Der letzte linke Kleingärtner, Teil 33: Die Gurkenmesse

Meist wirkt der Atheismus unseres Kleingärtners unerschütterlich. Doch dieses Mal offenbart auch er seinen inneren Herrgottswinkel.

Ob der Pfarrer für seine Fürbitten auch Naturalien akzeptiert? Vielleicht produziert unser letzter linker Kleingärtner bald auch für den klerikalen Bedarf. (Foto: Richard Huber/Wikimedia/CC-BY-SA-3.0)

Das Wetter und der Kleingärtner – meist sind sie einander spinnefeind. Im vergangenen Winter war es mal wieder nicht so richtig kalt. Eigentlich ist das Wetter ohnehin nie, wie es sein soll. Im Frühjahr regnete es zwar in der richtigen Dosierung, danach legte sich im Juni eine Hitzewelle wie Blei über uns und Mitte Juli kam in Luxemburg, Belgien und im Westen Deutschlands DIE FLUT. Johnny Cash hat zu einem ähnlichen Erlebnis aus seiner Kindheit den Song „Five Feet High and Rising“ geschrieben.

Von solchen Ereignissen abgesehen, ist die Beurteilung des Wetters häufig eine höchst subjektive Sache. Geklärt wird so etwas meist erst dank der Statistik am Jahresende. Dann erfahren wir möglicherweise, dass es insgesamt nicht zu viel geregnet hat. Den Flutopfern hilft das aber nicht weiter. Das ist ähnlich wie mit dem mittleren monatlichen Einkommen, mit dem sich Armut statistisch bereinigen lässt.

Kommen wir zu ermutigenderen Dingen: Am Verhältnis zu meinen fünf Hühnern kann die Welt sehen, wie ich als Kleingärtner den kapitalistischen Verwertungszwängen trotze. Bei mir kommt der Gegner – also das Kapital, der Neoliberalismus, das Böse, Bill Gates und so – nicht durch. Ich und meine Hühner, beziehungsweise meine Hühner und ich, sind wie ein Bollwerk und jederzeit bereit für „das letzte Gefecht“. Wir halten durch. Während Hühner, die zum Eierlegen gezüchtet wurden, nach 14 bis 16 Monaten geköpft werden, um als Suppenhuhn sensible Verbraucher satt und glücklich zu machen, sind meine schon über zwei Jahre alt. Wie das? Habe ich als Kleingärtner ein besonderes Händchen oder ist es gar meine Aura oder mein Charme? Nichts davon. Auch falsch verstandene Tierliebe ist nicht mein Antrieb, die Hühnchen bis ans Lebensende durchzufüttern. Schon eher das Denken in Kreislaufsystemen, also die Frage danach, was für die Gartenarbeit hilfreich ist.

Übrigens: Auch Biohühner wandern nach etwas mehr als einem Jahr in den Kochtopf oder in die Gefriertruhe. Genau dann, wenn sich die Anzahl der Eier betrieblich nicht mehr rechnet. Die Pfade der Verwertung dulden keine Abweichung, denn biologische Landwirtschaft ist zwar ein anderes Anbausystem, aber eben kein anderes Wirtschaftssystem. Wir Ökos und Kleingärtner gehören genauso zum Kapitalismus wie die Banker, die Wissenschaftler, die Pfarrer und die anderen.

Kein Kleingärtner, der etwas auf sich hält, lässt Kompost von außen kommen.

Was geht sonst im Garten ab? Dieses Jahr verspricht ein „Bohnenjahr“ zu werden. Die Stangenbohnen ballern jeden Tag ordentlich nach oben. Die Buschbohnen stehen ihren Kolleginnen in nichts nach und strecken sich zügig der Sonne entgegen. Unter uns, das ist aber jetzt nicht zum Weitersagen: Ich musste Stangen- wie Buschbohnen zweimal legen. Beim ersten Mal hatte ich mich verzockt und es war im Mai zu lange zu kalt. Kälte ist für Bohnen das, was Weihwasser für den Teufel ist. Aber jetzt brummen die Bohnen, dass es sich gewaschen hat.

Auch der Boden ist durch die Mitarbeit meiner Hühner streckenweise hervorragend gedüngt und meist von Schnecken befreit – genau, gut aufgepasst: das meine ich mit „Kreislaufsystem“. Den Rest trugen ein paar Schubkarren Kompost bei, den ich zur Bodenverbesserung selbst herstelle und regelmäßig einarbeite. Ehrensache. Kein Kleingärtner, der etwas auf sich hält, lässt Kompost von außen kommen. Das ist unter unserer Würde. Nur „einmal im Jahrhundert“ oder bei der Neuanlage eines Gartens darf ein LKW Kompost anliefern. Aber man muss aufpassen: Solche Ausnahmen und zu viel Fremdes im eigenen Garten bringen Unruhe rein.

Ähnlich optimal wie die Bohnen wachsen auch meine Salat- und Einlegegurken. Kein Mehltau in Sicht, der die Pflanzen zerstört. Hoffentlich bleibt es so. Vielleicht sollte ich eine Messe lesen lassen. In katholischen Regionen steckt man dem Pfarrer einen Geldschein zu und dafür verliest er beim Gottesdienst Fürbitten für das Gute und für die Erinnerung an Verstorbene. Für die Gurken könnte er aber doch auch mal beten. Mit Geld lässt sich das sicher klären. Man müsste es versuchen. Ich traue mich aber nicht. Oder doch? Es juckt mich schon.

Weniger gut läuft es beim Grünkohl. Zwar keimte er erstmal hervorragend. Kein Wunder – das Saatgut wurde ja von mir persönlich nachgebaut. Das ergibt meist eine Keimquote von annähernd hundert Prozent; kein Vergleich zum gekauften fremden Saatgut. Wie es so schön heißt: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Da ist etwas dran. Jedenfalls sandte fast jedes selbstgewonnene Samenkorn ein Grünkohlpflänzlein gen Himmel. Aber dann kamen des Nachts doch eine Handvoll Schnecken durch – kein Kreislaufsystem ist schließlich perfekt – und ich konnte nur einen Teil der Pflanzen retten. Vielleicht sollte ich mir eine Videoüberwachung mit Alarmanlage in den Garten bauen. Dann bekäme ich die Schnecken endgültig ausgemerzt, hätte aber nachhaltig Zoff mit den Nachbarn. Nicht jede Form der Nachhaltigkeit ist gut. Lassen wir das also.


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