Fondation Solina: Zu Dritt an einem Tisch

Drei Organisationen, ein Ziel: 
Menschen stärken. Die neugegründete Stiftung „Solina“ bringt Akteur*innen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit zusammen. Über die Entstehung, die Erwartungen und Menschen, die helfende Hände brauchen.

Das Akronym „Solina“ setzt sich aus den Begriffen „solidaire“, „inclusive“ und „accompagnante“ zusammen – Eigenschaften, für die die Stiftung steht. (Copyright: Fondation Solina)

Zum Gespräch mit der woxx erscheinen gleich drei Personen im Hauptsitz der neugegründeten „Fondation Solina“, die in den Räumlichkeiten von „Solidarité jeunes“ angesiedelt ist. Man schüttelt sich die Hände, stellt sich vor und lacht über den viel zu großen Versammlungstisch. Die Präsenz der drei Vertreter*innen der Gründerorganisationen setzt ein klares Zeichen: Wir gehören zusammen. Hinter der Stiftung „Solina“ stecken „Solidarité jeunes“, „Aarbechtshëllef“ und „Jongenheem – CIRP“. An einem verregneten Montagmorgen, wenige Tage vor der offiziellen Vorstellung der Stiftung (6. November 2019), sitzen deshalb auch Michèle Kridel (Direktorin von „Solidarité jeunes“), Charles Meyers (Direktor des „Jongenheem – CIRP“) und Marco Wagener (Präsident von „Solidarité jeunes“ und der „Fondation Solina“) am Tisch.

Die Organisationen waren sich nie fremd. Die Idee, eine gemeinsame Stiftung zu gründen, bestand seit dem Inkrafttreten der „Aide à l’enfance et à la famille“ und der Gründung des „Office national de l’enfance“ (ONE) im Jahr 2008. „Die administrativen Prozeduren zur Gründung einer Stiftung waren uns damals zu langatmig. Aus dem Prozess ging zunächst ‚Solidarité Jeunes’ hervor“, erinnert sich Marco Wagener. „Wir haben die Idee der Stiftung aber beibehalten und das Konzept ausgearbeitet, das sich in den letzten zwei Jahren strukturell und inhaltlich konkretisiert hat.“ Warum die Stiftung erst jetzt vorgestellt wird, erklärt Wagener mit der Entwicklung einer – wie es auf neu-luxemburgisch so schön heißt – „Corporate identity“. Auch die einzelnen Teams, in denen zeitweilig unbegründet die Angst vor Entlassungen wegen der Stiftungsgründung bestand, sollten erst zusammenfinden und sich persönlich sowie die Arbeit der Infrastrukturen bei gemeinsamen Workshops und Aktivitäten kennenlernen.

3 in 1

Zwar sind sie alle im Bereich der Sozialen Arbeit tätig, doch unterscheiden sich ihre Einsatzbereiche wesentlich. Das pädagogische Personal von „Solidarité jeunes“ begleitet, unterstützt und berät die meist minderjährigen Klient*innen und ihre Familien in Wohngruppen und in ambulanten Diensten. Die Organisation verfügt über neun Foyers und um die 84 Unterkunftsmöglichkeiten. Sie sind derzeit ausgelastet. Das „Jongenheem“ bietet im „Centre d’insertion et de réinsertion professionnelle“ (CIRP) diverse pädagogische Werkstätten und Ateliers an, die es jungen Arbeitssuchenden (16-29 Jahre) ermöglichen, Kompetenzen in Handwerksberufen zu gewinnen oder diese zu stärken. „Aarbechtshëllef“ richtet sich hingegen an Arbeitssuchende über 30, funktioniert aber ähnlich wie das CIRP. „Durch das Zusammenkommen der Organisationen „Jongenheem“, „Solidarité jeunes“ und „Aarbechtshëllef“ kann die gesellschaftliche Wiedereingliederung schneller angegangen werden“, sagt Charles Meyers. „Die Services leisten alle unterschiedliche Beiträge zur Integration der verschiedenen Altersgruppen und Familien.“

Die einzelnen Organisationen bleiben auch weiterhin in ihrer jeweiligen Form bestehen. Wer mit einer von ihnen in Kontakt treten möchte, kann dies nach wie vor auf direktem Wege machen oder sich alternativ an „Solina“ wenden, die beratend zur Seite steht und die Anfragen weitergibt. Die Stiftung funktioniert wie eine Art Überdach, hat aber auch eine eigene Satzung, die die Beteiligten respektieren müssen. „Die Stiftung erleichtert die Zusammenarbeit zwischen den drei Organisationen“, ergänzt Wagener Meyers’ Aussage, „auch durch einen gemeinsamen Verwaltungsrat und die Vernetzung der Teams.“ Finanziell wird sie von Mitteln der drei Organisationen getragen.

