Zukunft durch Öko-Zerstörung?

Seit nicht mehr Multis, sondern ecuadorianische Unternehmen vom Bergbau im Amazonas-Gebiet profitieren sollen, bekämpft die Regierung von Raffel Correa jeden Widerstand gegen den Raubbau. Doch mit dem Nationalpark Yasuní ist auch die Existenz der dort lebenden Menschen massiv bedroht.

Kehraus für die Öko-Ausbeutung: Der Besen dient der Umweltbewegung der „Yasunidos“ als Symbol, den zerstörerischen Folgen des Bergbaus Einhalt zu gebieten.

Mit Trommeln, Transparenten und bunten Regenschirmen waren sie gekommen. Die einen riefen Parolen, andere sangen oder bliesen in große Muscheln. Es war eine laute, bunte Truppe aus Umweltschützern, Indigenen und Linken, die an diesem Tag im vergangenen April durch die Straßen der ecuadorianischen Hauptstadt Quito zog. In einem Transporter brachten sie weiße Kartons mit, gefüllt mit Zetteln, auf denen zahlreiche Namen zu lesen waren. Über 750.000 Unterschriften hatten sie im letzten halben Jahr gesammelt, eine Dreiviertel Millionen Stimmen gegen die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds. Die Listen übergaben die „Yasunidos“, wie sie ihre Bewegung nennen, dem Nationalen Wahlrat.

Nun, so hofften die Demonstranten, werde eine Volksbefragung entscheiden, ob im Nationalpark Yasuní Öl gefördert werden soll. So jedenfalls sieht es die Verfassung Ecuadors vor. Fünf Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung, also 600.000 Menschen, müssen die Petition unterzeichnen, damit ein Referendum durchgeführt wird. Für die meist jungen Aktivistinnen und Aktivisten hat die 2008 in einer Volksabstimmung bestätigte Verfassung große Bedeutung. „Viele sind mit ihr groß geworden“, erklärt David Suárez, der sich mit seinen 34 Jahren zur älteren Generation der Bewegung zählt. Die Konstitution sollte garantieren, dass die indigene Bevölkerung, die 40 Prozent der ecuadorianischen Population ausmacht, zu ihrem Recht kommt, die Demokratie vertieft wird und ein neuer Umgang mit der Natur entsteht.

Hemmungslos polemisiert Correa gegen „vom Ausland finanzierte Yasunidos“, „infantile Indigene“ oder „Ökoterroristen“.

Mittlerweile sind einige Monate vergangen, seit Suárez und seine Leute die Kartons abgegeben haben. Der Soziologe sitzt im Hof der „Ökologischen Aktion“, einer Art Hauptquartier der Yasunidos, und nimmt einen Anruf nach dem anderen entgegen. An den Wänden hängen Besen aus Mexiko, China, Südafrika. Sie sollen dazu animieren, die Welt von der giftigen Ölförderung und dem die Umwelt zerstörenden Bergbau zu befreien. Doch derzeit sieht es nicht gut aus mit dem Reinemachen. Der Wahlrat kritisierte Formfehler sowie vermeintlich mehrfach abgegebene Unterschriften und erklärte fast die Hälfte der Stimmen für ungültig. Mehrere unabhängige Untersuchungen kamen zu einem anderen Ergebnis, eine Kommission der Polytechnischen Universität spricht von einer Abweichung von maximal fünf bis sechs Prozent. Doch der Wahlrat bleibt dabei: Es wird keine zweite Prüfung der Listen und kein Referendum über die Zukunft des Yasuní-Nationalparks geben. Suárez ist nicht erstaunt über das autoritäre Vorgehen: „Die Regierung will die Rohstoffausbeutung mit allen Mitteln durchsetzen.“

Früher war das anders: Auch Präsident Rafael Correa hatte sich die Ziele der Yasunidos auf die Fahnen geschrieben, als er – auch von Umweltschützern und Indigenen – 2007 zum Staatschef gewählt wurde. Seine „Bürgerrevolution“ unterstützte die indigene Philosophie des „Buen Vivir“, des „guten Lebens“, das sich an einem postmaterialistischen Leben in Einklang mit der Natur orientiert. Zudem wurde der Rohstoffabbau verstaatlicht. Geht es gegen internationale Konzerne, gibt sich Correa auch heute noch gerne als Umweltschützer und kritisiert, wie skrupellos der US-Ölkonzern Chevron-Texaco im Amazonas Millionen Hektar verseuchten Boden und unzählige Ölkloaken hinterlassen hat. Auch die mittlerweile gescheiterte „Yasuní-Initiative“ (siehe Kasten) erklärte er zu seiner Sache. Doch zugleich machte sich Correa zunehmend und unerbittlich dafür stark, dass der Verkauf der Bodenschätze zur dominanten Grundlage der Entwicklung des Landes wird. Widerspruch lässt er nicht gelten.

