Die europäischen Binnengrenzen sind größtenteils unsichtbar geworden – zumindest für Menschen mit Papieren. Asylsuchende dagegen dürfen sich nicht frei in Europa bewegen. Das zu ändern hat sich eine Kampagne aus Deutschland zum Ziel gesetzt.
Ein weißer Mittelklassewagen fährt durch die Alpen. Am Steuer: eine Frau mittleren Alters. Ihre Hände umklammern nervös das Lenkrad. „Wir fahren hier seit Jahren in den Urlaub, und bisher war die Fahrt immer etwas Entspanntes“, erzählt eine Frauenstimme aus dem Off. „Aber heute bin ich aufgeregt.“ Die Kamera schwenkt zu einem älteren Herrn auf dem Beifahrersitz hinüber. „Am Anfang war mir ziemlich mulmig“, sagt nun eine Männerstimme. „Ganz legal ist es ja nicht, was wir hier machen.“ Während das Auto an einem Schild vorbeifährt, das die österreichische Grenze ankündigt, spricht wieder die Frau: „Ich finde das einfach unfair, dass ich mich hier frei bewegen darf und er nicht. Wer hat denn das Recht, das zu entscheiden?“
Was auf den ersten Blick nach einer Autowerbung aussieht, ist tatsächlich Teil der Kampagne „Ich bin Fluchthelfer.in“ des deutschen Künstlerkollektivs „Peng!“. Mit „Er“ ist ein Migrant gemeint, der auf der Rückbank des weißen Wagens sitzt. „Für die meisten Menschen hier in Europa sind diese Grenzen unsichtbar. Warum kann es nicht für alle Menschen so sein?“, fragt eine weitere Stimme im Kurzfilm, bevor ein Zitat von Burkhard Veigel, einem ehemaligen Fluchthelfer an der innerdeutschen Grenze, eingeblendet wird: „Was der Staat sagt, wäre mir so was von egal! Ich finde auch diese ganzen Dublin-Gesetze völlig blödsinnig. Wir haben uns damals überhaupt nicht darum gekümmert, ob es legal war, was wir tun.“ Veigel unterstützt explizit die Kampagne.
„Katastrophe“ für Asylbewerber
Die Dublin-Regelung, mittlerweile in der dritten Auflage, ist seit 1997 in Europa in Kraft. Sie bestimmt, dass der Staat des Schengen-Raums für einen Asylantrag zuständig ist, in dem der Asylsuchende zuerst die Außengrenze überschritten hat. Theoretisch ist es für Flüchtlinge also auf legalem Weg quasi unmöglich, in Ländern wie Luxemburg, die nicht an den europäischen Außengrenzen gelegen sind, Asyl zu beantragen.
In der Praxis führt die Verordnung dazu, dass gerade infrastrukturschwache Länder wie Griechenland, Spanien, Ungarn oder Italien mit einem Großteil der ankommenden Flüchtlinge alleine gelassen werden. Das hat zur Folge, dass in diesen Ländern größtenteils menschenunwürdige Zustände für MigrantInnen herrschen und Asylanträge im Schnellverfahren und nachlässig bearbeitet werden. Teilweise sind Asylsuchende Übergriffen durch PolizistInnen und Rechtsextreme ausgesetzt – so zum Beispiel in Ungarn, aber auch immer wieder in Italien. Viele der Ankömmlinge wollen diese Länder auf schnellstem Wege verlassen. Wer aber erwischt wird, bevor er sein Zielland erreicht hat, der kann einen Asylantrag nur noch in dem Land stellen, in dem er aufgegriffen wurde.
Menschenrechtsorganisationen sind die Dublin-Abkommen schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Für die Vize-Präsidentin der „Association européenne de défense des droits de l’Homme“, Catherine Teule, beispielsweise ist die Regelung nicht nur „Ausdruck mangelnder Solidarität zwischen den EU-Staaten“, sondern auch eine „Katastrophe“ für die Asylbewerber. Je nach Ankunftsland stünden die Chancen auf Asylgewährung erheblich besser oder schlechter. So hätten in Griechenland 2012 nur 0,8 Prozent der Schutzsuchenden Asyl erhalten, in Malta hingegen 90 Prozent.
Die Dublin-Regelung durch zivilen Ungehorsam umgehen, das ist die Idee hinter der „Fluchthelfer.in“-Kampagne. UrlauberInnen werden dazu aufgefordert, etwa auf dem Rückweg vom Strandurlaub in Italien Flüchtlinge mit über die Grenzen zu nehmen und so deren Chance, in ihr Zielland zu gelangen, zu erhöhen. „Fluchthilfe bleibt überall dort legitim und für eine freie und gerechte Gesellschaft unabdingbar, wo Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Das gilt besonders für eine freie und gerechte Gesellschaft, wie sie die EU sein möchte“ erklären die AktivistInnen.
