Diskriminierung: Große Ratlosigkeit

Seit 2006 berät und informiert das Centre pour l’égalité de traitement (CET) in Fällen von Diskriminierung. Laut Direktorin Nathalie Morgenthaler fehlt es der Organisation nach wie vor an Mitteln und Handlungsmacht.

„Anfangs haben wir viel auf Vermittlung gesetzt. Wir merkten allerdings schnell, dass das nichts bringt“: Nathalie Morgenthaler ist seit 2006 Direktorin des Centre pour l’égalité de traitement (CET). (Foto: CET)

woxx: Worin besteht der Auftrag des CET und sind Sie zurzeit in der Lage diesem nachzukommen? 


Nathalie Morgenthaler: Wir sind dafür zuständig, Menschen durch Beratung und Broschüren zu informieren. Die meisten Ressourcen verwenden wir darauf, Personen zu betreuen, die an uns herantreten. In puncto Personal sind wir leider immer noch bei einem absoluten Minimum. Bis jetzt waren wir zu zweit – eine Sekretärin und ich selbst –, seit November verfügt das CET über einen zusätzlichen Mitarbeiter. Auch was unser Budget betrifft, bleibt uns wenig Handlungsspielraum. Einem vergleichbaren Zentrum in Belgien wurde eine Million angeboten, nur um sich um den Bereich Behinderung zu kümmern. Davon sind wir mit einem Jahresbudget von rund 90.000 Euro noch sehr weit weg. Die Ilres-Umfragen, die wir in vergangenen Jahren durchgeführt haben, mussten wir daher mit europäischen Geldern finanzieren. Als die zuständige Ministerin Cahen bei der Vorstellung des neuen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention danach gefragt wurde, ob sie vorhabe, dem CET mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, wies sie jegliche Verantwortung von sich. Da das CET dem Parlament unterstellt sei, müsse man diesem die Frage stellen.

Wo besteht hierzulande in puncto Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Sexismus und anderen Diskriminationsformen der größte Handlungsbedarf?


Wenn in Luxemburg diskriminiert wird, dann meist wegen Unkenntnis der Gesetzeslage oder aufgrund von Vorurteilen. Viele Menschen sind sich ihrer Rechte und Pflichten nicht bewusst und wissen auch nicht, an wen sie sich im Falle einer Diskriminierung wenden können. Selbst Menschen, die bereits mit Gewerkschaften in Kontakt standen, sind zum Teil ziemlich ratlos. Was die Gesetzgebung betrifft, steht Luxemburg aber recht gut da. Einzig bezüglich Intergeschlechtlichkeit und Behinderung, zum Beispiel der Barrierefreiheit von Gebäuden oder dem Vormundschaftsgesetz, bedarf es zurzeit noch dringend an entsprechenden Gesetzen. Ansonsten sind im Zivilgesetzbuch immer nur kleinere Änderungen notwendig. Es geht dann beispielsweise darum, von „Eltern“ statt von „Mutter und Vater“ zu sprechen. Etwas das uns zurzeit wirklich ärgert: Gesetzlich ist die Diskriminierung aufgrund der Nationalität zwar mittlerweile anerkannt, es ist jedoch nicht präzisiert, wer für solche Fälle zuständig ist. Wir als CET hatten im Vorfeld klargestellt, dass wir diesen Bereich nur dann übernehmen, wenn uns auch die entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Das ist aber nicht passiert. Folglich kümmert sich nun niemand um Menschen, die aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert werden. Wir haben zwei unterschiedliche Präsidenten der Abgeordnetenkammer darauf aufmerksam gemacht, diese meinten, dass sie die Anfrage weiterleiten. Es liegt aber immer noch keine Entscheidung vor. Etwas anderes, das wir höchst bedauerlich finden: Wir haben die Regierung darauf hingewiesen, dass im Studiengesetz eine Altersdiskriminierung vorliegt. Die Zuständigen sind jedoch nicht bereit, die entsprechende Textstelle zu ändern, weil dies nicht so im Regierungsprogramm vorgesehen sei. Insgesamt würden wir uns mehr Selbstkritik wünschen. Nach der Podiumsdiskussion über die „Being Black“-Studie der FRA [Agentur der Europäischen Union für Grundrechte; Anm. d. Red.] hat die Presse kein gutes Haar an Ministerin Cahen gelassen. Das hatte aber keine Konsequenzen. Anders als zu erwarten wäre, stellen die aktuellen Regierungsvertreter ihre Entscheidungen bei Kritik überhaupt nicht in Frage. Ein großer Missstand ist nach wie vor, dass wir als CET nicht vor Gericht klagen können, das müssen die Betroffenen also selbst machen. Es gibt in Luxemburg bezüglich Diskriminierung auch immer noch fast keine Rechtsprechungen. In den wenigen Fällen, wo Anzeige erstattet wurde, kam es nicht zur Anklage, weil die nötigen Beweise fehlten. Selbst wenn jemand explizit sagt „Ich habe Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe nicht eingestellt“, müsste man das schon schriftlich vorliegen haben oder auf Zeugen zurückgreifen können, damit es zu einer Anklage kommen kann. Rechtsprechungen hätten durchaus das Potenzial, den einen oder anderen wachzurütteln.