Wie das geht, demonstriert der als links angesehene Präsident eindrucksvoll in seiner samstäglichen Fernsehshow „Sabatina“. Im aufgeknöpften weißen Hemd beschwört er die Erfolge bei der Bildung oder im Gesundheitswesen. Die Notwendigkeit, Schulen und Krankenhäuser zu bauen, bezweifeln auch seine Kritiker nicht. Dass aber für viele Indigene nicht nur materieller Wohlstand, sondern auch ihr natürliches Umfeld einen Reichtum darstellt, weist Correa zurück: „Hier geht es nicht um Folklore, sondern um Armut und Elend.“ Von den sachlichen Argumenten geht der kampflustige Politiker dann zum Angriff auf seine Feinde über. Kritische Journalisten bezeichnet er etwa als „Meuchelmörder mit Tinte“, hemmungslos polemisiert er gegen „vom Ausland finanzierte Yasunidos“, „infantile Indigene“ oder „Ökoterroristen“.

Zu diesen Ökoterroristen zählt wohl auch Olga Curtíz aus der Gemeinde Junín im Nordwesten Ecuadors. Die 40jährige lebt ein paar hundert Meter außerhalb des Dorfes. Hier kümmert sie sich um ein Gästehaus, das Zimmer für Abenteuerurlauber bietet. Ökotourismus zwischen Bananenstauden, Orangenbäumen und Kaffeesträuchern, inmitten eines subtropischen Regenwaldes, der die Bergregion in ein grünes Paradies verzaubert. Mit einer Kooperative organisiert die alleinstehende Mutter das Ferienangebot. „Die Frauen halten das Haus sauber und sorgen für das Essen, die Männer begleiten die Touristen durch den Dschungel, zu den Flüssen und Wasserfällen“, erklärt Curtíz. Viel Geld verdient sie nicht, aber es reicht, um die drei Kinder über die Runden zu bringen. Und das ohne Hilfe des Vaters, der sich aus dem Staub gemacht hat.

Doch seit im Mai 300 Polizisten das Dorf besetzt haben, bleiben die Urlauber fern. Die Beamten schützen eine Gruppe von Mitarbeitern der staatlichen Bergbaufirma Enami. Die Techniker sind gekommen, um die Kupfervorkommen nahe des Dorfes zu prüfen. „Natürlich werden sie viel Kupfer finden“, ist Curtíz überzeugt. Schließlich hätten in den letzten 17 Jahren bereits ein japanisches und ein kanadisches Unternehmen erfolgreich Proben entnommen. Allerdings sind sie nicht weit gekommen: Die Bewohner vertrieben die bewaffnete Schutztruppe einer Firma, immer wieder blockierten sie die Arbeiten. Beide Unternehmen zogen sich zurück.

„Wenn man hier im offenen Tagebau Kupfer fördert, wird das Wasser verseucht, der Regenwald zerstört und viele der 70 Familien müssen ihr Land verlassen“, begründet Curtíz ihre unermüdliche Renitenz. Gegen die Zerstörung der Region in den nördlichen Ausläufern der Anden, die nach dem reißenden Fluss Intag benannt ist, haben Curtiz und ihre Leute Alternativen entwickelt: Kaffeekooperativen, Biolandbau, Ökotourismus. Sogar ein umfangreiches System dezentraler kleiner Wasserkraftwerke ist geplant. Unterstützt von internationalen Organisationen versuchen sie so, in den von Armut geprägten Dörfern eigenständige Perspektiven zu entwerfen. Doch die neuen Pläne der Regierung könnten diesen Ansätzen einen schweren Schlag versetzen. Rund 2,2 Millionen Tonnen des Metalls vermuten die Experten in der Gegend. Sollte Enami gemeinsam mit einer chilenischen Minenfirma das „Llurimagua-Projekt“ umsetzen, würde der Tagebau eine fast 5.000 Hektar große Bresche in den Regenwald schlagen. Das wäre das Aus für den Tourismus. Curtíz schüttelt den Kopf. „Und diese Regierung haben wir gewählt.“

