Der letzte linke Kleingärtner, Teil 17: Ökos und Beton

In seiner neuesten Kolumne wird der letzte linke Kleingärtner mal wieder vom Metropolenneid gepackt. Und dann wird er auf der Ökodemo in Berlin auch noch am Salbadern gehindert. Gut, dass er wenigstens diese Seite hier hat.

Öfters mal die Sau rauslassen: Unser linker Kleingärtner findet nicht nur die Stallhaltung, sondern das ganze kapitalistische System eine Riesenschweinerei. (Foto: EPA-EFE/Omer Messinger)

Wenn ich mir jetzt den Regen anschaue, der sich seit Tagen in rauen Mengen auf den Boden ergießt, dann kann ich es kaum glauben. Insbesondere, wenn ich mich an die Trockenperiode vom Frühjahr 2018 bis zum Spätsommer 2019 erinnere. Glück gehabt, dass das lebensspendende Nass jetzt wieder seinen Weg zu mir findet. Denn ohne Wasser ist alles nichts. Wer religiös ist, kann sich an der Vorstellung laben, den Regen mittels der eigenen Stoßgebete herbeigerufen zu haben und erhört worden zu sein. Wer der Religion nicht über den Weg traut, dem sei verraten, dass in Wahrheit ich es war, der mit seinem Wirken den entscheidenden Impuls für mehr Regen gegeben hat. Einer muss es ja tun.

Während der Regen auf dem Weg zu mir war, habe ich mich Mitte Januar nach Berlin aufgemacht, zur Grünen Woche und zur Öko-Demo „Agrarwende anpacken“. Und wie der Regen auf einen ausgedörrten Boden trifft und ihn langsam wieder zum Leben erweckt, so treffe ich als der große, letzte linke Kleingärtner auf eine Stadt mit unfassbar vielen wichtigen Leuten.

Egal in welchem Milieu, egal welches politische oder vegane Biotop, ich kenne keinen Ort auf der Erde – und ich bin schließlich für die Ernährung der Menschheit zuständig –, an dem so viele wichtige Leute unterwegs sind. Berlin ist eine Art Metropolenzoo der Wichtigkeiten; und dies 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Alle sind wichtig, alle sind super, alle sind cool. Wenn ich nur daran denke, beginne ich schon wieder von der Rückreise zu träumen, obwohl ich die Hinreise noch gar nicht angetreten habe.

Zum Glück bin ich inzwischen tatsächlich schon wieder zurück in meinem „safe space“. Da, wo die Hühner glücklich sind und die Menschen mal so oder so. Also auch mal nervig, aber eben nie so wichtig wie in Berlin. Ich aber sage euch Metropolenbewohnern: Fühlt euch mal nur nicht so sicher. Wenn ihr weiter die Nase so hoch haltet, könnten „wir vom Land“ ja mal beginnen, Mautgebühren für eure Autos, eure Züge und eure Flugzeuge zu verlangen. Dann, wenn ihr aus eurem Großstadtzoo in die „unberührte Natur“ fliehen wollt; mal mit, mal ohne Kinder. Immerhin jedoch kann ich nach meiner Rückkehr wieder monatelang davon zehren, über mein eigenes wichtiges Dasein hinaus auch endlich mal wieder andere wichtige Menschen getroffen zu haben. Ich ziehe also meinen Hut vor den Berlinern. Verneigen tue ich mich allerdings nur vor meinen Hühnern. Die haben es verdient.

Berlin ist eine Art Metropolenzoo der Wichtigkeiten.

Apropos Öko-Demo: Die Ökos hielten es mit der Tradition und blieben sich treu. Wie der Teufel das Weihwasser meidet, sperrten sie sich gegen meine messerscharfe politisch linke Analyse der staatlichen und ökonomischen Zustände. Dazu brauchte ich mir nicht erst im Kostümverleih einen Propheten-Mantel auszuleihen, um vorherzusagen, dass bei der Öko-Demo für eine Agrarwende wieder allerhand geschimpft, moralisiert und appelliert werden würde. So als könnte man den Kapitalismus mit Moral und Zeigefingerpädagogik bezwingen oder gar mit gerechtem Einkaufen. Dies ist hilfreich für romantische Anwandlungen und die Heile-Welt-Balance des eigenen Gefühlshaushalts, für mehr aber nicht. Auch bei der zehnten Demonstration sind fast nur Ökos am Rednerpult. Manche Organisationen haben anscheinend gar ein Rederecht auf Lebenszeit gepachtet.

Da zerfällt schon von bei der ersten Inaugenscheinnahme der Rednerliste der vielbeschworene Anspruch auf „diversity“. „Vielfalt ernährt die Welt“ heißt es zu Recht in der Ökoszene. Zumindest könnte sie das. Und auch sonst haben die Ökos durchaus viel Richtiges im Repertoire, wenn nur nicht fast durchgehend das Politische fehlen würde. Die 10. Berliner Ökodemo zur Internationalen Grünen Woche entsprach einer gewollten politischen Monotonie.

Vielleicht ist es die historische Vollendung eines Spruches aus dem Gründungsjahr der deutschen grünen Partei vor vierzig Jahren: „Die Grünen sind weder links noch rechts, sondern vorn“. Wenn man keine Standpunkte haben will und sich, weil es dafür keine Wahlkampfkostenrückerstattung gibt, um die Analyse des Gesamtzusammenhangs herum drückt, die auf Überwindung des Bestehenden zielt, bleiben am Ende nur das Volk und die Nation als wärmende Fixpunkte. Nur die beiden erlauben es einem, vorne zu sein und demnächst (wieder) Minister oder Regierungschef(in) zu werden.

So haben denn die Ökos mal wieder ganz traditionell all ihren Ökomut zusammengenommen, ihre Reihen fest mit Ökobeton geschlossen und einen unökologischen Redebeitrag des letzten linken Kleingärtners abgelehnt. Da ist selbst in meinem Hühnerstall tausendfach mehr frische Luft als im stickigen Stall der freundlichen Ökos.


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