50 Jahre Mondlandungen: Kältefallen voller Rätsel

Keine Mondmission gleicht der anderen. Indiens Raumsonde soll am unerforschten Südpol neue Erkenntnisse gewinnen. Beim zweiten Wettlauf zum Mond geht es um den Ursprung des Mondes und die Zukunft der Raumfahrt.

Bereit für Indiens erste Mondlandung: Die Trägerrakete GSLV Mk-III auf dem Weg zur Startplattform. (Copyright ISRO, authorized reproduction)

Am 20. Juli 1969, kurz nach 9 Uhr abends mitteleuropäischer Zeit, setzte die Landefähre Eagle in der Tiefebene Mare Tranquillitatis auf, dem Meer der Ruhe. Sechs Stunden später, gegen 3 Uhr morgens am 21. Juni 1969, betrat der US-Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. In diesem Jahr, in dem sich die Apollo-11-Landung zum 50. Mal jährt, herrscht dort oben wieder einiger wissenschaftlicher Betrieb. Zuerst landeten die Chinesen im Januar auf der Rückseite des Mondes. Danach versuchten es die Israelis, deren Sonde aber zerschellte. Nun folgen die Inder, die eine ganz unbekannte Gegend untersuchen wollen.

Geplantes Startdatum für die indische Raumsonde Chandrayaan-2 war der 15. Juli, fast genau 50 Jahre nach dem Start der Apollo-11-Mission. Doch ein in letzter Minute entdeckter Fehler in einem der Systeme führte zum vorläufigen Abbruch der Mission. Laut dem Magazin „India today“ könnte ein zweiter Versuch Ende des Monats erfolgen. Danach kommt eine für einen Abflug günstige Konstellation von Erde und Mond erst im September zustande.

Der Mond, ein Stück Erde?

Eigentlich sollte das Landemodul am 6. oder 7. September, zum Beginn des langen Mondtages, in einer Region aufsetzen, die bisher noch nie jemand besucht hat: dem Gebiet um den Südpol. Vier Stunden nach der Landung im ebenen Gelände zwischen den Kratern Simpelius und Manzinus sollte ein kleines Mondfahrzeug seine Erkundungsfahrten beginnen.

Es ist Indiens zweite Mondmission, aber die erste Landung. Warum ausgerechnet am Südpol? Die Inder wollen Hinweise darauf finden, wie der Erdtrabant entstanden ist. Einer Theorie nach soll er vor rund 4,5 Milliarden Jahren durch einen Asteroideneinschlag aus der Erde herausgehauen worden sein. Die Oberflächenproben, wie sie vor Jahrzehnten die Apollo-Missionen sammelten, können das aber nicht genau belegen. Denn Mondgestein von der Oberfläche ist stark verändertes Material, das mehrmals aufgeschmolzen wurde. Auch beim Abkühlen hat es sich verändert. Schwierig, daraus auf die Kinderstube des Mondes zu schließen. Proben aus dem Mondinnern wären viel aufschlussreicher, nur ist es technisch äußerst schwierig, ein tiefes Loch in den Mondboden zu bohren.

Daher das Landegebiet Südpol. Da ist Bohren nicht nötig, weil es überall riesige Krater gibt, die Meteoriten- und Asteroideneinschläge vor Milliarden Jahren verursachten. Ein Aufprall war besonders heftig. Dabei entstand ein Krater mit 2.000 Kilometern Durchmesser. Sogar die Mondkruste wurde durchbrochen. Ein wissenschaftlich hochinteressantes Objekt, findet Ralf Jaumann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt: „In der Mitte dieses Beckens wird Material aus dem Mondinneren vermutet. Gestein, das geochemisch weit in die Mondvergangenheit zurückblicken lässt.“

