Fotografie/Malerei: Ein Hoch auf die Freiheit

Die aktuelle Ausstellung im Düdelinger Centre d‘art Nei Liicht steht ganz im Zeichen der „Eleutheromania“ – ein komplizierter Begriff für eine doch einfache Angelegenheit.

Foto: Mike Zenari

Der Begriff „Eleutheromania“ ist dem Altgriechischen entliehen und bedeutet ein starkes, ja gar exzessives Begehren nach Freiheit. Dieses lebt die belgisch-luxemburgische Künstlerin Carole Melchior, deren Fotografien nun gemeinsam mit Malereien von Charlotte Beaudry im ehemaligen Wohnsitz des Direktors der Arbed zu sehen sind, augenscheinlich vollends aus.

Die nun präsentierten Werke können wie eine Art Anti-Chronik gelesen werden. Durchgehend auf Datierungen, Ortsangaben und Titel verzichtend, gibt die überwiegend aus Schnappschüssen bestehende Arbeit Einblicke in vielleicht nur Sekunden andauernde spontane Eindrücke aus dem Alltag, die Melchior trotzdem ausreichend triggerten, um nicht mehr von ihnen lassen zu können. Die studierte Fotografin schoss die Bilder allesamt mit Digitalkameras, bearbeitete sie nach, entschied sich bei der Mehrzahl für eine schwarz-weiße Farbgebung und ließ letztlich nur ein einziges Foto farbig. Das bildet einen blauen Rock ab, der zu einer Art magischen Anziehungs- und Knotenpunkt in der Ausstellung wird.

Carole Melchiors Werke weisen zahlreiche Variationen in der Darstellung von Mustern, Formen und unterschiedlichen Materialien auf. So finden sich zum Beispiel auf einem Schnappschuss von einem Partydress mehr als sieben verschiedene Texturen wieder. Auf einem anderen heben sich die Maschen eines Pullis von der Richtung ab, in die offenes Haar weht, während einzig die Rinde eines Baums den Kurs hält. Melchior spielt zudem bewusst mit Unschärfen, welche die Fotodrucke, aus der Nähe betrachtet, teils wie gemalt wirken lassen. Zwei Werke stellen von einem Bildschirm abgeknipste Situationen dar, die in Zeiten von Diskussionen über das Copyright interessante Fragen aufwerfen. Macht nun ihr besonderer, spezifischer Blick auf das Werk von jemand anderem es zu ihrem eigenen oder ist es die Nachbearbeitung, das ausgewählte Zitat?

Auch verstecken sich etliche kleine popkulturelle Elemente in den Werken beider Künstlerinnen, sei es durch direkte oder auch indirekte Verweise auf Marken wie Adidas und Marshall. Andere – fast schon als Reliquien geltende Elemente – wie Anschnallrollschuhe, analoge Filmrollen, Musikkassetten und Tischtennisschläger, kommen dazu.

In der gesamten Ausstellung sind mehrere Menschen (überwiegend Frauen), aber nur zwei Gesichter zu sehen. Es entsteht ein Effekt, der unverhofft an Laurent Mosars scheinbaren Fetisch für die Burka-Thematik denken lässt. Es vermag die Besucher*innen eventuell zu irritieren, dass ihm*ihr eine Einschätzungsebene in Bezug auf den Menschen, der sich ihm*ihr gegenüber befindet, fehlt. Wie gut kann man damit umgehen, das Gesicht des anderen nicht zu sehen? Welche Rolle spielt dies bei der Interaktion mit Personen, aber eben auch mit Kunst? Melchior lässt dies offen.

Die Fotografin beschloss, den Raum zu nutzen, indem sie viele Flächen ungenutzt ließ. Auf jeder der verfügbaren Wände ist somit nur ein einziges Foto beziehungsweise eine Zeichnung von Charlotte Beaudry zu sehen. Durch diese Entscheidung wird eine direktere Konfrontation mit dem jeweiligen Werk möglich, nichts lenkt ab, es entsteht ein eigener Raum im Raum, in dem der*die Betrachter*in mit sich und der Kunst allein ist. Mehr als einmal interagiert das jeweilige Foto auch mit dem Raum, sodass beispielsweise Linien, führte man sie außerhalb des Bildrahmens fort, gewissermaßen durch die an der Decke positionierten Lichtschienen weiterliefen.

Die von ihr eingeforderte künstlerische Freiheit weitet Melchior auf die Besucher*innen aus. Wer die Räume betritt, hat die Möglichkeit, sich an unterschiedlichen Stellen zwischen den Räumen zu platzieren und somit die Kompositionen zu verändern. Abhängig davon, wo man steht, entstehen beispielsweise neue Dreiergespanne aus Bildern, die dann ein neues, eigenes Narrativ generieren. Kurz fühlt man sich an die Black Mirror Folge mit dem Titel „Bandersnatch“ erinnert, bei der man an verschiedenen Stellen den Fortgang der Handlung selbst bestimmen kann und hierdurch unerwartete Wendungen provoziert.

Noch bis zum 6. Oktober im Nei Liicht.

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