Auf der Homepage der Kampagne werden Tips für potenzielle FluchthelferInnen gegeben. „Wie komme ich mit Fluchtwilligen in Kontakt?“ wird dort etwa gefragt. „Haltet die Augen offen!“ lautet die Antwort. In Norditalien, aber auch in Calais oder anderswo könnte man MigrantInnen antreffen. AnfängerInnen wird geraten, sich erst einmal auf Flüchtlingstransporte innerhalb des Schengenraums zu konzentrieren. Allgemein gelte: „Seid unberechenbar, nehmt Umwege und Nebenstrecken, meidet Raststätten in Grenznähe.“ Am besten geeignet für die Fluchthilfe seien Pärchen, die so aussähen, als seien sie gerade auf dem Rückweg vom Strandurlaub. Einen „hippiesk angehauchten VW-Bus“ für die Fahrt zu nutzen, davon sei hingegen eher abzuraten.
Auch die rechtlichen Konsequenzen werden behandelt: „In den meisten Fällen dürften FluchthelferInnen, selbst wenn sie erwischt werden sollten, (…) straffrei bleiben, oder zumindest mit einer Geldstrafe davonkommen“, so die Einschätzung des Kollektivs.
Rechtliche Situation
Wie sieht die rechtliche Situation in Luxemburg aus? Ein Blick ins Strafgesetzbuch gibt Aufschluss. „Toute personne qui, par aide directe ou indirecte a sciemment facilité ou tenté de faciliter l’entrée irrégulière, le transit irrégulier ou, dans un but lucratif, le séjour irrégulier d’un ressortissant de pays tiers sur ou par le territoire luxembourgeois (ou) le territoire d’un Etat membre de l’Union européenne (…), est punie d’un emprisonnement de trois à cinq ans et d’une amende de 10.000 à 50.000 euros, ou d’une de ces peines seulement.“
Im Klartext: Wer illegalerweise MigrantInnen über die Grenze bringt, dem drohen zwischen drei und fünf Jahre Knast und/oder zwischen 10.000 und 50.000 Euro Geldstrafe. Die Einschränkung „dans un but lucratif“, also „aus finanziellen Gründen“, gilt dabei nur für die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt in Luxemburg, nicht aber für den Grenzübertritt. Dementsprechend dürften sich eventuelle FluchthelferInnen also nicht darauf berufen können, nicht aus finanziellen Gründen gehandelt zu haben. Ein Unterschied zwischen Beihilfe aus finanziellen Gründen und Beihilfe aus humanitären oder anderen Gründen wird im luxemburgischen Gesetz nicht gemacht, eine Ausnahme für humanitäre Gründe ist generell nicht vorgesehen.
Dabei ermöglicht beispielsweise die Richtlinie des Europäischen Rates vom 28. November 2002 (2002/90/EG) genau das: „Die EU-Mitgliedstaaten müssen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für diese Handlungen festlegen. Allerdings sind EU-Mitgliedstaaten im Fall des ersten genannten Tatbestands nicht zu Sanktionen verpflichtet, wenn diese Handlung zum Zweck der humanitären Hilfe erfolgt.“
Knast ist unwahrscheinlich
Nichtsdestotrotz ist eine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe auch in Luxemburg zumindest beim ersten Mal eher unwahrscheinlich, ermöglicht das Gesetz es dem Gericht doch, nur eine der beiden vorgesehenen Strafen – in diesem Fall eine Geldstrafe – zu verhängen. „Der Richter ist natürlich gezwungen, die vom Gesetz vorgegebenen Strafen auszusprechen“, sagt Maître Olivier Lang, auf Flüchtlingsfragen spezialisierter Anwalt. „Allerdings gibt es eine Mindest- und eine Höchststrafe, innerhalb von deren Grenzen er Ermessensspielraum hat.“ Dass jemand wegen Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt – wenn diese nicht zur Bereicherung geleistet wurde – eine Gefängnisstrafe erhält, würde den Anwalt „stark wundern“. „Das würde für viel Aufsehen sorgen“ erklärt er. Die betroffenen MigrantInnen selbst riskieren ja im Falle des illegalen Grenzübertritts bloß eine Geldstrafe.
Eine Hintertür für FluchthelferInnen lässt das luxemburgische Gesetz aber offen: Nur wer „sciemment“, „wissentlich“ einem anderen beim illegalen Grenzübertritt hilft, kann auch dafür bestraft werden. Wer also nicht wusste – und das auch irgendwie belegen kann –, dass der Mensch auf der Rückbank eigentlich gar kein Recht dazu hatte, die Grenze zu überqueren, der könnte theoretisch ohne Strafe davonkommen.
Dem „Peng!“-Kollektiv wurden bereits 35 erfolgreiche Fluchthilfe-Aktionen gemeldet. Ein eigens für die Kampagne geschaffenes „europäisches Verdienstkreuz“ wurde in einer öffentlichen Aktion an einige der FluchthelferInnen vergeben. Für den Fall, dass mal was schiefgehen sollte, hat das Kollektiv per Crowd-Funding einen Rechtshilfefonds geschaffen. Knapp 15.000 Euro wurden bereits gespendet.