.600 Metern Höhe“, so Chief Executive Officer Nicola Mona. „Da lag im April noch ein Meter Schnee.“ Ende Mai wurden die Tests nun abgeschlossen, und es folgt die Produktion des Prototypen. In zwei Jahren soll es ein marktreifes Produkt geben.

Was bedeuten Höhen bis 600 Meter für die Stromerzeugung? „Das sind alles noch theoretische Berechnungen, weil noch kein System im Einsatz ist“, antwortet Mona. „Aber angenommen, die Drohne fliegt in 400 Metern Höhe. Dort ist die Energiedichte viermal höher als auf 100 Metern am gleichen Ort. Bewegen wir uns konstant auf 400 Metern, hätten wir am Ende doppelt so viel Energie als bei leistungsäquivalenten Windturbinen.“ Wegen des Jo-Jo-Prinzips gibt es Einbußen, der Ertrag ist dennoch besser.

Völlig losgelöst von der Erde …

Zwei Ausführungen sind geplant. Die kleine Drohne mit 6 Metern Spannweite ist für die off-grid-Nutzung gedacht. Hier kämen abgelegene Regionen, Katastrophengebiete oder wissenschaftliche Projekte in Frage. Die Nominalleistung beträgt 60 bis 100 Kilowatt. Das große System mit 17 Metern Spannweite kommt auf 1 Megawatt Leistung und bietet sich für größere Elektrizitätsunternehmen an. Erstmärkte für Skypull sind Länder mit hohem Energiebedarf, „wo die Regulierungen mehr Spielraum erlauben“. Es laufen Gespräche mit einer südostasiatischen Firma. Natürlich soll die Drohne auch in der Schweiz fliegen.

Mona sieht AWE als Lösung für die Windenergie schlechthin. Einmal aus logistischen Gründen: „Schauen Sie auf die Landkarte. Nicht so viele Schweizer Orte sind geeignet für erdgebundene Windturbinen. Die Zufahrt in die Berge funktioniert oft nicht.“ Zweiter Grund: An vielen Standorten weht zu wenig Wind. „Der Betrieb von Windturbinen ist dort ökonomisch unsinnig.“ AWE löse das Problem, denn weit oben wird das „Ernten“ der Windenergie plötzlich wirtschaftlich. „Unsere Simulationen zeigen, dass wir im Vergleich zu konventionellen Windturbinen am gleichen Ort den Strom um bis zur Hälfte billiger produzieren könnten.“ Zudem lässt sich der Strom nah am Endnutzer erzeugen.

Und die Akzeptanz? Mona hofft, dass die Bevölkerung seine mobile Kleinanlage gut findet. Es gibt ja bekanntlich das Not-in-my-backyard-Phänomen: Die Menschen befürworten zwar grüne Energie, aber die Anlagen sollen bitte nicht direkt vor ihrer Haustür stehen. Bei Skypull sei der „visuelle Abdruck“ minimal. Am Boden braucht es nur einen Standardcontainer, 6 bis 12 Meter lang. Die Drohne in Hunderten Meter Höhe bleibt so gut wie unsichtbar.


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