Unten im Dorf ist die Stimmung angespannt, die Gemeinde ist gespalten. Zwar sind inzwischen viele der Beamten wieder abgezogen, doch rund um den Dorfplatz sitzen weiterhin Polizisten und Enami-Mitarbeiter auf den Terrassen einiger Häuser. Sie essen, trinken, spielen Karten. Nicht mehr alle Bewohner sind gegen den Bergbau, wie damals, als es gegen die Japaner und die Kanadier ging. Manche erhoffen sich, dass der Kupferabbau Arbeitsplätze schafft. Den Beamten und den Technikern bieten sie für ein paar Dollar Unterkunft und Verpflegung. Denn jeder Cent zählt in dem Dorf, aus dem so viele Söhne und Töchter nach Quito oder Spanien migrieren, weil ihnen Viehzucht und Obstanbau kein Auskommen garantieren.

Auch Olgas Bruder Oscar Curtíz hat lange in der Hauptstadt gearbeitet, vor ein paar Wochen ist er wieder nach Junín zurückgekehrt. In Quito war er als Türsteher tätig, um seine Frau und die Kinder durchzubringen. Nun sitzt er mit seiner kleinen Tochter auf dem Schoß unter einer Plane, die ein wenig Schutz vor der tropischen Mittagssonne bietet. Er ist froh, wieder hier zu sein. Früher war auch er ganz vorne mit dabei. Etwa als es galt, das Camp der Transnationalen niederzubrennen. Doch im Gegensatz zu seiner Schwester hofft er jetzt darauf, dass mit dem Bergbau Arbeitsplätze geschaffen werden. „Wir haben eine andere Regierung, jetzt geht der Erlös des Kupfers nicht ins Ausland, sondern kommt uns zu Gute“, meint der stämmige Mittdreißiger. Er vertraut auf Präsident Correa, der noch mehr Amazonas-Erdöl fördern und massiv Bergbau betreiben will, um Schulen, Straßen und Krankenhäuser zu finanzieren. Sicher werde Enami sauberer arbeiten als die internationalen Unternehmen, hofft er. „Unsere Kinder brauchen hier eine Zukunft.“

Und die Alternativprojekte? „Die Funktionäre der Umweltorganisationen haben nur ihren eigenen Geldbeutel gefüllt, und wir hatten nie etwas davon“, sagt er und zieht ein paar Blätter Papier aus der Tasche, die das beweisen sollen. Vom gescheiterten Bio-Anbau und den Lügen „radikaler Gruppen“ ist da zu lesen. Und davon, dass die Öko-Aktivisten nur an ihren Vorteil dächten, während sich Correa um den Wohlstand aller Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer sorge. Die Dokumente habe er von einem der Enami-Männer bekommen, erklärt Curtíz.

Also wohl von Mauricio Diaz León. Nur der Cheftechniker darf hier über die Arbeit seiner Firma reden. Diaz León, 38, sportlicher Körper, setzt gerne ein paar Runden beim Kartenspiel aus, um die Problematik zu erklären. „Seit Correa Präsident ist, hat sich das Land um 180 Grad gewandelt“, meint er. Dann blickt er auf die Jungen, die auf dem Platz Volleyball spielen: „Ich träume davon, dass all diese Jugendlichen eine gute Ausbildung genießen können.“ Díaz ist in einer armen Familie aufgewachsen, er kennt den täglichen Überlebenskampf und hatte die Chance, zu studieren. Jetzt, wo nicht mehr transnationale Konzerne die Ausbeutung der Bodenschätze kontrollierten, ist für ihn der Erdöl- oder Kupferexport ein Segen für das Land. Im technologischen Fortschritt steckt für ihn die Zukunft Ecuadors.

