Jean Weyrich: Als die Tram noch dem Auto weichen musste

Die erste Werkschau des Fotografen Jean Weyrich (1930-2004) zeigt einen Querschnitt des bürgerlichen Lebens in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren, fördert jedoch wenig Neues zutage. Wo sie die verkehrspolitischen Umbrüche jener Zeit beleuchtet, ist die Ausstellung allerdings sehenswert.

(Ccopyright Photothèque VDL)

Gleich am Anfang der Ausstellung „Jean Weyrich, gentleman photojournaliste“ zeigt eine Aufnahme aus den frühen 1960ern, eine Straßenbahn welche die Côte d’Eich hinunterfährt, während darüber die Großherzogin-Charlotte-Brücke errichtet wird. Die Bildunterschrift weist darauf hin, dass an diesem Ort seit Kurzem wieder eine Tram fährt – über die Brücke, deren Eröffnung einst mit dem Siegeszug des Kraftfahrzeugs im Stadtverkehr einherging. Der Kreis schließt sich, so scheint es. Jedenfalls lädt die Ausstellung über den 2004 verstorbenen Pressefotografen zu einer ausführlicheren Betrachtung der verkehrspolitischen Entwicklung in Luxemburg ein.
Auf Weyrichs Schwarz-Weiß-Bildern blickt man auf die breiten Bürgersteige der Avenue de la Liberté und die Bäume, die gefällt werden, damit ebenjene Bürgersteige zugunsten breiterer Straßen verkleinert werden können. Man blickt auf eine vielbefahrene Grand-Rue und Autos, die auf dem Knuedler parken, ebenso wie auf die Bauarbeiten, die die Parkplatznot unterirdisch zu lösen suchen. Aus heutiger Sicht erscheinen all diese Ansichten wie Exempel stadtplanerischer Fehlentscheidungen, denen gerade die Nachgeborenen leicht ungläubig gegenüberstehen könnten.
Für diese Möglichkeit, einer autovernarrten Gesellschaft beim Reifen zuzuschauen, lohnt sich der Besuch von „Jean Weyrich, gentleman photojournaliste“ im Cercle Cité. Knapp hundert Fotos aus der Sammlung der hauptstädtischen Fotothek werden in den zwei Räumen des Ratskellers präsentiert. Auf den Wänden wechseln sich mittelgroße Abzüge – die öfters paarweise angebracht sind und so miteinander kommunizieren – mit einigen großformatigen Triptycha und Leuchtkästen ab. Ebenso vielfältig wie die Hängung ist auch das Themenspektrum der Ausstellung, die keinesfalls nur urbanistische Einblicke gewährt, auch wenn diese ihren Höhepunkt bilden.
Als Zeuge des soziokulturellen Lebens sowie politischer Ereignisse von 1961 bis 1995 wird Jean Weyrich vorgestellt. Der Fokus liegt eindeutig auf der Zeit bis 1972, als Weyrich bei der Revue war. Offenbar bot die Arbeit bei einer Wochenzeitung dem Fotografen mehr kreative Freiheit als seine anschließende Tätigkeit für das Luxemburger Wort. Aus dieser Epoche zeigt die Fotothek im Cercle Cité insbesondere Aufnahmen von Staatsbesuchen und der großherzoglichen Familie, eine eintöniger als die andere. Das Werk Jean Weyrichs ist allerdings insgesamt eher wegen seiner dokumentarischen Qualitäten spannend. Obwohl es einige beeindruckende Bilder gibt, stechen zu wenige auch formal hervor.
Als auf Zurückhaltung bedachter „Gentleman“ fotografiert Weyrich zumeist Alltagsszenen, wie bereits sein Lehrer und Revue-Kollege Pol Aschman: Durchschnittsbürger auf der Schueberfouer oder bei der Oktave, spielende Kinder im Winter wie im Sommer. Interessant sind die Bilder oft im Zusammenspiel mit den Originalbildunterschriften, in denen etwa nicht ohne Stolz verkündet wird, dass am Findel 25 Millionen Dollar (in bar!) eingetroffen sind und von der Gendarmerie tapfer bewacht werden. Soviel Transparenz in der Finanzwirtschaft könnte einen fast nostalgisch werden lassen. Das wäre allerdings in dieser Ausstellung, die den Charakter einer weiteren Nostalgie-Schau für die Babyboomer-Generation nicht ganz abzulegen vermag, auch nicht unangebracht.

Im Cercle Cité bis zum 15. September.

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