Die Stiftung sei aber „natürlich“ auch dafür da, Spenden zu sammeln, die unter den Organisationen verteilt würden, betont Wagener. Die Stiftung soll Ausgaben ermöglichen, die so bisher nicht getätigt werden konnten. Michèle Kridel erhofft sich beispielsweise den Kauf weiterer Häuser, um Kinder und Jugendliche in Not unterbringen zu können. Wagener spricht derweil über die Finanzierung der Therapien und Behandlungen der betreuten Kinder und Jugendlichen, die von Zeit zu Zeit anfallen. Auch in dem Kontext wäre es von Vorteil, auf Spenden zurückgreifen zu können.

Glücklich, aber verhasst?

Während des Gesprächs über die Stiftung drängen sich zusätzlich Fragen nach dem Wohlbefinden einer der Zielgruppen auf: den Kindern und Jugendlichen. Nach der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-Aged Children“ aus dem Jahr 2014 schätzen 82 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen ihre Lebenszufriedenheit als hoch ein. Ein gutes Zeichen? Schon, doch wirft man einen Blick auf den rezenten gesellschaftlichen Diskurs über die Altersgruppe, so ergibt sich ein anderes Bild. Es herrscht Beunruhigung und Skepsis vonseiten der Erwachsenen. In den vergangenen Monaten gab es wiederholt kontroverse Diskussionen über die wachsende Gewalt von Kindern gegenüber Autoritätspersonen. Es ist von steigender Gewaltbereitschaft und verhaltensauffälligen Kindern die Rede. Für Jugendliche, die sich für den Klimaschutz einsetzen, hagelt es immer wieder jugendfeindliche Kritik. Herrscht in Luxemburg eine generalisierte Kinder- und Jugendfeindlichkeit?

Michèle Kridel verneint. Charles Meyers’ Antwort fällt nuancierter aus: „Die Thematik der Jugendfeindlichkeit war immer schon da.“ Seine Arbeit beim „Jongenheem – CIRP“ und bei der „Aarbechtshëllef“ habe sich über die letzten dreißig Jahre hinweg aber nicht sonderlich verändert. „Wir kriegen seit jeher ein Drittel der Arbeitssuchenden unter“, erläutert er. „Ein Drittel hätte das Zeug dazu, wenn wir länger mit ihnen zusammenarbeiten könnten – und für ein Drittel ist der Weg zurück auf den Arbeitsmarkt schwieriger.“ Neu sei hingegen der Anteil an Frauen bei der „Aarbechtshëllef“. Waren früher zwei Drittel Männer, sind es heute zu 40 Prozent Frauen, die das Angebot in Anspruch nehmen. „Sie sind motivierter, einen Job zu finden“, sagt Meyers. „Bei den Jungs habe ich oft das Gefühl, sie haben den Ernst der Lage noch nicht verstanden. Sie gehen es in der Regel ruhiger an.“ Darauf angesprochen, ob sich die Zeiten allgemein für die jungen Menschen verändert hätten, antwortet er: „Wir leben inzwischen in einer schnelleren Welt, in der sich viele junge Menschen isolieren.“

Einsamkeit und Isolation scheint gleich auf mehreren Ebenen ein Thema unter jungen Menschen zu sein, zumindest legt das eine Eurostat-Studie aus dem Jahr 2015 nahe. Dort gaben 13 Prozent der Menschen ab 16 in Luxemburg an, keine Kontaktperson zu haben, die sie in Notsituationen herbeirufen könnten. Kridel weist zudem darauf hin, dass immer mehr Kinder fremdbetreut werden, dass die Eltern ihren Erziehungsauftrag immer öfter an die Schule abgegeben. Viele Kinder seien auf sich alleine gestellt.

Einsamkeit in Kindheit 
und Jugend

Es liege außerdem in der Natur der Sache, dass sich Kinder und Jugendliche, die in den Einrichtungen von „Solidarité jeunes“ unterkommen, alleingelassen fühlten. „Umso schwerer ist es, wenn sie mit 18 in ein betreutes Wohnheim umziehen müssen.“ Der ONE mache oft Druck, damit die Jugendlichen schnell in den besagten Wohnstrukturen für junge Erwachsene unterkämen. Dort leben sie dann nicht mehr in einer großen Gemeinschaft, wie das in den Foyers der Fall ist. „Vielen Jugendlichen geht das zu schnell: Sie kommen mit der Einsamkeit nicht zurecht.“ Kridel bedauert die strengen Prozeduren. „Wir arbeiten deshalb verstärkt mit semiautonomen Strukturen, um sie damit nicht im Stich zu lassen.“

Wo wir wieder beim Ziel der Organisationen und dem Leitwort der Stiftung angekommen wären: „Mënsche staark maachen“. Insbesondere die Menschen, die abgehängt wurden – sei es familiär, schulisch oder beruflich, in der Kindheit, der Jugend oder im Erwachsenenalter. Zwar reichen Meyers und Wagener zum Abschied Visitenkarten mit dem Logo ihrer jeweiligen Organisation und Kridel verweist auf ihre Mail-Adresse von „Solidarité jeunes“, doch machen sie deutlich, dass sie die anfallenden Baustellen weiterhin – und durch die Stiftung mit gestärktem Rücken – gemeinsam in Angriff nehmen.

Weitere Informationen zur „Fondation Solina“ und den Partnerorganisationen gibt es unter solina.lu.

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