Wie können Personen vorgehen, die sich hierzulande diskriminiert fühlen?


Wir als CET sehen uns in solchen Fällen als erste Anlaufstelle. Wir liefern Opfern von Diskriminierung Informationen und zeigen ihnen ihre Handlungsoptionen auf. Manche wollen das Problem friedlich klären, andere gehen auf Konfrontation. Wenn es um Diskriminierung in der Arbeitswelt geht, ist zudem die ITM [Inspection du travail et des mines; Anm. d. R.] eine mögliche Anlaufstelle. Sie verfügt über mehr Möglichkeiten als wir, um vor Ort zu ermitteln. Es kommt also durchaus vor, dass wir Anfragen an sie weiterreichen. Dann besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, bei der Polizei Anzeige zu erstatten oder vor Gericht zu gehen.

„Anders als zu erwarten wäre, stellen die aktuellen Regierungsvertreter ihre Entscheidungen bei Kritik überhaupt nicht in Frage.“

Wird in Luxemburg in puncto Diskriminierung hauptsächlich Symptombekämpfung betrieben?


Absolut. Wir fordern, mit der Sensibilisierung bezüglich Stereotypen bereits im Kindesalter anzusetzen. Wir sind immer wieder mit Fällen konfrontiert, wo trans Kinder in der Schule gemobbt wurden und nicht angemessen darauf reagiert wurde. Das Wichtigste wäre also, bei der Mentalität der Menschen anzusetzen. Bei Stellenausschreibungen wird zum Teil nicht darauf geachtet, sowohl Männer als auch Frauen anzusprechen. Manche Ärzte schreiben immer noch, sie würden nach einer „jungen Sekretärin“ suchen. Das ist sowohl in puncto Geschlecht als auch Alter ausschließend. Es mag sich um Kleinigkeiten handeln, aber es ist wichtig, auch diesbezüglich wachsam zu sein und einzugreifen. Viele sagen, sie seien es leid, andere immer wieder auf diskriminierendes Verhalten hinzuweisen. Das ist eine fatale Einstellung. Gerade Lehrkräften kommt die Aufgabe zu, ihren Schülern diskriminierenden Sprachgebrauch nicht durchgehen zu lassen. Junge Menschen sagen manchmal Wörter wie „Schwuchtel“. Das ist nicht unbedingt schlecht gemeint, aber sie müssen dennoch darauf aufmerksam gemacht werden, dass das verletzend ist und sie solche Bezeichnungen unterlassen sollten. Aufgrund des begrenzten Personals ist es dem CET zurzeit allerdings nicht möglich, Workshops oder Weiterbildungen anzubieten. Wir legen unseren Fokus deshalb auf die sozialen Medien und die Überarbeitung unserer Broschüren. Wir haben das Bildungsministerium dazu aufgefordert, Weiterbildungen für Lehrkräfte anzubieten. Was mich persönlich stört, ist dass von Fall zu Fall vorgegangen wird. Obwohl das Ministerium reaktiv ist, wäre die Ausarbeitung allgemeiner Richtlinien für Schulen, ein bindendes Dokument also, viel wünschenswerter.

Wie handeln Sie, wenn jemand mit einer Beschwerde an Sie herantritt?


Anfangs haben wir viel auf Vermittlung gesetzt. Wir merkten allerdings schnell, dass das nichts bringt. Man gelangt immer wieder an einen „Aussage gegen Aussage“-Punkt, von dem aus man nicht weiterkommt. Mittlerweile gehen wir so vor, dass wir nach einem Gespräch mit dem Opfer die beschuldigte Person schriftlich kontaktieren und sie auffordern, Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen. Bis jetzt ist kein Opfer ein zweites Mal an uns herangetreten, weshalb wir davon ausgehen, dass unser Einschreiten erfolgreich war. Wirkliches Feedback bekommen wir allerdings nie. Bei Mobbingfällen an Schulen wird das Problem fast immer dadurch gelöst, dass die Betroffenen auf eine andere Schule wechseln. Insgesamt melden sich nur sehr wenige Jugendliche bei uns, in fast allen Fällen sind es die Eltern.

Hat sich in den letzten Jahren denn auch etwas verbessert?


Bei der Sensibilisierung im Handicap-Bereich auf jeden Fall, auch wenn es da immer noch großen Handlungsbedarf gibt. Für trans Personen, die ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern wollen, ist das neue Gesetz eine regelrechte Revolution.

Was könnten Sie konkret mehr machen, wenn Sie personell und finanziell besser aufgestellt wären?


Das Wichtigste für mich wäre, mehr im Jugendbereich tun zu können. Zurzeit bieten wir lediglich einmal im Jahr für interessierte Jugendhäuser den Workshop „Ech an denger Plaz. Entdeck d’Liewe mat enger Behënnerung“ an. Es geht dabei darum, auf spielerische Weise verschiedene Formen von Behinderung kennenzulernen. So werden die Jugendlichen zugleich über die verschiedenen Lebensrealitäten anderer Menschen und auch über ihre eigenen Rechte und Pflichten aufgeklärt. Hätten wir mehr Mittel, könnten wir sehr viel häufiger solche Aktionen durchführen und sehr viel mehr Menschen erreichen.


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