Elizabeth II.: Kitt statt Kohäsion

Der Tod des britischen Staatsoberhaupts hat Wellen der Anteilnahme ausgelöst, die eine Infragestellung der Monarchie nicht einfacher, aber umso notweniger machen.

CC BY-NC 2.0 Karen Horton/Flickr

Ein Blick auf die Alterspyramide des sogenannten „Vereinigten“ Königreichs zeigt, dass weniger als jede*r fünfte Einwohner*in Großbritanniens und Nordirlands jemals ein anderes Staatsoberhaupt kannten als Queen Elizabeth II. Kein Wunder, dass ihr Ableben im hohen Alter und im aktiven Dienst unermessliche Emotionen und eine entsprechende mediale Aufmerksamkeit hervorrufen – wobei das eine und das andere sich gegenseitig hochschaukeln dürften.

Und auch bei so manchen Nicht-Brit*innen ruft der Tod der Queen Momente des Innehaltens oder Rückbesinnens auf zurückliegende Jahrzehnte hervor, wurden sie doch über Tage hinweg medial mit Bild-, Ton- und Schriftdokumenten bedient.

Wir senden und zeigen das, was die Leute sehen wollen, verteidigen sich in etwa Medienverantwortliche und verweisen auf die eine oder andere kritische Stimme, die dann und wann zugelassen wird. Wenig erfährt man allerdings darüber, dass es auf der britischen Insel zu Verhaftungen kam, weil es durchaus auch Proteste gab. Nicht unbedingt gegen die Queen, aber gegen die Zementierung einer monarchischen Herrschaft, die so nicht mehr von allen mitgetragen wird. Aber eine überwältigende Mehrheit sei für die Monarchie, wie uns die kilometerlangen Schlangen zum aufgebahrten Sarg der Queen in der Westminster Hall zeigten, heißt es dann.

Wer die britische Politik in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, in denen es nun wirklich nicht an Krisen, sozialen Verwerfungen und Kehrtwendungen gemangelt hat, dem ist auch nicht entgangen, dass „pomp and tradition“ wohl der einzige Faktor war, der wie eine Konstante seit der Nachkriegszeit – und damit über die gesamte Amtszeit von Queen Elizabeth II. hinweg – überdauerte.

Tourist*innen bestaunen heute wie damals die Horse Guards in immergleichen Uniformen und Hochzeiten wie Begräbnisse innerhalb der königlichen Familie sind mediale Ereignisse, die alles andere über Tage hinweg ausblenden. Im Falle der Beisetzung der Queen wird sogar mit einem spürbaren Einbruch der Wirtschaft gerechnet, weil nicht nur am Tag der Beisetzung, also an dem zum Feiertag erklärten Montag, sondern schon davor ganze Wirtschaftszweige zum Stillstand kommen.

Ein Zeremoniell, das für eine funktionierende Demokratie so anachronistisch wie vollkommen überflüssig ist.

Auch anderswo gibt es vor Monarch*innen-Residenzen Wachablösungen und zeremonielles Gehabe, das nicht zuletzt als touristische Attraktion beibehalten, wenn nicht sogar wieder eingeführt wird. Doch in Großbritannien spielt sich das alles auf einer anderen Ebene ab. Ganze Regimenter, hunderte von Mitgliedern des Hofstaats dienen nicht nur der Sicherheit und der Verwaltung der Güter des Königshauses, sondern bedienen vor allem dieses Zeremoniell, das für eine funktionierende Demokratie so anachronistisch wie vollkommen überflüssig ist. Es ist eine Art Kitt, der noch zusammenhält, was eigentlich nicht mehr zusammenpasst.

In einem Land, in dem die Rolle der*des Premierminister*in von ein paar tausend erlesenen Mitgliedern aus einer noch erleseneren Partei an parlamentarischen Mehrheiten vorbei und ohne Neuwahlen bestimmt werden kann, nur weil es die ungeschriebenen Regeln so wollen, ist „pomp and tradition“ vielleicht dann doch nicht so neutral und über alle Politik erhaben, wie behauptet wird.

Gepaart mit einem Wahlsystem, das nach dem „the winner takes it all“-Prinzip funktioniert und es neuen politischen Ideen schwer macht, blendet die Monarchie Gegensätze aus. Das allgemeine Lebensniveau mag unter Elizabeth II. gestiegen sein, wie in anderen Industriestaaten auch, doch die gesellschaftlichen Gräben haben sich im Vereinigten Königreich erweitert – mehr als anderswo. Nichts deutet darauf hin, dass der neue König und die noch von Elizabeth II. vereidigte neue Premierministerin einen Beitrag dazu leisten werden, die Kohäsion in der britischen Gesellschaft zu verstärken. Im Gegenteil.


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