Die Quelle des Wassers

Nicht der einzige Grund, die Krater am Südpol zu analysieren. Dort unten lagern auch große Mengen gefrorenen Wassers, sogenanntes Wassereis. Asteroiden und Kometen haben es einst mitgebracht, als sie auf dem Mond zerschellten. Eigentlich ist es auf dem Mond bei tagsüber 120 Grad Celsius zu heiß für Wasser. Doch nicht in den Einschlagskratern, so Jaumann. „In die kommt seit über 4 Milliarden Jahren kein einziger Sonnenstrahl. Es herrschen permanent minus 200 Grad Celsius. Damit sind diese Löcher perfekte Kältefallen: Jedes Wassermolekül, das dahingelangt, wird eingefroren.“

Wobei Wasser grundsätzlich nicht gleich Wasser ist, es gibt schweres und leichtes. Bei leichtem Wasser, H2O, bilden zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom das Wassermolekül. Das viel seltenere schwere Wasser dagegen hat keine „normalen“ Wasserstoffatome, sondern die sogenannte Isotopenvariante Deuterium. Chemisch ausgedrückt: D2O. Während bei Wasserstoff (H) der Atomkern aus einem einzigen Proton besteht, kommt bei Deuterium (D) ein Neutron hinzu. Dadurch ist D2O etwa doppelt so schwer wie H2O. Fragt sich nun, wie H und D im lunaren Wassereis verteilt sind.

Das könnte eine grundlegende Frage beantworten: Wie kam einst Wasser auf unsere Erde? Jaumann erklärt den Zusammenhang: „Wir kennen das Deuterium-Wasserstoff-Verhältnis in den Ozeanen der Erde. Wir kennen es auch in der Sonne und den Gasplaneten Jupiter und Saturn – dort ist das Verhältnis aber anders als auf der Erde. Die meisten Kometen und auch die Eismonde passen genauso wenig. Bleiben die kalten Eis-Asteroiden. Die haben vermutlich in der frühen Phase der Planetenentwicklung Erde und Mond getroffen. Auf der Erde sind die Spuren nicht mehr erhalten – im Eis in den Mondkratern schon.“

Treibstoff aus Mondgestein

Wie viel Wassereis dort lagert, lässt sich nur schätzen. Man geht davon aus, dass die Vorkommen der Füllmenge des Bodensees entsprechen, 50 Billionen Liter. Der Mond verfügt also über ziemlich viel gefrorenes Wasser. Ließe es sich für kommende längere Mondaufenthalte nutzen? Zum Beispiel als Trinkwasserreservoir auf dem sonst staubtrockenen Mond? Jaumann weist darauf hin, dass es sich beim Südpol, wo die Vorkommen liegen, um eine Hochgebirgslandschaft handelt. Sie hat Alpencharakter, an manchen Stellen geht es in Richtung Himalaya. Schwer zugänglich also. „Zwar ist auf dem Mond grundsätzlich nichts einfach, aber der Abbau von Wassereis wäre da schon sehr aufwendig.“ In den Kratern müssten Pipelines gelegt werden. Auch als Treibstoff ließe sich das Wassereis nutzen, etwa für mögliche Weiterflüge zum Mars. Gedankenspiele dieser Art gab es schon. Doch da gilt ebenfalls: Die logistischen Probleme wären groß.

Jaumann hat eine einfachere Lösung parat. Auf dem Mond sorgten nicht nur Einschläge für die Existenz von Wasser. Es kommt dort auch zu „spontaner Wasserbildung“. Und das liegt daran, dass der Mond kein schützendes Magnetfeld hat wie die Erde. Wasserstoffprotonen und interplanetarer Staub sausen mit hoher Geschwindigkeit heran. Die Wasserstoffprotonen bleiben im Mondstaub hängen und die interplanetaren Partikel treffen die Minerale im Mondgestein und schmelzen sie auf. Dabei werden die Gesteinsbestandteile freigesetzt: Aluminium, Silizium, Magnesium – und Sauerstoff. Die Sauerstoffatome verbinden sich mit Wasserstoffatomen im Mondstaub zu Wassermolekülen.