Auf Ausländer, die kritische Fragen stellen, ist Diaz nicht gut zu sprechen. Schließlich haben die Europäer Jahrhunderte lang die Bodenschätze Lateinamerikas ausgebeutet und sind noch heute Ecuadors größter Ölkunde. Im Gegensatz zu den Ländern Europas „können wir uns nicht den Luxus leisten, zu entscheiden, ob wir unsere Rohstoffe verkaufen“, glaubt er. Gruppen wie die Yasunidos oder die Rebellen hier in Intag, die das anders sehen, hält er für Romantiker. Wer Bananen oder Kaffee anbaue, greife ebenso in die Natur ein wie Minenunternehmen. Auch die Monokultur der Kleinbauern zerstöre den Boden. Zunächst gelte es, eine Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen, ist er überzeugt. Später dann könne man sich Gedanken über eine Einschränkung des Bergbaus machen. Wer diesem Entwicklungskonzept skeptisch gegenübersteht, ist für Diaz ein gefährlicher Feind des Volkes: „Die Umweltorganisationen haben nichts erreicht und kassieren viel Geld.“ Olga Curtíz und die anderen Aktivisten würden gezielt finanziert. Von wem Diaz lächelt wissend. „Das sind geheime Informationen unserer Firma.“ Geheimnis hin oder her, letztlich lässt er durchschimmern, wen er für die Hintermänner hält: ausländische, imperialistische Kräfte.

Die Rohstoff-Ausbeutung hat die strukturellen Ungleichheiten der ecuadorianischen Gesellschaft nicht verändert.

Sechs Stunden Autofahrt trennen Junín von Quito. Der Bus kämpft sich über vom Regen halb weggespülte Wege, passiert aber auch eine frisch asphaltierte Straße, an der große Schilder auf Erfolge der „Bürgerrevolution“ hinweisen: auf neue Brücken und Wohnungen. Luis Angel Saavedra von der in der Hauptstadt angesiedelten Menschenrechtsorganisation Inredh kann solchen Erfolgsmeldungen wenig abgewinnen. De facto kämen die wenigsten Einnahmen in von der Zerstörung betroffenen Gemeinden an. Vor allem aber kritisiert er, dass Correa zunehmend autoritäre Konzepte vergangener sozialistischer Regime aufgreife: „Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle.“ Dissidenten würden verfolgt, Medien kontrolliert. „Man will eine homogene Gesellschaft schaffen.“

Beispiele hat Saavedra genug. So verbot Correa im letzten Dezember die Organisation Pachamama, die sich gegen den Raubbau und für die Rechte der Indigenen einsetzte. „Die Mitarbeiter hatten nicht einmal die Möglichkeit, sich zu verteidigen“, sagt er. Friedliche Aktivisten würden wegen des Vorwurfs der Rebellion, der Sabotage und des Terrorismus angeklagt und mit bis zu zwölfjährigen Haftstrafen bedroht. So auch Javier Ramirez, der Gemeindevorsteher von Junín. Er sitzt seit April im Gefängnis, nachdem es bei Aktionen gegen die Enami-Arbeiten zu Rangeleien gekommen war. Eine unabhängige Justiz gebe es nicht, kritisiert Saavedra. „Wenn Correa bei seinen Sabatinas jemanden denunziert, kann es sein, dass dieser am Montag verhaftet wird.“ Auch der Wahlrat entscheide nach den Vorgaben des Staatschefs: „Der Präsident will kein Referendum über Yasuní und deshalb darf es kein Referendum geben.“

Dennoch bleiben die Yasunídos optimistisch. „Durch unsere Unterschriftensammlung haben wir viele Menschen erreicht“, sagt Aktivist Súarez. Dem antikapitalistischen Diskurs des Präsidenten traut er nicht. Die Rohstoffausbeutung habe zwar dafür gesorgt, den Wohlstand des Mittelstands zu garantieren, die strukturellen Ungleichheiten der Gesellschaft hätten sich jedoch überhaupt nicht verändert. „Auch Correa sorgt dafür, den internationalen Unternehmen den Zugang zu den Rohstoffen zu sichern“, kritisiert er. Dabei müsse es darum gehen, den Reichtum des Landes gerechter zu verteilen. Für Súarez steht außer Frage, dass es Alternativen zur Ausbeutung des schwarzen Goldes im Amazonas gibt. Wenn die 110 reichsten wirtschaftlichen Gruppen des Landes 1,5 Prozent mehr Steuern zahlen würden, bringe das langfristig mehr Geld in die Haushaltskassen als die Förderung des Erdöls, meint er und stellt klar: „Das, was Chevron-Texaco im Amazonas angerichtet hat, darf sich nicht wiederholen.“ Hinter ihm an der Wand warten die Besen aus aller Welt weiter auf das große Reinemachen.

Wolf Dieter Vogel berichtet für die woxx seit vielen Jahren aus Lateinamerika. Für diesen Artikel war er in Ecuador auf Recherchereise.


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