„Das alles passiert an der Tag-Nacht-Grenze“, sagt Jaumann. Dann, wenn die Temperaturen für kurze Zeit gemäßigt sind. Der Mond zeigt uns also, wie es geht: Gestein aufschmelzen, die Sauerstoffatome herauslösen und den Wasserstoff aus dem Mondboden herausfiltern. Das wäre viel unkomplizierter als das Wassereis aus den Kratern zu holen.

Indien, China … und die USA

Zuletzt im Jahr 1972 setzte ein Astronaut, der US-Amerikaner Eugene Cernan, im Rahmen von Apollo 17 einen Fuß auf die Mondoberfläche. Seitdem wurden nur noch unbemannte Missionen losgeschickt. Ist der nächste Mondbegeher ein Taikonaut (von Taikong, chinesisch für Weltraum)? Peking plant für 2030 eine bemannte Mondmission. Jaumann traut es den Chinesen zu: „Sie haben ein eigenes Mondprogramm und sind sehr ehrgeizig. Eine Mondstation bauen sie aber sicher nicht so schnell. Die Mission wird eher Apollo-Charakter haben.“

Wie bei den Apollo-Missionen kommt nur der Streifen 30 Grad nördlich und südlich des Mondäquators als Landeplatz in Frage. Der Anflug an den Polen wäre zu schwierig. Hinzu kommt das schmale Zeitfenster für bemannte Mondmissionen, an dem sich auch grundsätzlich nichts geändert hat. „Auf der erdzugewandten Seite scheint nur 14 Tage lang die Sonne, dann erst wieder zwei Wochen später“, so Jaumann. Die lange, kalte Mondnacht würde die Versorgung der Photovoltaikmodule des Raumfahrzeugs mit Sonnenenergie kappen. Daher bleiben Mondaufenthalte in nächster Zukunft wohl auf zwei Wochen begrenzt.

Auch die USA könnten, nach 50 Jahren Pause bei den Mondlandungen, wieder ins Rennen einsteigen. Vizepräsident Pence forderte die NASA auf, bis 2024 wieder einen Amerikaner oder eine Amerikanerin auf den Mond zu bringen. 2024 wäre das letzte volle Amtsjahr Trumps, sollte er wiedergewählt werden. „Alles eine Frage des Geldes“, kommentiert Jaumann, der nicht glaubt, dass in fünf Jahren eine bemannte US-Mission zum Mond bereit ist. Andererseits: Kennedy versprach 1961, innerhalb einer Dekade einen US-Astronauten auf dem Mond. Es dauerte dann nur acht Jahre bis Apollo 11.

Objekt der Begierde

(lm) – Beim sich abzeichnenden zweiten Wettlauf zum Mond geht es um mehr als wissenschaftliche Erkenntnisse und nationales Prestige. Der Zugriff auf Wasser, das als Treibstoff genutzt werden kann, wird heute von den meisten Expert*innen als der entscheidende Faktor für die Entwicklung der „lunar economy“ angesehen. Dabei geht es nicht nur um Stützpunkte und Bergwerke auf dem Mond, sondern um alle Aktivitäten, die in Erdnähe möglich sind, insbesondere den Zugriff auf Asteroiden, deren Umlaufbahn nahe am Erdorbit verläuft. Die Mond-Ökonomie war eines der Hauptthemen der Veranstaltung „NewSpace Europe“ im November 2018 in Luxemburg (siehe insbesondere den Online-woxx-Beitrag „Lune promise“). Das Großherzogtum plant zwar keine Mondmission und eine der hiesigen Pionierfirmen in diesem Bereich, Planetary Resources, scheiterte vergangenes Jahr an wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Dennoch könnte – auf der Basis des umstrittenen Luxemburger Raumfahrtgesetzes – der erste auf dem Mond abgesteckte Claim durchaus Eigentum einer im Großherzogtum eingetragenen Firma sein. Die meisten derzeit geplanten Mondmissionen gehen allerdings noch auf staatliche Agenturen zurück – ganz so einfach ist der Flug zum Mond nämlich immer noch nicht.


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